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, Reinhard Mohn Preis 2013: Finnland – Tiefstapler mit Sinn für Pionierarbeit

In Finnland gab es bereits 1923 das erste Naturschutzgesetz, 1983 ein eigenes Umweltministerium und womöglich wird es dort schon bald auch einen ersten "Gesellschaftsvertrag für Nachhaltigkeit" geben. Zur Verleihung des Reinhard Mohn Preises am 7. November unternimmt die Bertelsmann Stiftung eine Reise durch Länder, die mit nachhaltiger Politik den Wandel in ihrem Inneren gestalten.

Erfolgreichen Nachhaltigkeitsstrategien in Finnland nachzuforschen, kann etwas mühsam sein. Nicht, dass es sie nicht gäbe, ganz im Gegenteil. Finnland hat sich früh schon einer umsichtigen Wirtschaft und Politik verschrieben. Doch findet sich einfach niemand, der stolz von den finnischen Errungenschaften berichten will. Warum denn nun ausgerechnet in Finnland nach guten Beispielen gesucht werde, wird entgegnet, dort funktioniere doch eigentlich nichts so recht. Es mag an der finnischen Schwermut liegen. Vielleicht ist es auch höfliche Untertreibung. Offenbar ist es zumindest nicht schick, allzu positiv über das eigene Land zu sprechen.

Dabei haben die Nordeuropäer sich einiges Lob verdient. Nicht nur weist Finnland alle positiven Merkmale eines nördlichen Wohlfahrtsstaats aus, es ist auch ein europäischer und weltweiter Pionier darin, Strategien für Nachhaltigkeit zu entwickeln. Schon vor 25 Jahren haben seine Entscheidungsträger begonnen, nachhaltige Entwicklung als Ziel in allen Institutionen festzusetzen. Die Hauptakteure haben einen Politikprozess geschaffen, in dem auf lokaler Ebene viel bewegt wird, während sich auch Minister und Regierungschefs in der Pflicht sehen.

Ausschuss für Nachhaltigkeit

Finnlands politische Geschichte ist geprägt von Unabhängigkeitskämpfen, erst gegen die Schweden, dann gegen die Russen. Unabhängig wurde das Land 1917, musste der Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg ein Zehntel seines Territoriums abtreten und unterlag bis zum Ende des Kalten Krieges einem Quasi-Veto Moskaus in außenpolitischen Fragen. Im Gegensatz zu vielen anderen Nachbarn der Sowjets konnte Finnland aber seine demokratischen Strukturen erhalten.

Finnlands Erfolg in Nachhaltigkeitsfragen kam nicht über Nacht. Wie in anderen Ländern auch baute er auf frühen Bemühungen um öffentliche Gesundheitsversorgung und Naturschutz auf. Schon 1923 schuf Finnland sein erstes Naturschutzgesetz. Mit dem wachsenden Bewusstsein in den Siebzigerjahren stieg das Engagement, 1983 wurde das Umweltministerium geschaffen. Ein weiterer Schub kam mit dem Ende der Sowjetunion und schließlich dem EU-Beitritt Finnlands 1995.

Finnland war das erste europäische Land, das sich einen nationalen Rat für Nachhaltigkeit gab. Anders als vergleichbare Institutionen wie dem Nachhaltigkeitsrat in Deutschland ist der finnische Rat keine Art zivilgesellschaftlicher Aufpasser, der punktuell mit der Politik zusammenarbeitet. In Finnland sitzt dem Organ der Ministerpräsident selbst vor, Minister nehmen regelmäßig an den Ausschusssitzungen gemeinsam mit anderen gesellschaftlichen Akteuren teil. Das zeigt, wie hoch das Thema auf der politischen Agenda steht. Finnland erarbeitete eine umfassende Nachhaltigkeitsstrategie und stimmte sie mit europäischen Maßstäben ab.  

Der Ehrgeiz ist ungebrochen

Trotz all der Pionierarbeit hat Finnland allerdings einige Probleme damit, in der eigenen Wirtschaft einen ökologischen Wandel herbeizuführen. Die Erzeugung von Zellstoff, Papier und Metall sind zentrale finnische Industriezweige. Und die gehören zu den energieaufwändigsten überhaupt. Zwar wurden die Wirtschaftszweige schon wesentlich modernisiert. Der Energieverbrauch pro Kopf ist in Finnland aber immer noch doppelt so hoch wie im EU-Durchschnitt. 

Doch der Ehrgeiz ist ungebrochen. In diesem Sommer will Finnland in Nachhaltigkeitsfragen wieder einmal die Führung übernehmen. Der Rat für nachhaltige Entwicklung will dem Land nicht weniger vorlegen als einen neuen "Gesellschaftsvertrag für Nachhaltigkeit". Eigentlich eine Idee, die in Deutschland entstanden ist. 2011 hatte der Umweltbeirat der Bundesregierung einen solchen Vertrag verlangt, um die großen Herausforderungen zu stemmen, die Nachhaltigkeit an eine Gesellschaft stellt. Die Finnen wollen sich das nun zu eigen machen. Unter einem Dach sollen Regierungsprogramme und Initiativen aus Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Behörden zusammenlaufen. Nachhaltigkeit ist auch ein Geschäftsvorteil. Und Finnland muss weiterarbeiten, wenn es Pionier bleiben will. Vielleicht ist es dafür nicht schlecht, mit der eigenen Leistung tendenziell unzufrieden zu sein.

Über Finnland:

Die parlamentarische Republik Finnland ist seit 1995 Mitglied der Europäischen Union. Finnland grenzt an Schweden, Norwegen, Russland, liegt an der Ostsee und gehört mit 5,4 Millionen Einwohnern auf einer Fläche, die nur wenig kleiner als Deutschland ist, zu den am dünnsten besiedelten Ländern Europas. Landessprachen sind Finnisch und Schwedisch. Der größte Teil der Bevölkerung lebt im Süden des Landes mit der Hauptstadt Helsinki. Finnland ist eines der nördlichsten Länder der Erde, ein Drittel der Fläche liegt nördlich des Polarkreises. Die Nord-Süd-Ausdehnung des finnischen Festlandes beträgt 1.160 Kilometer, die längste Ost-West-Distanz 540 Kilometer. Finnland ist das waldreichste Land Europas: 86 Prozent der Landfläche sind bewaldet.

(Text: Benjamin Dierks, aus: change – Das Magazin der Bertelsmann Stiftung)

Buchtipp:
Die fünf in dieser Serie vorgestellten Länder stehen auch im Mittelpunkt des Buchs "Erfolgreiche Strategien für eine nachhaltige Zukunft", das die Bertelsmann Stiftung anlässlich des Reinhard Mohn Preises 2013 am Montag, 4. November, veröffentlicht.

Publikation: Erfolgreiche Strategien für eine nachhaltige Zukunft

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