Zwischenwahlen in den USA. Mann hält Stimmzettel über Wahlurne

Wie entscheidet sich der Kampf um den Kongress?

Die US-Zwischenwahlen im November sind mehr als nur ein Referendum über Präsident Joe Biden. Um die Wählergunst gerungen wird mit Themen wie Inflation, Abtreibung und Kriminalität. Noch ist schwer vorhersehbar, welche Weichen sich für die Präsidentschaftswahlen 2024 stellen werden.

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Dr. Christof Schiller
Senior Project Manager

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Von MARTIN THUNERT

Anfang 2022 sah es so aus, als würde sich das Ergebnis von 2018, als die Republikanische Partei von Ex-Präsident Donald Trump ihre Mehrheit im Repräsentantenhaus verlor, bei den Zwischenwahlen am 8. November wieder umdrehen. Umfragen prognostizierten einen Aufstand der Wähler gegen den amtierenden Präsidenten Joe Biden. Die knappen Mehrheiten der Demokratischen Partei im Repräsentantenhaus und im US-Senat drohten verloren zu gehen. Obwohl auch die Geschichte lehrt, dass die Regierungspartei bei den Zwischenwahlen meistens Sitze einbüßen muss, begann sich das Blatt im Laufe des Sommers zu wenden. Ein Blick in den Länderbericht USA (2022) der Sustainable Governance Indicators (SGI) der Bertelsmann Stiftung kann helfen zu erklären, warum die Zwischenwahlen dieses Mal so schwierig vorherzusehen sind.

Das Ranking der Zukunftsfähigkeit von 41 Staaten der OECD und EU im SGI 2022 zeigt, dass die USA beim nachhaltigen und langfristorientierten Regieren nach wie vor schlecht abschneiden (Rang 33). Auch bei der Bewertung der Wirtschaftspolitik – ein Thema, das für nahezu alle US-Wähler von großer Bedeutung ist – erreichen die USA nur Mittelmaß (Rang 22). Andererseits stellt der USA-Bericht für das erste Jahr der Biden-Administration fest: „2021 erreichte das sich schnell erholende BIP-Wachstum wieder ein robustes Niveau.“ Bereits unter dem früheren Präsidenten Trump waren massive Nothilfen angestoßen worden. Sie „umfassten Zahlungen an Einzelpersonen und Unternehmen sowie erweiterte Steuergutschriften und Arbeitslosenunterstützung.“ Angesichts der sich seit den Trump-Jahren leicht verbessernden Werte politischer Indikatoren, insbesondere im Bereich der Wirtschaft, ist eine vernichtende Niederlage der Mehrheitspartei des amtierenden Präsidenten daher eher unwahrscheinlich, auch wenn ein Scheitern nicht völlig ausgeschlossen werden kann.

Nach dem SGI-Ranking sind die USA das am stärksten parteipolitisch polarisierte Land. Beide Seiten der politisch gespaltenen Wählerschaft werden in diesem Wahljahr an die Urnen streben – wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Besonders ein Ereignis stimmte die Demokraten zunächst optimistisch, die Verluste der Partei eindämmen zu können: die Ende Juni vom Obersten Gerichtshof getroffene Entscheidung in der Rechtssache Dobbs v. Jackson Women's Health Organization, die das seit der Entscheidung Roe v. Wade von 1973 bestehende landesweite verfassungsmäßige Recht auf Abtreibung beendet. Zumindest anfänglich hatte dieses Urteil einen erheblichen mobilisierenden Effekt, vor allem auf Frauen, und lenkte sie in Richtung der demokratischen Kandidaten. Umfragen aus dem Spätsommer 2022 legten dagegen nahe, dass der Erfolg des US-amerikanischen Konservatismus, nach jahrzehntelangen Bemühungen Roe v. Wade zu Fall gebracht zu haben, bei konservativen Wählern wenig wahlmobilisierend wirkte. Zufriedene Behäbigkeit machte sich in den amerikanischen Kleinstädten, die eher republikanisch stimmen, breit. Doch allerjüngste Umfragen zeigen, dass Wirtschaftsthemen die Bedeutung des Abtreibungsthemas schrumpfen lassen.

Der Trump-Effekt

Eine zentrale und polarisierende Figur bleibt Ex-Präsident Trump. Nach wie vor verbreitet er die Mär von der gestohlenen Wahl 2020. Im Blickpunkt der Öffentlichkeit blieb er zudem durch den Untersuchungsausschuss des Repräsentantenhauses zum Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021 und die Ermittlungen zu seinem Umgang mit geheimen Dokumenten. Infolgedessen konzentriert sich der Wahlkampf der Demokraten auf die akute Gefährdung der US-amerikanischen Demokratie, die von Trump und seinen Anhängern ausgehe. Diese Strategie ist zwar naheliegend, birgt in Anbetracht der SGI-Ergebnisse 2022 jedoch auch Risiken.

Einerseits stellt der USA-Bericht fest, dass die „Spannungen bei der Durchführung von Wahlen zunehmen“ und „das Wahlrecht zu einem brisanten Thema geworden ist, da die Republikaner versuchen, Stimmen von Menschen mit niedrigem Einkommen und Minderheiten zu unterdrücken.“ Andererseits ist es den Demokraten trotz ihrer Mehrheit mangels partei-interner Geschlossenheit bislang nicht gelungen, eine entscheidende Wahlrechtsreform im Kongress durchzubringen. Bezogen auf die Qualität der Demokratie liegen die Vereinigten Staaten noch immer im oberen Mittelfeld (Rang 15). Es ist daher fraglich, ob das Thema wirklich zur massiven Mobilisierung noch unentschlossener Wähler taugt.

