In Deutschland entfaltet sich das wirtschaftliche Potenzial innovativer Gründer:innen mit Migrationserfahrung nur gering. Das zeigt eine neue Studie der Bertelsmann Stiftung, die von Dr. Susann Schäfer vom Lehrstuhl für Wirtschaftsgeographie der Universität Jena verfasst wurde. Demnach sind Migrant:innen bei innovativen, d.h. Forschung und Entwicklung betreibenden Gründungen deutlich unterrepräsentiert. Nur drei Prozent der innovativen Unternehmen in Deutschland haben eine:n ausländische:n (Mit-)Gründer:in, während ihr Anteil an allen Gründungen bei 17 Prozent liegt. Außerdem sind ausländische Gründer:innen weniger in innovativen Branchen, wie z.B. Hightech-Dienstleistungen, vertreten als Gründer:innen ohne Migrationserfahrung. Auch bei der Entwicklung von Marktneuheiten sind ausländische Gründer:innen leicht unterrepräsentiert. Nur jedes fünfte innovative Unternehmen mit Migrationsbeteiligung entwickelt Marktneuheiten, wohingegen es bei einheimischen Gründer:innen jedes vierte Unternehmen ist.
Potenzial innovativer Gründer:innen mit Migrationserfahrung wenig genutzt
Innovative Gründungen sind eine wichtige Säule einer dynamischen Wirtschaft. Besonders Gründer:innen mit Migrationserfahrung bringen viele Qualitäten mit, um innovative Unternehmen aufzubauen. Dieses Potenzial kommt in Deutschland allerdings nur unzureichend zur Entfaltung, auch im internationalen Vergleich. Das zeigt unsere neue Studie, die auch Maßnahmen zur besseren Entfachung der innovativen Gründungsdynamik in Deutschland vorschlägt.
Junge Unternehmen beleben etablierte Märkte
Dabei wäre es im Sinne eines dynamischen und zukunftsorientierten Wirtschaftsstandorts, junge innovative Unternehmen zu fördern. Neben ihrem Beitrag zur Wertschöpfung beleben diese etablierte Märkte oder schaffen gar gänzlich neue. Zudem treiben sie Digitalisierung und strukturellen Wandel voran und gestalten beide mit. "Gerade internationale Gründer:innen bringen neben Sprachkenntnissen wertvolle Fähigkeiten und Erfahrungen mit, die für den erfolgreichen Aufbau eines innovativen Unternehmens von Bedeutung sind", so Dr. Matthias M. Mayer, Migrationsexperte unserer Stiftung. Gründer:innen aus dem Ausland besäßen häufig Kenntnisse über internationale Märkte, Standorte und Geschäftspraktiken und verfügten über internationale Netzwerke sowie Erfahrung mit anderen Gründungskulturen, die es ihnen ermöglichten, unterschiedliche Perspektiven auf gründungspezifische Herausforderungen einzunehmen und diese erfolgreich zu bewältigen.
Andere Länder sind deutlich erfolgreicher darin, es Personen mit eigener Migrationserfahrung zu ermöglichen, innovativ zu gründen, wie unterschiedliche Studien zeigen. In den USA wurden beispielsweise die erfolgreichsten innovativen Firmen für Künstliche Intelligenz zum großen Teil durch migrantische Gründer:innen ins Leben gerufen. 66 Prozent dieser Gründungen hatte mindestes eine:n Gründer:in mit Migrationserfahrung. Zudem wurden 55 Prozent der innovativen US-Unternehmen mit einem Wert von mindestens einer Milliarde Dollar (sogenannte Unicorns) von Personen mit Migrationserfahrung gegründet. Darüber hinaus zeigen OECD-Daten aus dem Jahr 2018, dass im Zeitraum 2001 bis 2016 in den USA insgesamt 100.000 innovative Unternehmen aufgebaut wurden, in Großbritannien 15.000, in Indien 13.000 und in Kanada 7.000 – in Deutschland jedoch nur 4.000.
Hindernisse für innovative Unternehmen
Einige Hindernisse erschweren es Gründer:innen, innovative Unternehmen in Deutschland aufzubauen. Faktoren wie Schwierigkeiten bei der Kundengewinnung, die Unterversorgung mit Wagniskapital und Probleme bei der Wahrung der Liquidität – v.a. in Zeiten von COVID-19 –können internationale und einheimische Gründer:innen gleichermaßen bremsen. Andere Herausforderungen wie fehlende Offenheit, Sprachbarrieren und ein mangelhaftes Informationsangebot gelten jedoch speziell für migrantische Gründer:innen.
"Um das große Potenzial neuer Geschäftsideen zu nutzen, sollten innovative Gründer:innen mit Migrationserfahrung in ihren Vorhaben zielgerichtet unterstützt, aber auch die allgemeinen strukturellen Rahmenbedingungen für das Gründen innovativer Unternehmen verbessert werden", erläutert Dr. Jan Breitinger, Innovationsexperte unserer Stiftung. Generell sollten potenzielle Gründer:innen bereits an den Hochschulen durch (Studien-)Programme und Vernetzungsangebote angesprochen werden. Zudem bestehe weiterhin ein Bedarf an Förderansätzen, die Gründer:innen ungeachtet ihrer Migrationserfahrungen ansprechen. Die Gründungsberatung zu internationalisieren, Informationen und Ausschreibungen in englischer Sprache bereitzustellen sowie Gründer:innen mit Migrationserfahrung aktiv in Start-up-Ökosysteme einzubinden sind weitere Ansatzpunkte, um das Potenzial innovativer Gründer:innen mit Migrationserfahrung besser freizusetzen.
Die vorliegende Studie ist Teil der weltweiten Recherchen zum Reinhard Mohn Preis 2020 der Bertelsmann Stiftung zum Thema "Innovationskraft stärken. Potenziale erschließen." Der Preis befasst sich mit der Herausforderung, wie Deutschland und Europa den technologischen Wandel zum Wohle der Gesellschaft vorantreiben können. Der Reinhard Mohn Preis 2020 geht an den Vorsitzenden des "Peres Center for Peace and Innovation", Nechemia ("Chemi") Peres. Damit würdigt die Bertelsmann Stiftung den Unternehmer für sein herausragendes Engagement für Innovationsförderung, das gleichermaßen im Dienst von Wirtschaft und Gesellschaft steht. Die feierliche Preisverleihung findet wegen der Corona-Pandemie im Jahr 2021 statt. Der Reinhard Mohn Preis ist mit 200.000 Euro dotiert und wird seit 2009 von der Bertelsmann Stiftung an international renommierte Persönlichkeiten verliehen, die sich um wegweisende Lösungen für gesellschaftliche und politischen Herausforderungen verdient gemacht haben.