Pflegerin und Pflegebedürftige sitzen auf einem Bett.

Transparenz an Verbraucherbedarf ausrichten

Der sogenannte Pflege-TÜV wird derzeit überarbeitet. Die Weisse Liste hat mit Experten ein Reformkonzept entwickelt, das zeigt, wie verbraucherorientierte Qualitätsberichterstattung in der Pflege aussehen kann.

Projektteam

Foto Josip Stjepanović
Josip Stjepanović
Projektmanager Kommunikation

Die öffentliche Qualitätsberichterstattung über Pflegeanbieter (Public Reporting) muss sich am Informationsinteresse und an den Bedürfnissen der Verbraucher orientieren. Das ist die zentrale Aussage eines Reformkonzepts zum sogenannten Pflege-TÜV, das das Projekt „Weisse Liste“ jetzt veröffentlicht hat. Die Reformvorschläge sehen unter anderem vor, die Lebensqualität der Pflegebedürftigen in den Mittelpunkt der Berichterstattung zu stellen, das Erfahrungswissen von Pflegebedürftigen, Angehörigen und Mitarbeitern systematisch einzubeziehen und erstmals Informationen zur Personalausstattung flächendeckend zu veröffentlichen. Kern der Vorschläge ist ein Prototyp zur Qualitätsberichterstattung im Internet.

„Bisher gibt es kaum aussagekräftige Informationen zur Qualität von Pflegeanbietern. Die Pflegenoten machen Unterschiede zwischen Anbietern nicht deutlich, es fehlen Daten zu den Aspekten, die Pflegebedürftigen und Angehörigen bei der Anbieterwahl extrem wichtig sind“, sagt Uwe Schwenk, Programmleiter bei der Bertelsmann Stiftung. Jetzt bestehe die Chance, den Pflege-TÜV an den Verbrauchern auszurichten – denn für diese sei er primär gedacht. „Unser Konzept geht genau in diese Richtung. Es wurde im engen Austausch mit Experten entwickelt und wir laden alle Beteiligten ein,  die Vorschläge mit uns weiter zu diskutieren“, so Schwenk.

Website und Prototyp mit Reformvorschlägen
Das Projekt „Weisse Liste“ hat die Reformvorschläge für die Qualitätsberichterstattung in der Pflege auf einer speziellen Website und in Form eines Prototyps für ein Online-Angebot aufbereitet. 

Zur Website „Reformkonzept: Verbraucherorientierte Qualitätsberichterstattung in der Pflege"

 

Hintergrund: Kaum Transparenz bei Pflegeanbietern
Die Zahl der Pflegebedürftigen in Deutschland wird auch in den kommenden Jahren weiter wachsen. Schon jetzt sind rund 2,6 Millionen Menschen pflegebedürftig, bis zum Jahr 2030 könnte diese Zahl auf bis zu 3,4 Millionen steigen. Auch wenn ein hoher Anteil dieser Menschen zu Hause von Angehörigen versorgt wird, steigt der Bedarf an professioneller Pflege. Betroffene stellen sich die Frage, woran sie die Qualität eines Pflegedienstes oder eines Pflegeheimes erkennen können.

Transparenzberichte und Pflegenoten sollten Pflegebedürftigen und Ihren Angehörigen bei der Wahl einer Pflegeeinrichtung als Entscheidungshilfe dienen. Allerdings hat dieses 2009 eingeführte System für öffentliche Qualitätsberichterstattung in der Pflege das Ziel verfehlt. Die Pflegenoten unterschieden sich kaum voneinander und geben die in der Praxis vorhandenen Qualitätsunterschiede nicht wieder. Verbrauchern fehlen somit die Informationen, die nötig sind, um eine informierte Entscheidung zu treffen.

Pflege-TÜV wird reformiert
Der Gesetzgeber hat mit Inkrafttreten des zweiten Pflegestärkungsgesetzes (PSG II) den Qualitätsausschuss – ein Gremium bestehend aus Vertretern von Pflegekassen und Pflegeanbietern – mit der Entwicklung eines neuen Systems für die Qualitätsberichterstattung auf wissenschaftlicher Grundlage beauftragt. Die Patienten- und Verbraucherverbände sind in diesem Ausschuss zwar vertreten, haben aber kein Stimmrecht. „Offen ist noch, ob die Interessen der Pflegedürftigen ausreichend berücksichtigt werden“, so Uwe Schwenk.

