Welche Lehren aus der Corona-Zeit können Ländern weltweit ziehen, um sich gegen aktuelle und zukünftige Schocks zu wappnen? Es hat sich gezeigt, dass fünf Governance-Fähigkeiten für Demokratien von zentraler Bedeutung sind, um widerstandsfähiger zu werden.
Von Christof Schiller
Noch kämpfen Länder weltweit mit den Folgen der COVID-19-Pandemie, gleichzeitig stellen neue Krisen wie der Krieg in der Ukraine und der Klimawandel ihre Widerstandsfähigkeit auf die Probe. Angesichts solcher komplexer Herausforderungen ist es an der Zeit, auf bisherige Krisenerfahrungen zu schauen, um die Frage zu beantworten: Was macht ein Land krisenresistent?
Wie unsere vergleichende Analyse der COVID-19-Krisenresistenz von 29 OECD- und EU-Ländern zeigt, haben gut organisierte Demokratien die Coronavirus-Krise besser überstanden als ihre weniger gefestigten Pendants. Doch selbst die Spitzenreiter, die unsere Rangliste der Widerstandsfähigkeit im Kontext der COVID-19-Krise anführen, weisen trotz insgesamt nachhaltiger Regierungsführung in bestimmten Dimensionen auch Schwächen auf. Schwächen, die bedeutsam werden können, wenn diese Länder sich mit andersartigen Krisen konfrontiert sehen. Oder sich mit der einen zentralen Frage auseinandersetzen, deren Beantwortung letztlich einen Beitrag zur Verbesserung der Krisenresilienz leistet: Wie erreicht man nachhaltige politische Ergebnisse und eine langfristigere Ausrichtung der Politik?
An der Spitze des Rankings steht beispielsweise Neuseeland, das mit seiner erfolgreichen Go-Hard-Go-Early-Politik die Vorsorgelücken seines Gesundheitssystems kompensierte. Um die drohende Klimakrise zu bewältigen, muss das Land jedoch den Wandel zu einer nachhaltigen Wirtschaft entschlossener vorantreiben und seine Forschungs- und Innovationskapazitäten verbessern (Rang 17 von 29). Auf Platz zwei folgt Südkorea, das ein sehr wirksames System zur Ermittlung von COVID-19-Kontaktpersonen einsetzte. Als unzureichend erwies sich jedoch der Schutz bürgerlicher Rechte; eine weitere Schwachstelle war das Sozialversicherungssystem. Dennoch bieten die Krisenreaktionen einiger unserer Spitzenreiter anderen Ländern Anregungen zum Nachahmen, damit sie insgesamt widerstandsfähiger gegenüber künftigen Erschütterungen mit weitreichenden Folgen werden.
1. Gewappnet sein: Frühwarnsysteme und Krisenvorbereitung
Südkorea ist das einzige von uns untersuchte Land, von dem man sagen kann, es war gut auf eine Gesundheitskrise wie die Coronavirus-Pandemie vorbereitet. Bereits vor dem Ausbruch hatte das Korean Center for Disease Control and Prevention Infektionskrankheiten mit hoher Priorität identifiziert und lebenswichtige Güter zur medizinischen Versorgung in nationalen Zentren gelagert. Infolge der MERS-Pandemie 2015 sind die südkoreanischen Gesundheitsbehörden evaluiert und überprüft worden. Die Regierung baute daraufhin die Datenerfassung aus und verbesserte den Austausch der erhobenen Daten über verschiedene Verwaltungsebenen hinweg. Dadurch steigerte sich ihre Reaktionsfähigkeit.
2. Demütig sein: schrittweise Umsetzung der besten verfügbaren Kenntnisse und Daten in wirksame Entscheidungen
Selten mangelt es an Wissen, doch die Überführung in wirksame politische Entscheidungen, gestaltet sich oft schwierig. Dies erfordert in der Praxis, Zielkonflikte kreativ zu lösen. Während der Pandemie war Neuseeland schnell in der Lage, Echtzeitmodelle und Datenanalysen zur Eindämmung von COVID-19 zu erstellen. Darüber hinaus wurden die aus diesen Echtzeitmodellen abgeleiteten Informationen unverzüglich zusammen mit Zukunftsszenarien an die Öffentlichkeit kommuniziert. Dadurch stieg die öffentliche Akzeptanz für Regierungsentscheidungen.
Darüber hinaus ist es wichtig, dass Regierungen ihre Politik regelmäßig überprüfen und anpassen. Dänemark, Neuseeland, den Niederlanden und Südkorea ist es gelungen, die Wirksamkeit ihrer Maßnahmen regelmäßig zu evaluieren und sie an den neuesten Gegebenheiten oder Forschungsergebnisse auszurichten.
