Von Düzgün Arslantaş
Noch vor einigen Wochen bestand Präsident Recep TayyipErdoğans Wahlkampfstrategie größtenteils darin, außenpolitisch zu punkten, um von inneren Problemen abzulenken. Die katastrophale Situation in den Erdbebengebieten der Türkei erschwert dieses wahltaktische Manöver enorm. Nach einem Erdbeben kam Erdoğan 1999 an die Macht und es sieht in letzten Umfragen so aus, als müsste er nach den diesjährigen Erdbeben abtreten. Weder hat die Regierung genug dafür getan, das Sterben zu verhindern, noch, den betroffenen Menschen schnell genug zu helfen.
Außenpolitisch stellte sich die Türkei in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg weitgehend auf die Seite des Westblocks unter der Führung der USA und intervenierte international kaum. Nachdem sie bei den Wahlen 2002 die Konkurrenz abschütteln konnte, begann für Erdoğans Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (Adalet ve Kalkınma Partisi, kurz AKP) die Zeit der am längsten regierende Einparteienregierung des Landes. Ihre „Erfolgsgeschichte“ bestand darin, sich radikal von der Politik der Nichteinmischung abzuwenden.
In der ersten Amtszeit verfolgte die AKP außenpolitisch eine Strategie, die ihre Existenz sichern sollte. Hardliner unter den Säkularisten misstrauten der Partei zutiefst angesichts ihrer versteckten islamischen Agenda. Die AKP-Eliten glaubten, nur der Aufbau starker Beziehungen zur EU könne verhindern, dass die Partei vom Verfassungsgericht als Zentrum antisäkularer Aktivitäten verboten werde. Von der EU-Unterstützung versprach man sich außerdem größere Gewinne für AKP-freundliche Unternehmen, die von der Integration der Türkei in die europäischen und westlichen Märkte profitieren würden. Zunächst ging dieser Plan gut auf und führte im Oktober 2005 zu Beitrittsverhandlungen mit der EU. Da einige EU-Mitgliedsländer jedoch ihr Veto gegen eine weitere Erweiterung der EU einlegten, wurden diese Bemühungen schnell wieder gestoppt.
Der Rückschlag an der EU-Front schmälerte jedoch nicht den außenpolitischen Aktivismus der Türkei, die ihren Blick auf die arabischen Nachbarn richtete und unter Außenminister Ahmet Davutoğlu die „Null-Probleme“-Politik erfand. Ihr Ziel war es, die historische Hegemonie der Türkei in der Region wiederherzustellen. Als gemäßigte Islamisten die ersten post-autoritären Wahlen in Ägypten und Tunesien gewannen, schien man diesem Szenario nahe zu sein, doch die folgenden Unruhen machten den anfänglichen Optimismus zunichte.
Dieser Politikwechsel wirkte sich auch innenpolitisch aus. Erstens begann die Regierung nach ihrer Abwendung vom Westen eine autoritäre populistische Agenda mit stark islamistischen und nationalistischen Tönen zu verfolgen. Zweitens nahm die Türkei 3,6 Millionen syrische Flüchtlinge auf und war damit das größte Aufnahmeland weltweit.
Das internationale Image der Türkei, Islam und Demokratie auf friedliche Weise in Einklang zu bringen, ist seit dem Ende des Arabischen Frühlings ins Wanken geraten. Einerseits wird die Türkei zunehmend mit Terrorfinanzierung und Geldwäsche in Verbindung gebracht, was ihr einen Eintrag in der grauen Liste der Financial Action Task Force einbrachte. Andererseits sind die Spannungen mit der EU wegen des Abkommens über die Rücknahme illegal aus der Türkei eingereister Flüchtlinge, der Liberalisierung von Visabestimmungen und den territorialen Ansprüchen auf Energieressourcen im Mittelmeer gewachsen.