Unser Ansatz: Lebensqualität im Vordergrund
In der gegenwärtigen Reformdebatte werden gesundheitsbezogene Informationen zur Pflegequalität stark betont, etwa die Frage nach der Verhinderung von Druckgeschwüren oder dem Auftreten von Stürzen. Bei der Darstellung dieser Informationen kommt es darauf an, die Prüfergebnisse verständlich zusammenzufassen, ohne Unterschiede zu nivellieren. Der Lösungsvorschlag im Konzept lautet, vor negativ auffälligen Anbietern zu warnen und besonders gute zu hervorzuheben. „Solche Qualitätsinformationen, die sich auf Ergebnisse von Pflegetätigkeiten beziehen, sind essentiell, reichen jedoch im Entscheidungsprozess der Betroffenen für oder gegen eine Einrichtung nicht aus“, so Johannes Strotbek, Projektmanager bei der Weisse Liste gemeinnützige GmbH. Das bestätigt auch eine Untersuchung der Weissen Liste aus dem Jahr 2016. Befragt wurden Betroffene, die auf der Suche nach einer Einrichtung waren. Das Ergebnis: Betroffenen sind Angaben zur fachlichen Qualität der Pflege ebenso wichtig wie viele weitere Aspekte, die die Lebensqualität beeinflussen, sowie Fragen, die sich auf die Anzahl und Qualifikation der Mitarbeiter von Pflegeeinrichtungen beziehen.

Pflegebedürftige und ihre Angehörigen möchten demnach bei der Wahl einer Einrichtung sicher gehen, dass dort für sie eine möglichst hohe Lebensqualität erreichbar ist und brauchen dafür Anhaltspunkte. „Beispiel Personaleinsatz im Pflegeheim: im Ausland, etwa in den USA oder in der Schweiz, ist es übliche Praxis, dass über die Personalausstattung öffentlich informiert wird“, sagt Strotbek. Dabei passt das heute verfügbare Informationsangebot nicht zum Informationsbedarf. Über die wichtigsten Kriterien fühlen sich die Befragten am wenigsten gut informiert.

Nutzerbefragung – Informationsbedarf passt nicht zum Informationsangebot

Unser Vorschlag: Verpflichtender Strukturbericht – gekoppelt mit Erfahrungswissen
Viele Aspekte der Lebensqualität werden auch durch strukturelle Merkmale der Pflegeanbieter beeinflusst, beispielsweise durch Angebote zur Beschäftigung und sozialer Teilhabe, die Vor-Ort-Versorgung durch Ärzte und Therapeuten, religiöse Angebote oder schlicht die Verfügbarkeit von Gemeinschaftsräumen oder Gartenflächen. Daher sieht das Konzept vor, auch solche Aspekte zu erheben und zu veröffentlichen. „Viele relevante Informationen lassen sich jedoch nur schwer oder überhaupt nicht von außen anhand von Indikatoren prüfen oder messen“, sagt Strotbek. Eine besondere Rolle sollte deshalb dem Erfahrungswissen der an der Pflege Beteiligten zukommen. „Neben den Pflegebedürftigen selbst haben die Angehörigen häufig einen sehr direkten Eindruck von der Qualität der Versorgung. Entsprechend sollte man deren Wissen einbeziehen“, sagt Strotbek. Eine besondere Bedeutung könne auch der Erfahrung der Mitarbeiter von Pflegediensten und Einrichtungen zukommen. „Die Mitarbeiter sind diejenigen, die eine unmittelbare Einschätzung zur Qualität der Einrichtung abgeben könnten – und sei es durch die Abbildung der Arbeitszufriedenheit.“ Wenn man die Erfahrungen systematisch mittels Befragungen oder Online-Freitexten erhebe, könnten Nutzer dadurch einen tieferen Einblick in das Leben im Heim oder Arbeit des Pflegeanbieters gewinnen.

Die Reformvorschläge im Überblick

Die Reformvorschläge im Überblick:

Online-first-Prinzip

Informationen müssen leicht zugänglich, verständlich und aktuell sein. Das gelingt besonders gut im jederzeit von überall aus zugänglichen Internet.

Einführung eines verpflichtenden Strukturberichts

Neben Informationen zu gesundheitsbezogener Pflegequalität sollen hier weitere Merkmale, welche die Lebensqualität und das Wohlbefinden beeinflussen, enthalten sein.

Erhebung und Veröffentlichung personalbezogener Indikatoren

Die Anzahl und Qualifikation des Pflege- und Betreuungspersonals ist der entscheidende Faktor für gute Qualität.

Darstellung der Pflegequalität

Warnen und Empfehlen ist relevanter als gradueller Vergleich. Qualitätsergebnisse sollten so zusammengefasst werden, dass vor den besonders schlechten Pflegeanbietern gewarnt wird und als Anreiz für Qualitätsverbesserungen besonders gute Anbieter sichtbar werden.

Erschließung und Veröffentlichung des Erfahrungswissens von an der Pflege Beteiligten

Pflegebedürftige, Angehörige und Mitarbeiter können über ihre Erfahrungen Informationen aus erster Hand liefern, die für Betroffene hilfreich sind.

Open-Data-Prinzip und effizientes Datenmanagement

Die im Rahmen des Public Reporting erhobenen Daten sollten der Öffentlichkeit zur freien Verfügung und Nutzung bereitgestellt werden.