Zur Freude der republikanischen Wählerschaft liegt die Zustimmung zu Präsident Biden bei deutlich unter 50 Prozent, allerdings war sie vor einigen Monaten noch weit niedriger. Was den potenziellen Wählern insgesamt am meisten Sorgen bereitet, ist nach Umfragen weder das Abtreibungsrecht noch die Demokratie, sondern die Inflation. Da jüngste Wirtschaftsdaten auf ein Anhalten der Inflation hindeuten, wird sich daran auch wenig ändern. Nahezu jeder Haushalt in den USA hat mit höheren Lebenshaltungskosten, Energie- und Benzinpreisen zu kämpfen. Doch nur republikanisch orientierte Wähler setzen die Inflation an die erste Stelle der drängendsten Probleme und machen dafür Joe Biden und die Demokraten verantwortlich. Für Wähler, die den Demokraten zuneigen, stellt die Inflation zwar auch ein wichtiges Thema dar, steht aber nicht an erster Stelle, sondern wird im Zusammenhang mit den weltweiten wirtschaftlichen Folgen der Covid‑19-Pandemie und des Kriegs in der Ukraine gesehen. Nach dem Dobbs-Urteil ist für diese Wähler das Abtreibungsrecht für Frauen das wichtigste Thema.

An zweiter und dritter Stelle stehen für die republikanisch orientierten Wähler die Themen Einwanderung und Grenzkontrolle sowie steigende Kriminalität. Für Wählergruppen, die den Demokraten nahestehen, folgt dicht nach dem Abtreibungsrecht die Rettung der US-Demokratie vor dem befürchteten Angriff der sogenannten election deniers (deutsch: Wahlleugner) und an dritter Stelle dann das Thema Gesundheitsversorgung.

Wie immer geht‘s um die Wirtschaft

Frauen in den weißen Vorstädten sorgen sich unabhängig davon, ob sie mit den Republikanern liebäugeln oder nicht, um Lebenshaltungskosten, Schulentscheidungen oder steigende Kriminalität. Sie zu mobilisieren, könnte die Mobilisierungseffekte durch das Abtreibungsurteil und die wahrgenommene Gefährdung der US-Demokratie ausgleichen. Folglich versuchen die Republikaner, die Aufmerksamkeit der Wähler vom Abtreibungsrecht weg auf Kriminalität und Einwanderung zu lenken. Inflation und steigende Preise sind ohnehin überall ein Schlüsselthema und werden zumindest die Wahlen zum Repräsentantenhaus mitentscheiden.

Alles in allem sind die Zwischenwahlen mehr als nur ein Referendum über Präsident Biden. Die Entrüstung über das Dobbs-Urteil hat erheblich dazu beigetragen, dass sich das politische Klima in den entscheidenden Wochen vor dem Wahltag verändert hat. Die weitreichenden Gewinne, die den Republikaner schon prognostiziert worden sind, haben sich abgeschwächt, auch wenn es weiterhin so aussieht, als würden sie die Kontrolle über das Repräsentantenhaus erlangen können. Nach allerjüngsten Umfragen kann auch der Senat in beide Richtungen kippen. Wahlentscheidend könnte sein, inwieweit die Entrüstung über das Abtreibungsurteil den Demokraten auch in einer Zeit voller Konjunkturängste in den letzten Tagen vor den Wahlen Auftrieb verschafft oder ob die sogenannten Brot- und Butterthemen mächtiger sind.

Mit den Zwischenwahlen werden Grundsteine für die Präsidentschaftswahlen 2024 gelegt. Schneiden die von Trump unterstützten republikanischen Senatskandidaten, zum Beispiel Herschel Walker in Georgia oder J. D. Vance in Ohio, am 8. November schlecht ab, sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass Trump als Präsidentschaftskandidat für 2024 nominiert wird. Ermutigung für seine wahrscheinliche Bewerbung um das Weiße Haus könnte dagegen Gouverneur Ron DeSantis aus Florida erhalten, wenn er für eine zweite Amtszeit als Gouverneur des Sonnenstaates wiedergewählt wird. Sollte es auf der anderen Seite den Demokraten gelingen, ihre Senatsmehrheit zu halten und im landesweiten Rennen um Gouverneurs- und Senatsposten auf den entscheidenden „Schlachtfeldern“, wie Arizona, Michigan, Wisconsin oder Pennsylvania, zu gewinnen, würde dies wahrscheinlich das Vertrauen in eine mögliche Wiederwahl von Präsident Biden in 2024 stärken. Wenn die Demokraten jedoch bei den Midterms und den zahlreichen Gouverneurswahlen in den Bundesstaaten schlecht abschneiden, wächst der Druck auf den derzeitigen Präsidenten Joe Biden, der kurz nach den Midterms seinen 80. Geburtstag feiern wird, keine zweite Amtszeit anzustreben.

Dr. Martin Thunert ist Senior Lecturer Political Science am Heidelberg Center for American Studies der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg. Seit vielen Jahren koordiniert er das Expertennetzwerk der Sustainable Governance Indicators (SGI) der Bertelsmann Stiftung für die Region Nord- und Südamerika.

Aus dem Englischen übersetzt von Karola Klatt.