Tablet mit einer Karikatur, die drei Figuren zeigt, die China, die USA und Europa symbolisieren

Europa muss sich der technologischen Herausforderung durch China stellen

   von Martin Winter

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Der Systemwettbewerb mit China hat viele Facetten. Entscheiden aber wird er sich bei den Zukunftstechnologien. Will Europa hier nicht abgehängt werden, dann braucht es jetzt eine offensive Technologie- und Industriepolitik. Ob bei Batterien, Mikroprozessoren oder KI – Europa muss Champions auf die Beine stellen. Unternehmen, die global bestehen und die Europas strategische Unabhängigkeit sichern.

Zwischen dem Westen und China zieht ein Konflikt der gefährlicheren Art herauf, weil die Beteiligten zu lange in Irrtümern übereinander verfangen waren. Die Chinesen glaubten, ungestraft damit durchzukommen, die in den USA, in der EU und in der WTO herrschenden, liberalen Wirtschaftsregeln missbräuchlich zum eigenen Vorteil ausnutzen zu können. In Washington und Brüssel setzte man auf der anderen Seite, geblendet durch den Sieg des Westens im Kalten Krieg, darauf, dass China sich dem westlichen Politikmodell schon anschließen werde, wenn es erst einmal die süßen Früchte des Kapitalismus probiert habe. So waren beide Seiten mehr von ihren Wünschen als von der Einsicht in die Realitäten getrieben.

Der Wirklichkeit dieser, trotz gelegentlicher Spannungen, für beide Seiten bislang ökonomisch fruchtbaren, wenn auch politisch ungemütlichen Beziehung, nähern sich die Europäer mittlerweile mit der Diskussion über einen Systemwettbewerb an, vor dem der Bundesverband der Deutschen Industrie Europa stehen sieht. In Brüssel spricht man von systemischer Rivalität. Es geht also nicht mehr nur um unfaire Praktiken. Sondern es geht um die Frage, wie die Welt gestaltet wird. Und wer sie gestaltet. In der EU vollzieht sich ein chinapolitischer Paradigmenwechsel von der strategischen Partnerschaft zur Systemrivalität. Das muss Folgen für die wirtschaftliche und technologische Aufstellung Europas haben. Es geht darum, Abhängigkeiten von Zulieferungen zu reduzieren und die eigene Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen. Manche sehen sogar schon einen neuen Kalten Krieg heraufziehen. Kehrt der Großkonflikt des 20. Jahrhunderts also als Wiedergänger im 21. Jahrhundert zurück?

Wohl eher nicht. China ist, anders als die Sowjetunion zur Zeit der Blockkonfrontation, ein integraler Teil der Globalisierung und fest mit den Industrieländern des Westens über Investitionen, Technologieentwicklung, Wertschöpfungsketten, Handel und Finanzen verwoben. China braucht den Westen und der Westen braucht China. Die schlichte Formel vom Reich des Bösen, deren sich die Falken in Washington bedienen, führt politisch in die Irre. Denn der Kern des Konfliktes ist nicht ideologisch, sondern es geht um den Erwerb und um die Umsetzung von wirtschaftlicher in politische Macht – weltweit. Die kommunistische Weltrevolution findet sich nicht auf dem Arbeitszettel von Xi Jinping. Auf diesem steht vielmehr ganz oben, die Alleinherrschaft der Partei in Peking durch eine ständige Wohlstandsmehrung des Volkes und durch eine nationalistische Renaissance Chinas zu sichern. Um das zu erreichen, muss China die Hegemonie des Westens über jene Regeln brechen, die die Welt ordnen. Universelle Menschenrechte, Multilateralismus, faires Verhalten in Wirtschaft und Handel und eine globale Finanzwirtschaft mit dem US-Dollar im Zentrum. Es geht aber auch um Sicherheit, etwa um die Frage, wer die wichtigsten Handelswege der Welt kontrolliert.

„Der Systemwettbewerb mit China wird sich bei den Zukunftstechnologien entscheiden. Will Europa hier nicht abgehängt werden, dann braucht es jetzt eine offensive Technologie- und Industriepolitik.“

Um seine Ziele zu erreichen, hat China ein stabiles Netz von Partnerschaften geknüpft und viel Geld rund um die Welt in Staaten und in Industrien investiert. Seine zwei wichtigsten Hebel sind dabei das Projekt Neue Seidenstraße und Made in China 2025. Letzteres ist für die Europäer von besonderer Bedeutung, denn es ist eine Kampfansage: China will mit diesem Programm technologisch auf Augenhöhe mit den USA kommen und Europa, das es auf einigen Feldern schon hinter sich gelassen hat, weiter distanzieren. Xi hat erkannt, dass China im globalen Wettbewerb so lange nicht erfolgreich bestehen kann, so lange die USA die Schlüsselstellungen für die technische und wirtschaftliche Entwicklung besetzt halten, vor allem  bei der Produktion von Halbleitern, der Entwicklung Künstlicher Intelligenz (KI) oder dem Aufbau großer Datenverarbeitungssysteme. Die wichtigsten Elemente der Industrie 4.0 werden (noch) im Silicon Valley entwickelt und produziert. Welche Macht das den USA verschafft, hat Peking schmerzhaft spüren müssen, als Donald Trump den Verkauf von Halbleitern an chinesische Unternehmen untersagte. Auch den Europäern wurde ihre technologische Abhängigkeit zu einer bitteren Lehre, als Trump europäischen Halbleiterproduzenten mit einem Zulieferstopp drohte, falls sie weiter an China verkaufen.

