Kirsten Witte, Direktorin des Zentrums für Nachhaltige Kommunen der Bertelsmann Stiftung, ist während ihres Vortrags auf dem Deutschen Nachhaltigkeitstag auf der Bühne zu sehen.

Halbzeit! – Kommunen auf dem Weg zur Umsetzung der Agenda 2030

Immer mehr Kommunen füllen den Paradigmenwechsel, den die Agenda 2030 vom September 2015 beschreibt, aktiv mit Leben. Der Beitrag, den sie leisten, kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Wo genau aber stehen die Kommunen auf ihrem Umsetzungsweg nach der Hälfte der Zeit? Antworten geben erste Ergebnisse einer Halbzeitbilanz, die auf dem Deutschen Nachhaltigkeitstag am 1. und 2. Dezember in Düsseldorf erstmals zur Diskussion gestellt wurde.

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Oliver Haubner
Senior Project Manager

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Die Frage, ob die nachhaltige Entwicklung am Ende tatsächlich eine Erfolgsgeschichte sein wird, entscheidet sich auch in den Kommunen. Hier lebt und arbeitet ein Großteil der Menschen und hier wird ein erheblicher Teil der Infrastruktur für Unternehmen sowie Bürger:innen zur Verfügung gestellt.

Zur "Halbzeit" zwischen der Verabschiedung der 17 Ziele für eine nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) und dem Zieljahr 2030 hat das Deutsche Institut für Urbanistik (Difu) in unserem Auftrag eine erste Bilanz der Umsetzung erstellt. Sie basiert im Wesentlichen auf drei Bausteinen:

  • einer Kommunalbefragung zum wahrgenommenen Stand der Umsetzung von nachhaltiger Entwicklung und kommunalem Nachhaltigkeitsmanagement,
  • einer Datenanalyse entlang der sechs Transformationsbereiche der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie auf Basis der SDG-Indikatoren für Kommunen und
  • einer vertiefenden Analyse ausgewählter Fallbeispiele.

"Im Ergebnis zeigen sich – wie so oft – Licht und Schatten" führte Kirsten Witte, Leiterin unseres Zentrums für Nachhaltige Kommunen, in ihrem Plenumsvortrag aus. Denn einerseits haben die Kommunen erhebliche Fortschritte gemacht. Andererseits wird aber auch deutlich, dass das bestehende Engagement der Kommunen aller Voraussicht nach nicht ausreichen wird, die Ziele der Agenda 2030 zu erreichen. "Erforderlich ist eine Steigerung der Anstrengungen in den Kommunen und eine stärkere Flankierung und Unterstützung durch Bund und Länder", so die Kommunalexpertin.

Hohe Relevanz für Nachhaltigkeit in den Kommunen

Gut zwei Drittel der für die Halbzeitbilanz befragten Kommunen geben an, dass ihnen das Thema nachhaltige Entwicklung "sehr wichtig" oder "eher wichtig" ist. Damit hat sich an der hohen Bedeutung und politischen Relevanz des Themas für die Kommunen grundsätzlich nichts geändert. Denn bereits in einer ähnlichen Befragung aus dem Jahr 2016 hatten die Städte, Landkreise und Gemeinden dem Thema eine vergleichbar hohe Bedeutung zugeschrieben.

Während die befragten Kommunen den Handlungsfeldern für nachhaltige Entwicklung grundsätzlich eine hohe Relevanz beimessen, sind sie mit den Fortschritten, die sie in den vergangenen Jahren auf diesen Gebieten vor Ort erzielt haben, nur eingeschränkt zufrieden. Und dies, obwohl sich mit Blick auf verschiedene SDGs in der aggregierten empirischen Betrachtung für die Bundesrepublik insgesamt durchaus eine positive "Nachhaltigkeitsdynamik" erkennen lässt. Offenbar wünschen sich die Verantwortlichen in den Kommunen sichtbarere und schnellere Umsetzungserfolge vor Ort. Dies deutet darauf hin, dass in den Kommunen insgesamt eine gewisse Unzufriedenheit mit Blick auf die eigenen Handlungsmöglichkeiten besteht.

"Nachhaltigkeit braucht einen ganzheitlichen Prozess – genau daran aber fehlt es oft in den Kommunen", so Witte. Oftmals dominiert die Fokussierung auf Einzelmaßnahmen, es fehlt eine übergeordnete Koordination. Insbesondere fehlt es daran, dass die Wirkung der ergriffenen Maßnahmen nicht nachgehalten wird. Zwar gibt es relativ häufig politische Beschlüsse zum Thema Nachhaltigkeit, diese werden aber häufig nicht mit dem Haushalt verknüpft. So zeigt sich das Bild einer eher reaktiven und ad hoc ausgerichteten Nachhaltigkeitspolitik in den Kommunen, die auch strukturelle Ursachen hat. Oft mangelt es an personellen und finanziellen Ressourcen und der Unterstützung durch die Verwaltungsspitze. Auch wenn prominente Ausnahmen die Regel bestätigen: Fragen der nachhaltigen Entwicklung vor Ort sind offenbar in einer Vielzahl von Kommunen noch immer nicht "Chef:innensache".

Wirkungen sind erkennbar

Erste Wirkungen in den Nachhaltigkeitsbemühungen der Kommunen sind erkennbar: Die positivste Entwicklung zeigen die SDGs 1 ("Keine Armut"), 7 ("Bezahlbare und saubere Energie"), 8 ("Menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum"), 9 ("Industrie, Innovation und Infrastruktur") und 16 ("Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen"). Das heißt übertragen auf die Transformationsbereiche der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie: Die Bereiche 1 ("Menschliches Wohlbefinden, soziale Gerechtigkeit"), 2 ("Energiewende und Klimaschutz") und 6 ("Schadstofffreie Umwelt") zeigen die positivsten – wenngleich durchwachsenen – Fortschritte.

Am Beispiel des Indikators "Strom aus erneuerbaren Quellen" (vergleiche www.sdg-portal.de) zeigt sich eine sehr positive Entwicklung. Innerhalb von sechs Jahren hat sich die Leistung der installierten Energieträger fast verdoppelt. Kommunen verändern ihren möglichen Strommix langsam in Richtung erneuerbarer Energien.

Zwischenstand und Diskussionsgrundlage

Diese auf dem Deutschen Nachhaltigkeitstag vorgestellten ersten Ergebnisse der Halbzeitbilanz sind ganz bewusst ein Zwischenstand, von dem wir uns wünschen, dass er eine breite Diskussion unter den relevanten Nachhaltigkeitsakteuren in Deutschland auslöst und am Ende in konkrete Handlungsempfehlungen mündet. Denn trotz der aktuellen Flüchtlings- und Energiekrise darf das Thema nachhaltige Entwicklung in den Kommunen nicht in den Hintergrund treten. Die Kommunen sind auf einem guten Weg – aber es bleibt deutlich "Luft nach oben".