Die Konkurrenz mit China muss der Westen nicht fürchten. Offene Gesellschaften werden immer innovativer sein als Ordnungen, die sich abschotten und den Ideenstreit unterdrücken. Die Auseinandersetzung mit China ist kein Wettbewerb um das überlegene Modell, sondern ein klassischer Großmachtkonflikt, bei dem es um die Verteilung von politischer und wirtschaftlicher Macht geht, um militärische Stärke und kulturellen Einfluss.
China hätte auch Demut zeigen können, als vor einem Jahr von Wuhan aus das Coronavirus seinen zerstörerischen Weg um die Welt antrat. Stattdessen verkündete die Regierung in Peking nach einem rigorosen, 76 Tage währenden Lockdown, in dem die zentralchinesische Metropole komplett abgeschottet wurde, stolz den Sieg im „Volkskrieg“ gegen die Krankheit. Verantwortungsvolle politische Führung, schnelles Handeln, Selbstlosigkeit und Heroismus – der Erfolg im Kampf gegen das Virus habe einmal mehr die Überlegenheit des chinesischen Systems bewiesen.
Doch der Rest der Welt wollte vom „Modell China“ nichts hören. Dort war vielmehr der Zorn groß, dass die chinesischen Behörden den Ausbruch der Seuche wochenlang vertuscht hatten. Hätte China schneller und transparenter reagiert, die Pandemie hätte vielleicht nicht ihre tödliche Wucht entfaltet. Im Übrigen bewiesen demokratisch regierte asiatische Länder wie Südkorea, Taiwan und Japan, dass auch freiheitliche Gesellschaften die notwendige Disziplin zur Bekämpfung des Virus aufbringen können.
Chinas verunglückte „Maskendiplomatie“ – Lieferung von Schutzkleidung gegen öffentlich bekundete Dankbarkeit – und das aggressive Auftreten mancher Botschafter Pekings („Wolfskrieger“) fügten dem Ansehen der Volksrepublik weiteren Schaden zu. In Deutschland, das zeigte eine im Auftrag der EU zwischen dem 1. September und dem 6. Oktober 2020 durchgeführte Umfrage, verschlechterte sich das Image der Volksrepublik deutlich. Bei 62,5 Prozent der Befragten überwog nun das Misstrauen.
Die Stimmung kippte schon vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie
Die Desillusionierung im Umgang mit China hatte aber schon vor der Corona-Pandemie begonnen. Die Stimmung kippte, als sich mit dem Amtsantritt Xi Jinpings 2012 die Repression im Inneren verschärfte und das Land nach außen immer aggressiver auftrat. Die Perfektionierung des Überwachungsapparats, die Ausweitung der Zensur, der Kampf gegen „westliche Werte“, die Verfolgung von Minderheiten wie den muslimischen Uiguren: Dies alles summierte sich zu einer autoritären Wende rückwärts und wurde außerhalb Chinas auch so wahrgenommen. Hinzu kamen der Abbau des Rechtsstaats in Hongkong und die sich häufenden Drohungen gegen Taiwan. Auf der Insel wurde die Formel „Ein Land, zwei Systeme“, die sich Deng Xiaoping ursprünglich für Taiwan ausgedacht hatte, durch die Unterdrückung der Demokratiebewegung in Hongkong endgültig diskreditiert.
Selbstbewusst, geradezu herrisch meldete Peking seinen Führungsanspruch in der internationalen Politik an. Gegen den Widerstand der übrigen Anrainerstaaten setzte China die Militarisierung des Südchinesischen Meeres fort. Mit Indien lieferte es sich im Sommer 2020 ein Grenzgefecht, bei dem zwanzig indische Soldaten starben. Australien, das eine unabhängige Untersuchung des Corona-Ausbruchs in Wuhan forderte und den Technologiekonzern Huawei vom Bau seines 5G-Mobilfunknetzes ausschloss, wurde von Peking mit Einfuhrbeschränkungen bei Gerste, Rindfleisch, Wein, Holz und Kohle bestraft. „Wenn ihr China zum Feind macht, wird China der Feind sein", drohte ein Regierungsbeamter in Peking.
Chinas Politik läuft auf eine Spaltung Europas hinaus
Im Sommer 2020 konnte man den Eindruck gewinnen, China lege sich gerade mit der halben Welt an. Das Verhältnis zu Europa hatte sich schon vorher eingetrübt. Zwar hatte Peking immer wieder beteuert, die europäische Einheit zu unterstützen. Tatsächlich aber lief seine Politik auf eine Spaltung Europas hinaus. Das zeigte sich bei der Zusammenarbeit mit erst sechzehn, dann siebzehn zentral- und südosteuropäischen Staaten („17+1“), und beim Versuch, EU-Mitglieder wie Griechenland und Italien in die Belt and Road Initiative („Neue Seidenstraße“) einzubinden. 2019 verlangte der französische Staatspräsident Emmanuel Macron ein „Ende der Naivität“ im Umgang Europas mit China. Macron zeigte sich irritiert von der Bereitschaft einiger EU-Staaten, sich der „Neuen Seidenstraße“ anzuschließen.
Im selben Jahr legte die Europäische Kommission ein Grundsatzpapier zur Chinapolitik vor. Darin definierte sie die Volksrepublik nicht nur als Partner und wirtschaftlichen Wettbewerber, sondern zugleich als einen „systemischen Rivalen, der alternative Modelle des Regierens fördert“. Kurz zuvor hatte auch der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) China einen „systemischen Wettbewerber“ genannt und 54 Forderungen an die Bundesregierung und an die EU gerichtet, um deutsche und europäische Unternehmen besser gegen chinesische Konkurrenz zu schützen. Wie die USA, wenn auch nicht ganz so laut, kritisierten die Europäer die Wettbewerbsverzerrungen durch staatliche Subventionen für chinesische Unternehmen, den fortgesetzten Diebstahl geistigen Eigentums und den erzwungenen Technologietransfer. Europas Wirtschaft wollte endlich nach den gleichen Spielregeln („level playing field“) gegen ihre chinesische Konkurrenz antreten können.