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Später in die Rente – möglich für viele, aber nicht für alle

Europäer leben immer länger und bleiben gleichzeitig auch länger gesundheitlich fit. Was an sich schön ist, wird in Verbindung mit niedrigen Geburtenraten zur Bedrohung für die finanzielle Nachhaltigkeit der Rentensysteme und den Wohlfahrtsstaat insgesamt. Finnland hat früh auf die demografische Alterung reagiert. Was lässt sich aus den finnischen Reformen lernen?

Von Kati Kuitto

Trotz des massiven Widerstands der Bevölkerung und am Parlament vorbei setzte die französische Regierung jüngst die schrittweise Anhebung des Rentenalters durch. Der Grund: Immer weniger Steuer- und Beitragszahler im erwerbsfähigen Alter stehen immer mehr Rentnern und älteren Menschen mit Pflegebedarf entgegen. Mit diesem Problem ist Frankreich wahrlich nicht alleine. Bei insgesamt 18 von 41 untersuchten Industrieländern der Sustainable Governance Indicators (SGI) der Bertelsmann Stiftung ist das zahlenmäßige Verhältnis zwischen Älteren und Erwerbstätigen inzwischen äußerst kritisch. Die Verlängerung des Erwerbslebens ist deshalb zu einer der zentralen gesellschaftspolitischen Zielsetzungen der letzten Jahre geworden.

Finnland ist nach Japan am stärksten und schnellsten von demografischer Alterung betroffen. Die rekordniedrige Fertilitätsrate der letzten Jahre von nicht einmal 1,4 Kindern je Frau sowie die geringe Nettozuwanderung verstärken den negativen Trend und bedrohen die finanzielle Nachhaltigkeit des Wohlfahrtsstaates. In Finnland hat die Politik jedoch relativ frühzeitig reagiert und nach Lösungen gesucht – und einige Ergebnisse der Reformen zeigen sich bereits. Insofern kann die finnische Erfahrung für andere europäische Wohlfahrtsstaaten interessante Erkenntnisse bieten.

Reformieren und korrigieren

In fast allen europäischen Ländern sind Möglichkeiten zum früheren Ausstieg aus dem Arbeitsleben abgeschafft oder zumindest stark eingeschränkt worden. Das Renteneintrittsalter wurde in den meisten Ländern ebenfalls bereits erhöht oder wird zukünftig ansteigen. In insgesamt zehn europäischen Ländern ist das Renteneintrittsalter an die Lebenserwartung gekoppelt. Die Idee dahinter ist, dass das Verhältnis der durchschnittlich zu erwartenden Jahre in Rente zu den im Erwerbsleben erbrachten Jahren in etwa gleich bleibt, um solide wirtschaften zu können und nicht zukünftige Generationen in der Rentenfinanzierung über Gebühr zu belasten.

Auch in Finnland waren die zentralen Ziele der beiden letzten Rentenreformen 2005 und 2017 ein späterer Renteneintritt und die Verlängerung des Erwerbslebens. Früh- und Arbeitslosenrente, die bis 2005 das Aussteigen vor dem Regelrentenalter ermöglicht hatten, wurden schrittweise abgeschafft. Zudem wurde ein finanzieller Anreiz gesetzt, der das Weiterarbeiten über das Alter von 63 Jahren hinaus mit einer erhöhten Rentenakkumulation belohnte. Davon profitierten jedoch eher Besserverdienende und auf längere Sicht hätte diese Maßnahme zu wachsenden sozioökonomischen Unterschieden im Rentenniveau beigetragen. In der nächsten großen Rentenreform 2017 wurden deshalb Korrekturen vorgenommen.

Das flexible Renteneintrittsalter von 63 bis 68 Jahren, das 2005 eingeführt worden war, wurde in der Reform von 2017 durch ein Mindest- und Zielrentenalter ersetzt, die an die Lebenserwartung gekoppelt sind und je nach Geburtsjahr ansteigen. Nur beim Erreichen des Zielrentenalters wird die volle Rente gezahlt. Jeder Monat, der ab dem Erreichen des Mindestrentenalters früher in Rente gegangen wird, verringert die Rente um 0,4 Prozent. Wer gar keine oder nur eine geringe Erwerbsrente erwirtschaftet hat, bekommt anteilsmäßig eine steuerfinanzierte sogenannte Volkspension ausgezahlt. Übersteigt die Erwerbsrente 1.500 Euro monatlich, besteht kein Anspruch mehr auf zusätzliche Volkspension. Den Bürgerinnen und Bürgern ermöglichen Modelrechner, die vom Rentensystem angeboten werden, die Berechnung des eigenen Rentenalters sowie der zu erwartenden Altersrente. Dies schafft Transparenz für die individuellen Folgen der Rentenreformen und ermöglicht die persönliche Planung des Renteneinstiegs und des Einkommens danach.

