Die Illustration zeigt eine dynamische Szene im Umfeld des Deutschen Bundestags: Eine Frau in Businesskleidung eilt mit Handy und Aktenkoffer durch einen Flur, gefolgt von einem gestressten Mann mit Unterlagen. Ihnen entgegen kommt ein Journalist mit Mikrofon und Aufnahmegerät.

Ex-Abgeordnete ziehen Bilanz: Wie der Bundestag besser funktionieren könnte

Bundestagsabgeordnete stehen unter hoher Belastung, kämpfen mit ineffizienten Abläufen und der schwierigen Vereinbarkeit von Familie und Mandat. Die Einschätzungen von dreißig Abgeordneten, die während oder zum Ende der letzten Legislaturperiode ausgeschieden sind, zeigen: Bei der Digitalisierung, den parlamentarischen Abläufen und Kontrollrechten sind Verbesserungen nötig. Ein optimiertes Unterstützungsangebot für die Abgeordneten könnte außerdem die Effektivität parlamentarischer Arbeit deutlich steigern und den Bundestag zukunftsfähiger machen.

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Carlo Greß
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Dr. Finn Heinrich
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Während der vergangenen Legislaturperiode haben sich mehr als 150 Bundestagsabgeordnete freiwillig dazu entschieden, aus dem Parlament auszuscheiden. Mit ihnen verliert der Bundestag jahrelange Erfahrung in den parlamentarischen Strukturen. Um diesen Erfahrungsschatz für die Stärkung der Demokratie nutzbar zu machen, hat die Bertelsmann Stiftung für die Studie "Arbeitsplatz Bundestag. Reformbedarf im Maschinenraum der Demokratie" Tiefeninterviews mit 30 kürzlich ausgeschiedenen Abgeordneten geführt. Die Interviews eröffnen einen selten offenen Blick hinter die Kulissen des Parlaments und auf die Herausforderungen, mit denen sich Bundestagsabgeordnete konfrontiert sehen.

Die Ergebnisse zeigen: Auch wenn der Bundestag seinen zentralen Aufgaben der Repräsentation, Gesetzgebung und Regierungskontrolle nachkommt, geht dieser Funktionserhalt jedoch mit hohen individuellen Belastungen für viele Abgeordnete einher. Nach Aussagen der Abgeordneten ist der Bundestag bei Themen wie Digitalisierung, Work-Life-Balance, modernen Führungskompetenzen, Umgang mit sozialen Medien oder einer aggressiven Debattenkultur noch nicht adäquat aufgestellt.

Viele dieser Belastungen könnten jedoch durch bessere Unterstützung und gezielte Prozessanpassungen stark reduziert werden. "Die Leistungsfähigkeit unserer Demokratie hängt auch davon ab, wie gut die Rahmenbedingungen für politische Amtsträger:innen sind. Dies betrifft sowohl moderne Strukturen und Verfahren als auch eine wertschätzende politische Kultur im politischen Betrieb, der medialen Öffentlichkeit und der Gesellschaft als Ganzes", sagt unser Demokratie-Experte und Ko-Autor der Studie, Finn Heinrich.

Durch verbesserte Rahmenbedingungen würde nicht nur die Effektivität der parlamentarischen Arbeit und die Attraktivität des Berufs als Politiker:in gestärkt; sie hätten auch positive Auswirkungen auf die gesamte politische Kultur und das Verhältnis zwischen Bürger:innen und Politiker:innen.

Die Leistungsfähigkeit unserer Demokratie hängt auch davon ab, wie gut die Rahmenbedingungen für politische Amtsträger:innen sind.

Finn Heinrich, Demokratie-Experte der Bertelsmann Stiftung und Ko-Autor der Studie

Wo Abgeordnete den größten Reformbedarf sehen

Häufig nennen ausgeschiedene Abgeordnete ineffiziente und bürokratische Prozesse sowie mangelhafte Digitalisierung parlamentarischer Abläufe als eines der Hemmnisse für wirksame Arbeit. So mangelt es häufig an einer digitalen Aufbereitung von Informationen und Dokumenten, die zentral für die Abgeordnetentätigkeit sind. Auch wachsende bürokratische Anforderungen in der Leitung des Abgeordnetenbüros oder zu volle Tagesordnungen sowie späte Plenardebatten und Abstimmungen erschweren den Abgeordneten die Vereinbarkeit von Familie und Mandat. Hier wünschen sich viele Abgeordnete größere Flexibilität, insbesondere familienfreundlichere Arbeitszeiten. 

Die Studie der Bertelsmann Stiftung "Arbeitsplatz Bundestag. Reformbedarf im Maschinenraum der Demokratie" macht zudem deutlich, dass parlamentarische Einflussmöglichkeiten eng an die Zugehörigkeit zu einer Regierungsfraktion geknüpft sind. Die Befragten schilderten, dass mit dem Wechsel in die Opposition Ressourcen, Netzwerke und Handlungsspielräume spürbar eingeschränkt werden. 

Verbesserte Arbeitsbedingungen für ein gestärktes Parlament

Die vielfältigen Perspektiven der Abgeordneten zeigen: Zwar funktioniert das Parlament als Institution insgesamt stabil. Dies geschieht jedoch vielfach zum Preis erheblicher individueller Belastungen der Abgeordneten. Kollektive oder strukturelle Antworten auf diese Herausforderungen fehlen.  

Deshalb sollten Prozesse und Unterstützungsangebote an veränderte Realitäten angepasst werden – etwa durch eine bessere Vereinbarkeit von Mandat und Care-Arbeit, zum Beispiel durch eine familienfreundlichere Planung der Sitzungstermine. Ebenso wichtig sind der Ausbau der digitalen Infrastruktur im Parlamentsbetrieb, vor allem bei der Digitalisierung von Gesetzgebungsverfahren, sowie die Vermittlung von modernen Führungskompetenzen bei Abgeordneten, die auch den Umgang mit Fragen zur mentalen Gesundheit und sozialen Medien umfassen. Generell könnten Befragungen der Parlamentarier:innen, wie die für diese Studie durchgeführten Exit-Interviews, sowie anderer im Bundestag tätigen Personengruppen eine wichtige Grundlage solcher Unterstützungsangebote liefern. Neben verbesserten Arbeitsbedingungen und Unterstützungsstrukturen sehen die Befragten außerdem die Notwendigkeit, die Kontrollrechte des Parlaments gegenüber der Exekutive nachhaltig zu stärken. Hier könnten kürzere Fristen für Regierungsantworten und stärkere Transparenzvorgaben im Gesetzgebungsprozess wirksame Hebel sein. Zusammengenommen könnten solche Anpassungen einen wichtigen Beitrag dazu leisten, dass die Parlamentarier:innen sich vermehrt ihrer eigentlichen politischen Arbeit und damit dem Schutz, der Gestaltung und der Weiterentwicklung unseres demokratischen Gemeinwesens widmen können. 

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