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Vielfaltsmonitor

Der Umgang mit Vielfalt in Deutschland soll konzeptionell dargestellt werden, indem zentrale Indikatoren wie die Akzeptanz von Einwanderern, die Einbürgerungs- und Antidiskriminierungspraktiken sowie die gesellschaftliche und politische Repräsentanz von Einwanderern in den Blick genommen wird.

Die Bertelsmann Stiftung und das Europäische Forum für Migrationsstudien (efms) haben von 2014 bis 2017 in Zusammenarbeit den „Vielfaltsmonitor“ entwickelt, der den Stand der Willkommenskultur in Deutschland vor der Fluchtkrise der letzten Jahre beleuchtet (Datengrundlage sind die Jahre 2010 bis 2015).

Der Vielfaltsmonitor zielt darauf, ein Konzept zum Verständnis über den Umgang mit Vielfalt bereitzustellen und die strukturelle, habituelle und kommunikative Anwendung von Willkommens- und Anerkennungskultur in Deutschland fassbar zu machen: Also die Operationalisierung der Elemente von Willkommenskultur. Operationalisierung bedeutet in diesem Fall aus dem weiten Feld des gesellschaftlichen Umgangs mit ethnischer und religiöser Vielfalt, zentrale Handlungsfelder (Dimensionen) zu identifizieren und diese durch spezifische Elemente (Indikatoren) quantitativ und qualitativ darzustellen.  

Im Kontext des Vielfaltsmonitors wird der Umgang mit ethnischer und religiöser Vielfalt als ein Prozess verstanden, der aktive Angebote zur Teilhabe in der Gesellschaft und ihren Institutionen ermöglicht. Dies ist der Kern einer Willkommenskultur. Grundlage für die Operationalisierung ist das Konzept der Lebensqualität, das sich auf das Wohlbefinden der gesamten Bevölkerung in allen Lebensbereichen einer demokratischen, rechtsstaatlichen und pluralen Gesellschaft bezieht. Spannungen und Defizite aufgrund mangelnder Teilhabe von Einwanderern (was tatsächlich als ungenügende Integration bezeichnet werden kann) mindert die Lebensqualität der Gesamtgesellschaft. Somit liegt ein positiver Umgang mit Vielfalt, der eben zu dieser Teilhabe führt, im eigenen Interesse des Staates und aller gesellschaftlichen Gruppen.

Der Vielfaltsmonitor analysiert daher die Unterschiede in der Lebensqualität zwischen Nicht-Migranten und Migranten in den 16 Bundesländern. Grundlegende Attribute der individuellen Lebensqualität sind hierbei die sozioökonomische Sicherheit, Selbstbestimmung, soziale Inklusion und soziale Kohäsion im Sinne des gesellschaftlichen Zusammenhalts und gegenseitigen Vertrauens. Daraus lassen sich die verschiedenen Dimensionen des Vielfaltmonitors ableiten, die zusammen alle Lebensbereiche einer modernen Gesellschaft abdecken. Sie beziehen sich auf die Bedürfnisse und Aktivitäten ihrer Bürger und stellen zugleich das ganze Spektrum dar, in dem der Umgang mit Vielfalt geschieht: Kultur und öffentliche Präsenz, Bildung und Erziehung, Medien, Rechtsstatus und Einbürgerung, Politische Repräsentation, Wohlfahrt und Gesundheit, Erwerbsleben, Wohnen und Wohnumfeld, Sicherheit und Prävention, Bürgerschaftliches Engagement.

Diese zehn Dimensionen des Vielfaltmonitors umfassen insgesamt 33 Indikatoren, welche drei Ebenen der Betrachtung darstellen: Individuum und interpersonelle Beziehungen, Organisationen und Institutionen sowie Gesamtgesellschaft. Die verwendeten Indikatoren basieren auf Daten der Jahre 2011, 2013 und 2015 und lassen sich grob in folgende Kategorien einteilen:

  • Akzeptanz von Vielfalt bzw. Personen mit Migrationshintergrund durch die Mehrheitsgesellschaft in den verschiedenen Ebenen der Betrachtung
  • Repräsentation von Vielfalt bzw. Personen mit Migrationshintergrund in den Berufen und Institutionen der einzelnen Dimensionen
  • Erfolgreicher Zugang(schancen) von Personen mit Migrationshintergrund in Beruf, Bildung und am Wohnungsmarkt
  • Gleichbehandlung bzw. Diskriminierungserfahrung und Sicherheitswahrnehmung von Personen mit Migrationshintergrund
  • Leistungen bzw. Verwaltungspraxis von Institutionen für/gegenüber Personen mit Migrationshintergrund

Im April 2017 wurde der Vielfaltsmonitor durch das efms veröffentlicht, hier eine kurze Zusammenfassung der Hauptbefunde:

Insgesamt weisen alle Bundesländer in unterschiedlicher Ausprägung Kompetenzen, Konzepte und Praxiserfahrung im Umgang mit Vielfalt auf, einschließlich einer horizontalen (zwischen Bundesländern) sowie vertikalen (zwischen Kommunen/Kreisen und Bundesland) Kooperation. Jedes Bundesland hat Bereiche, in denen es besser oder schlechter abschneidet. Bei der Betrachtung ergeben sich jedoch Gruppierungen von Bundesländern, die im Durchschnitt ähnliche Indikatorenwerte aufweisen.

Diese Gruppen sind wie folgt: Flächenstaaten der alten Bundesrepublik (BW, HE, NRW, BY und NI), Stadtstaaten mit herausfordernder Wirtschaftslage (BE, HB), Die neuen Bundesländer (BB, MV, ST, TH, SN) und die europäisierten alten Bundesländer in den Grenzregionen (RP, SL, HH, SH).

Daraus ergibt sich, dass eine Pfadabhängigkeit aufgrund der historischen Entwicklung der Bundesländer (soziodemographische und wirtschaftliche Rahmenbedingungen, zeitliche Entstehung und räumliche Verteilung der Einwanderung) bei der gegenwärtigen Situation im Umgang mit Vielfalt existiert.

Darüber hinaus ergibt sich im Allgemeinen ein Zusammenhang zwischen den sozio-ökonomischen Daten eines Bundeslandes und dem Umgang bzw. der Wahrnehmung von Vielfalt. Also verkürzt: Gute Sozialpolitik bedeutet letztendlich auch gute Vielfaltspolitik.

Größte Mängel in allen Bundesländern sind in den Bereichen politische und gesellschaftspolitische Mitgestaltungsmöglichkeiten von Migranten zu sehen, vielleicht auch weil es einen Bereich betrifft, der außerhalb der klassischen Sozialpolitik liegt. Das deckt sich mit den Analysen anderer Quellen über die Integrationspolitik in Deutschland, dass die Stärke hierzulande die Arbeitsmarktintegration darstellt, die gesellschaftliche Teilhabe aber noch nicht gleichermaßen entwickelt ist.

Sie finden den kompletten Bericht „Vielfaltsmonitor: Studie zum Umgang mit ethnischer und religiöser Vielfalt in Deutschland“ einschließlich einer interaktiven Visualisierung der Indikatorenwerte unter http://www.efms.uni-bamberg.de/pinevbfvd.htm.