Die deutsche Wirtschaft stöhnt unter dem Fachkräftemangel. Im Strukturwandel entfallen viele einfache Helfer:innenjobs, gleichzeitig müssen sich Fachkräfte und Spezialisten angesichts der digitalen und ökologischen Herausforderungen anpassen. Weiterbildung könnte hier die Lösung sein, doch sie scheitert oft an widrigen Umständen. 31 Prozent der Helfer:innen geben an, sie wünschten sich eine Weiterbildung. Aber nur bei knapp einem Zehntel mündet dieser Wunsch auch in einen konkreten Plan. 73 Prozent geben an, dass ihr Arbeitgeber sie für Weiterbildung nicht freistelle, gut 50 Prozent sagen, sie seien über ihre Weiterbildungsmöglichkeiten nicht informiert. Knapp ein Viertel der Helfer:innen gibt außerdem an, ihnen fehle die Zeit, 13 Prozent sagen, sie könnten sich die Weiterbildung finanziell nicht leisten. Das ist das Ergebnis einer repräsentativen Befragung von rund 3.600 Erwerbstätigen im Alter von 30 bis 59 Jahren als Teil des Nationalen Bildungspanels (NEPS), der größten Langzeit-Bildungsstudie Deutschlands.
Der Wille zur Weiterbildung ist da, aber es fehlt die Zeit
Knapp 30 Prozent aller Beschäftigten würden sich gern beruflich weiterbilden, aber nur 6,5 Prozent haben dafür einen Plan. Besonders groß ist die Kluft bei Helfer:innen. Die Gründe: Ihr Arbeitgeber stellt sie nicht frei, zudem fehlt ihnen der Überblick über konkrete Angebote. Höher qualifizierte Beschäftigte haben besseren Zugang zu Weiterbildungsmöglichkeiten - aber zu wenig Zeit. Das Konzept einer bis zu einjährigen, finanzierten Bildungszeit könnte für mehr Chancengerechtigkeit sorgen.
#Weiterbildung #Bildungszeit #Arbeitsmarkt #Fachkräftemangel
Inhalt
Ganz anders sieht das am anderen Ende der Skala aus, bei den hochqualifizierten Expert:innen. Knapp 26 Prozent – und damit etwas weniger als bei den Helfer:innen – sagen, sie würden sich gern weiterbilden. Aber mit zehn Prozent ist die Quote derer, die ihren Wunsch mit einem konkreten Plan verbinden, deutlich höher. Die Freistellung durch den Arbeitgeber fehlt nur bei 27 Prozent der Hochqualifizierten. Zumeist sind sie gut orientiert über ihr Weiterbildungsangebot, aber 39 Prozent von ihnen geben an, nicht genug Zeit für eine Weiterbildung zu haben. Finanzielle Gründe spielen für sie nur eine nachgeordnete Rolle. „Die Daten zeigen, dass es bei der Weiterbildung nicht an der Motivation fehlt, sondern an den Möglichkeiten“, sagt Tobias Ortmann, Weiterbildungsexperte der Bertelsmann Stiftung. „Wenn wir wollen, dass Arbeitnehmer:innen Kompetenzen für die Arbeitswelt der Zukunft erwerben, dann sollten wir Ihnen auch erfolgsversprechende Qualifizierungspfade aufzeigen und durch Freistellung die Zeit dafür einräumen.“
Eine einjährige Bildungszeit könnte für Chancengerechtigkeit sorgen
Das Konzept der Bildungszeit, wie es die Bundesregierung diskutiert, aber noch nicht umgesetzt hat, könnte hier Abhilfe schaffen. „Es gilt, die Rahmenbedingungen anzupassen, um von Helfer:innen bis Expert:innen gleiche Möglichkeiten zu bieten. Wir dürfen nicht diejenigen benachteiligen, deren Jobs durch den Strukturwandel auf der Kippe stehen. Gleichzeitig ist es wichtig Neuorientierung zu ermöglichen, damit die Veränderungen auch als Chance verstanden werden“, sagt Luisa Kunze, Arbeitsmarktexpertin der Bertelsmann Stiftung.
Bildungszeit für Arbeitgeber und Beschäftigte attraktiv
Die Studienautor:innen empfehlen zunächst, dass die Informationen über Weiterbildungsmöglichkeiten leichter zugänglich sein sollten. Eine individuelle Weiterbildungsberatung, die zukunftsgerichtete Qualifizierungspfade für interessierte Arbeitnehmer:innen aufzeigt und Aufwand sowie Ziel im Blick behält, spielt dabei eine zentrale Rolle. Dem Arbeitgeber müsse sodann eine Schonfrist von bis zu neun Monaten gewährt werden, bevor eine Weiterbildung tatsächlich beginnen kann, um ausreichend Zeit für die Personalplanung zu schaffen. In kleinen Unternehmen könnte die Bildungszeit zur Bildungsteilzeit werden, in der über zwei Jahre höchstens 50 Prozent der Arbeitszeit in Weiterbildung umgewidmet wird. Damit könnten Betriebsabläufe weiterhin sichergestellt werden und Beschäftigte blieben im Arbeitsprozess integriert, um nicht den Anschluss an betriebliche Veränderungen zu verlieren.
Auch über das Einkommen während der Bildungszeit ließe sich mehr Chancengerechtigkeit herstellen. Während Beschäftigte im Mindestlohn 100 Prozent Entgelt-Ersatzleistung erhalten, um ihre Lebenshaltungskosten auch während der Weiterbildung vollständig decken zu können, könnte die Zahlung bis zum Durchschnittsentgelt sukzessive auf 60 Prozent abschmelzen. Für Beschäftigte in Bildungsteilzeit würde dann eine anteilige Berechnung gelten. Darüber hinaus könnte analog zum Weiterbildungsgeld für Arbeitslose ein zusätzlicher Betrag von 150 Euro pro Monat für abschlussorientierte Weiterbildungen gezahlt werden. Damit würde ein besonderer Anreiz für solche Weiterbildungen geschaffen, die die Arbeitsmarktchancen dauerhaft erhöhen.
Für die vorliegende Studie wurden im Rahmen des Nationalen Bildungspanels (NEPS), der größten Langzeitbildungsstudie 3.630 Erwerbstätige im Alter von 30-59 Jahren befragt. Dafür wurden zwischen Herbst 2019 und Frühjahr 2020 Telefon- und persönliche Interviews geführt. Dies ist die aktuellste Befragung zu Weiterbildungswünschen, -plänen und -hindernissen. Die Studie ist entstanden in Kooperation mit dem Wissenschaftszentrum Berlin, Prof. Dr. Martin Ehlert (Leiter Forschungsgruppe NEPS) und Insa Grüttgen (wiss. Mitarbeiterin Forschungsgruppe NEPS).