Auf die amerikanische Attacke hat Peking mit einer massiven Erhöhung der Mittel für den Ausbau seiner Halbleiterproduktion reagiert und seinen neuen Fünf-Jahres-Plan entsprechend zugeschnitten. China will sich in Schlüsselbereichen so weit unabhängig machen, dass das ökonomische Sanktionsschwert der USA stumpf wird. Mit dem Aufbau einer globalen Führungsposition auf Gebieten wie Mobilität, KI, alternative Energie und Automation strebt Peking nicht nur eine technologische Weltmachtposition an. Sein Kalkül reicht weiter: Indem es den Menschen in Asien, in Afrika, in Südamerika und in einigen Teilen Europas beweist, dass das chinesische Modell für sie ökonomisch erfolgreicher ist, als das des Westens, glaubt China, die USA und Europa im globalen Rennen um die Gestaltung des 21. Jahrhunderts schlagen zu können.

„Es geht also nicht mehr nur um unfaire Praktiken. Sondern es geht um die Frage, wie die Welt gestaltet wird. Und wer sie gestaltet.“

Versagt Europa in diesem Wettbewerb um die Zukunftstechnologien, dann gerät es in tiefe Abhängigkeiten von Produzenten in Amerika oder in Asien. Abhängigkeiten, die sich in politische Macht gegen Europa ummünzen lassen. Deswegen macht es auch keinen Sinn, wenn die Europäer ihr Heil im Windschatten der USA suchen. Wer immer in Washington regiert, wird allemal zuerst amerikanischen Interessen folgen, ohne Rücksicht auf die Europäer – und von Fall zu Fall auch gegen sie, wie sich unter Trump gezeigt hat.

In diesem globalen Wettbewerb muss Europa in die Offensive gehen. Emmanuel Macron hat dafür den Begriff der Souveraineté Européenne geprägt. Auf China gemünzt heißt das: Die Europäer müssen anfangen, konzentriert Technologie- und Industriepolitik zu betreiben. Sie müssen Kompetenzen und Produktionen aufbauen für alles, was wirtschaftliche Macht in Gegenwart und Zukunft verschafft: Halbleiter, KI, Batterien, Roboter, Datenverarbeitung, elektronischer Euro, Kommunikation und Mobilität. Auf allen diesen Feldern hängt Europa hinterher. In Brüssel ist man sich der chinesischen Herausforderung zwar bewusst. Und in einzelnen Programmen finden sich Investitionsmittel für die Industrien der Zukunft. Aber das ergibt noch nicht, was dringend erforderlich ist: eine geballte Konzentration auf die europäischen Schwachstellen. Europa hilft nur noch ein großer technologischer Sprung. Zum Beispiel Batterien. Batterien sind das Öl des 21.Jahrhunderts. Frankreich und Deutschland haben zwar eine gemeinsame R&D-Einrichtung dafür geschaffen. Aber das reicht nicht. Nur wer Spitzentechnologie entwickelt UND die dazugehörigen Produktionskapazitäten hat eine Chance im Wettbewerb. Zum Beispiel Halbleiter: Hier gilt das Gleiche wie bei Batterien. Ohne Mikroprozessoren läuft nichts und darum ist es vernünftig für einen Industriekontinent wie Europa, vom Importeur zum Exporteur zu werden. Mit dem Airbus haben europäische Staaten gezeigt, was sie auf die Beine stellen können, wenn sie nur wollen. Solch eine Anstrengung braucht es nun auf den Gebieten der Zukunftstechnologien. Die Europäische Union wird das nicht leisten können. Ihre Verfahren sind zu schwerfällig und nationale Egoismen stehen Forschungs- und Wirtschaftsvernunft zu oft im Wege, wie sich beim Aufbau des europäischen Navigationssystems Galileo gezeigt hat. Unabhängig vom engen Korsett der Gemeinschaftsinstitutionen sollten die starken Industrieländer die Initiative übernehmen sowie Finanzen und Organisation bereitstellen. Das schwächt die EU nicht, das stärkt sie, weil es Europa langfristig wettbewerbsfähiger macht.

„In der EU vollzieht sich ein chinapolitischer Paradigmenwechsel von der strategischen Partnerschaft zur Systemrivalität.“

Um dieses Ziel zu erreichen, muss die Politik, allen voran die deutsche, über ihren neoliberalen Schatten springen. Der Staat kann Wirtschaft und in diesen Zeiten muss er sie können. Wer darauf setzt, dass die Unternehmen am besten wissen, in welche Zukunftsindustrien sich zu investieren lohnt, der wird verlieren. Das Beispiel der faktisch nicht existierenden Batterie-Industrie in Europa ist dafür der schlagender Beweis. Wenn Europa im Wettlauf mit China abgehängt wird, dann verliert es nicht nur ökonomisch. Dann schlägt dem Modell Europa auch die letzte Stunde. 

 

Über den Autor

Martin Winter ist Journalist und Publizist. Er war Korrespondent erst der Frankfurter Rundschau und dann der Süddeutschen Zeitung und berichtete aus Bonn, Washington und Brüssel. Im September 2019 erschien von ihm das Buch „China 2049. Wie Europa versagt“.

Der Beitrag gibt die persönliche Meinung des Autors wieder.