Außenansicht des Kapitols, des Gebäudes des US-Kongresses in Washington, DC.

Es geht um die Demokratie

Die republikanische Flutwelle bei den Midterm-Wahlen in den USA ist ausgeblieben. Das liegt auch daran, dass viele junge Menschen abgestimmt haben. Ihr Ziel: Die Verteidigung der Demokratie. Das Endergebnis steht wohl erst in einigen Wochen fest. Aber Cathryn Clüver Ashbrook, Transatlantik-Expertin der Bertelsmann Stiftung, arbeitet in ihrer Analyse bereits die zentralen Erkenntnisse heraus.

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Cathryn Clüver Ashbrook
Senior Advisor

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Wirtschaft und Demokratie: das waren die treibenden Themen für Wähler:innen aus beiden Lagern bei der Midterm-Wahl in den USA. Unsere eupinions-Umfrage hatte schon gezeigt, dass sich mehr als die Hälfte der US-Bürger:innen Sorgen um das Funktionieren ihrer Demokratie macht. In einer weiteren Umfrage der Nachrichtenanstalten NPR und PBS gaben 42 Prozent der Demokraten an, der Erhalt der Demokratie sei der treibende Grund für ihre Wahlentscheidung gewesen – zudem sagten 28 Prozent mehr junge Demokrat:innen als noch 2020, sie habe diese Frage motiviert. Deren hohe Wahlbeteiligung wird ein maßgeblicher Grund dafür sein, dass die erwartete "rote Welle" der Republikaner nicht so hoch anstieg und auch in den anhaltenden Auszählungen abzuebben scheint.

Die Wahlen, bei denen das Repräsentantenhaus komplett und ein Drittel des Senats neu gewählt werden, sind zum Kopf-an-Kopf-Rennen geworden. Das endgültige Wahlergebnis wird noch Tage, möglicherweise Wochen auf sich warten lassen. Im Bundestaat Georgia wird es am 6. Dezember zu einer Stichwahl zwischen dem Demokraten Raphael Warnock und dem von Trump unterstützten Herschel Walker kommen. Weiterhin bleiben die Mehrheiten in beiden Häusern eng.

Das politische Klima in den USA dürfte rauer werden

Schon im Wahlkampf haben die Republikaner angekündigt, eine Blockade des Regierungsprogramms zu ihrem Hauptziel zu machen. Mehr noch, sie haben eine Reihe von Untersuchungsausschüssen angekündigt, die ohne wirkliches Ziel bleiben könnten (zum Beispiel soll sich ein Gremium mit möglichen politisch-finanziellen Verbindungen des Präsidentensohns Hunter Biden beschäftigen), dennoch aber den gesetzgeberischen Auftrag des Kongresses zum Erlahmen bringen würden.

Insbesondere bei der Innenpolitik dürfte das Klima deutlich rauer und unversöhnlicher, gar rachegetrieben werden, denn ein großer Teil der Trump-Anhänger:innen im Repräsentantenhaus, die weiterhin der Lüge der "gestohlenen" Wahl von 2020 anhängen, wollen nun ihre politische Macht öffentlich wirksam ausspielen.

Deren politische Haltung könnte aber auch realpolitische Auswirkungen haben: Die großen Finanzhilfen der Amerikaner:innen für die Ukraine dürften dann auf den Prüfstand kommen, so hat es der mögliche republikanische Mehrheitssprecher Kevin McCarthy bereits angekündigt. Wie rau das Klima wird, hängt auch davon ab, welche Republikaner ins Repräsentantenhaus einziehen und wie sich die Republikaner in ihren eigenen innenparteilichen Streitigkeiten positionieren – mit mehrheitlich Anhänger:innen von "Make America Great Again", oder "traditionellen" Republikaner:innen, die mitunter bereit wären, mit dem Präsidenten zu verhandeln.

Cathryn Clüver Ashbrook, Transatlantik-Expertin der Bertelsmann Stiftung.

Europa sollte sich für die kommenden Jahre wappnen

Die Europäer:innen sollten sich gut auf die kommenden Zeiten vorbereiten, zum Beispiel darauf, dass sie mittelfristig aktiv größere militärische und finanzielle Mittel für die Ukraine bereitstellen müssen. Eine weitere Trump-Präsidentschaft, oder die eines ähnlich isolationistisch-positionierten Republikaners, würde zudem bedeuten, dass Europa zukünftig weitgehend selbst für die eigene Sicherheit sorgen muss und im Spannungsfeld zwischen den USA und China um wirtschaftliche Freiräume kämpfen muss.

Daher gilt es, die derzeitigen politischen Differenzen zwischen Brüssel und Washington um das Inflationsausgleichsgesetz der Amerikaner oder in den Diskussionen um die Detailfragen im EU-US-Handels- und Technologierat mit der Biden-Regierung auf diplomatischem Wege zu lösen und gerade in den Bereichen Technologie, Energie und Ressourcen-Nutzung von Stahl bis seltene Erden die Partnerschaft zu verstärken, um die europäische Wirtschaft zu stärken.

Die ersten Kandidaten für 2024 bringen sich in Position

Trotz des insgesamt schlechten Abschneidens "seiner" Kandidat:innen wird Donald Trump am 15. November höchstwahrscheinlich seine Kandidatur zur nächsten Präsidentschaftswahl verkünden. Für den Ex-Präsidenten ist die Präsidentschaftskandidatur eine Versicherungspolice. Er muss gleich mehrere juristische Prozesse fürchten, und ein Teil der Verfahren würde sicherlich auf Eis gelegt, solange der Wahlkampf läuft. Absehbar ist aber auch, dass Trump innerparteilich einen scharfen Konkurrenten bekommt. Ron DeSantis, der Gouverneur des Bundestaats Florida, hat seine Wiederwahl erdrutschartig gewonnen. Er ist stark genug, gegen Trump anzutreten und ihm zumindest das Leben schwer zu machen. Und er bringt sich bereits in Position.

Auch bei den Demokraten bringen sich mögliche Kandidaten für eine Wahl 2024 ins Gespräch: Im Sommer hat eine Umfrage der New York Times unter Demokraten ergeben, dass eine Mehrheit gerne einen jüngeren Kandidaten aus der Partei in den nächsten Wahlkampf schicken wollen würde. Der Gouverneur von Kalifornien, Gavin Newsom, hat sich bereits selbst ins Spiel gebracht. Zu den Midterms hat er zur Verteidigung der Demokratie in Texas und Florida eigene Anzeigen geschaltet – ein deutliches Signal, dass er sich Hoffnung macht auf mehr.

In mehr als 60 Wahlkreisen wurde die Wahl vom US-Justizministerium beobachtet – zu groß waren die Befürchtungen, es könne Ausschreitungen geben, Einschüchterungen an der Wahlurne, Repressionen. Aber es ist ruhig geblieben. Dennoch bleibt die amerikanische Demokratie angeschlagen, auch wenn die Strategie des ehemaligen Trump-Beraters Steve Bannon, alle Schaltstellen von untersten Wahlbeamten bis hin zum State Secretary – dem obersten Wahlleiter in den Bundesstaaten – mit MAGA-Repräsentanten und 2020-Wahlleugnern zu besetzen, nicht aufgegangen zu sein scheint. Aber eine Entwarnung ist das noch lange nicht.