Nicht alle können oder wollen länger arbeiten

Eine erfolgreiche Rentenpolitik ist eng gekoppelt an die Fähigkeit einer Regierung, politische Maßnahmen strategisch und unter Beteiligung aller relevanter Gruppen zu entwickeln und nach der Umsetzung kontinuierlich zu überwachen. Evaluationen der finnischen Reformen, zeigen, dass immer mehr Menschen tatsächlich bis zur Altersrente erwerbstätig bleiben. Bemerkenswert ist, dass diese positive Entwicklung insbesondere bei Arbeitnehmern mit geringerem Bildungsgrad auftrat. Für einfache Arbeiter war vor der 2005er Reform die Arbeitslosigkeit häufig ein Weg in die Frührente. Die Abschaffung der Arbeitslosenrente zeigte also Wirkung. Als Folge verringerten sich die sozioökonomischen Unterschiede beim Ausscheiden aus dem Arbeitsmarkt. Die Erhöhung des Rentenalters 2017 zeigte ebenfalls die erhoffte Wirkung, dass die Erwerbsleben insgesamt länger werden.

Trotz eines insgesamt gestiegenen Renteneintrittsalters gibt es in den Industrieländern nach wie vor viele Menschen, die nicht länger arbeiten können oder wollen. Beim Ausscheiden aus dem Erwerbsleben bestehen deshalb in vielen Ländern immer noch deutliche sozioökonomische Unterschiede. In Europa verlassen Menschen mit geringem Bildungsgrad den Arbeitsmarkt durchschnittlich 2,8 Jahre früher als Hochqualifizierte. In Schweden, Deutschland und Finnland ist diese Kluft am geringsten. Noch muss erforscht werden, welche renten-, bildungs- und arbeitsmarktpolitischen Faktoren zur Verringerung der bildungsbedingten Unterschiede beitragen.

Unterstützung über den gesamten Lebenslauf nötig

Bildung und lebenslanges Lernen sind wesentliche Bausteine einer stabilen Arbeitsmarktbeteiligung. Immer wichtiger wird Prävention, denn immer mehr Menschen werden bereits früh im Erwerbsleben temporär oder dauerhaft wegen psychischer oder physischer Probleme erwerbsunfähig. Für die Geschlechtergleichheit in der Arbeitsmarktbeteiligung sind ein ausreichendes Angebot an Früherziehung, Kinderbetreuung und Betreuung von älteren Pflegebedürftigen wichtig, wie das Beispiel der skandinavischen Wohlfahrtsstaaten zeigt.

Flexible Lösungen im Hinblick auf Arbeitszeit und ‑organisation können es älteren Arbeitnehmern erleichtern, länger erwerbstätig zu sein. Auch der Wertschätzung älterer Arbeitskräfte durch die Arbeitgeber kommt eine wichtige Rolle zu. Eine Befragung von Arbeitgebern in Finnland konnte erfreulicherweise keine Evidenzen für die in öffentlichen Debatten oft angenommene Altersdiskriminierung in den Einstellungen finden. Ob sich dieses positive Ergebnis auch tatsächlich im Rekrutierungsverhalten und in Bemühungen um das Halten von älteren Arbeitnehmern niederschlägt, gilt es herauszufinden.

Die Rentenpolitik muss die Vielfalt der individuellen Lebensläufe im Blick behalten. Viele Menschen sind noch mit 70 Jahren fit und willens zu arbeiten, während bei anderen die Erwerbsfähigkeit deutlich früher gemindert ist. Für alle muss im Wohlfahrtsstaat ein adäquates Alterseinkommen gesichert werden. Die Maßnahmen, die erforderlich sind, um mit der demografischen Alterung finanziell wie sozial nachhaltig umzugehen, reichen weit über die Rentenpolitik hinaus.

Kati Kuitto ist Senior Researcher am Finnish Centre for Pensions in Helsinki. Sie forscht ländervergleichend zu Rentensystemen und Rentenpolitik und gehört dem Expertennetzwerk der Sustainable Governance Indicators (SGI) der Bertelsmann Stiftung an.