3. Vertrauenswürdig sein: umfassend, empathisch und effektiv kommunizieren
Nur wenige Länder in unserer Vergleichsstudie erhalten Bestnoten für die Krisenkommunikation, eines davon ist Neuseeland. Die Kommunikation der Regierung Ardern kann als vorbildlich angesehen werden, zumindest in den ersten Monaten der Pandemie. Sie machte die Öffentlichkeit mit ihrem vierstufigen Alarmsystem sowie mit der Idee des Go-Hard-Go-Early-Ansatzes vertraut. Dies trug dazu bei, ein Gefühl der kollektiven Solidarität im Zusammenhang mit der Pandemiebekämpfung zu schaffen und gleichzeitig die Bedeutung von Empathie hervorzuheben.
Je länger die Pandemie andauerte, um so wichtiger wurde es für Nationen, ihre Krisenkommunikation kontinuierlich zu bewerten, anzupassen und zu koordinieren. In Finnland zum Beispiel erhöhte die Regierung die Häufigkeit, mit der sie die Öffentlichkeit über ihre Maßnahmen informierte, sowie den Grad der Ausführlichkeit deutlich, als die Befolgung der öffentlichen Gesundheitsempfehlungen im Laufe der Zeit nachließ. Wie Neuseeland war auch Finnland dank einer raschen, gezielten und restriktiven Eindämmungsstrategie im ersten Jahr vergleichsweise erfolgreich bei der Kontrolle der Virusausbreitung.
4. Flexibel sein: auf die Sorgen vor Ort reagieren
Allround-Lösungen gibt es nicht. Die Pandemie hat gezeigt, wie wichtig es ist, sie auf kohärente Weise und unter Berücksichtigung regionaler Bedarfe zu bekämpfen. Hier sind Neuseeland, Südkorea, Belgien, Dänemark, Griechenland und Schweden führend: Die nationale Koordinierung verlief weitgehend reibungslos und trug den lokalen Anliegen Rechnung. In Dänemark beispielsweise erließ die nationale Gesundheitsbehörde Leitlinien für die Koordinierung der Krankenhausbettenkapazitäten. Außerdem wurde eine landesweite IT-Infrastruktur aufgebaut, die in den Gemeinden und Regionen eine Verteilung und Umverteilung von kritischen Geräten und Schutzausrüstungen ermöglichte. Die Kooperation der Regionen erstreckte sich auch auf die Übernahme von COVID‑19-Patienten aus Orten, die an ihre Belastungsgrenze gelangt waren.
5. Innovativ sein: nicht zögern, sich von anderen inspirieren zu lassen
Dänemark reagierte vergleichsweise schnell auf die neue Situation. Während Teststrategien in anderen Ländern noch in den Kinderschuhen steckten, schuf es im April 2020 bereits eine landesweite Infrastruktur für PCR-Tests, das sogenannte Testcenter Danmark.
Einigen anderen Ländern gelang es vergleichsweise gut, ihre Maßnahmen schnell zu bewerten und Strategien kurzfristig anzupassen. Das gilt vor allem für Staaten, die ihre Krisenmanagementstrategien regelmäßig aktualisieren. Kanada zum Beispiel evaluierte insbesondere nach der SARS-Epidemie seine Krisenmanagementsysteme. Dank seiner gut entwickelten Open-Government-Plattform, die umfassende Daten über die Arbeit der Regierung in Krisenzeiten bietet, wurden Transparenz, Rechenschaftspflicht und Bürgerbeteiligung auch während der Corona-Krise deutlich verbessert. Ergänzt wurden diese Maßnahmen durch Untersuchungen der kanadischen Statistikbehörde über die Auswirkungen der Pandemie auf Personen.
Neuseeland, schließlich, zeigte große Bereitschaft, von den Pandemie-Erfahrungen anderer Länder zu lernen. Zum Beispiel baut die neuseeländische App zur Kontaktermittlung auf einer Entwicklung aus Singapur auf.
Ausblick
Jetzt, wo wir zu begreifen beginnen, dass dies erst der Anfang eines Jahrhunderts permanenter Krisen sein könnte, ist es für westliche Demokratien von großer Wichtigkeit, über entscheidende Governance-Fähigkeiten nachzudenken, die ihre Widerstandsfähigkeit gegenüber Ereignissen mit verheerenden Auswirkungen erhöhen. Die globale Zukunft wird davon abhängen, ob es gelingt, die wachsende Kluft zwischen Demokratien, die auf zukunftsorientierte und partizipatorische Regierungsansätze setzen, und solchen, die dies nicht tun, zu schließen. Nur dann können liberale Demokratien zu Vorbildern auf dem Gebiet der Krisenresilienz werden.
Dr. Christof Schiller leitet das Projekt Sustainable Governance Indicators (SGI) der Bertelsmann Stiftung und ist Experte für vergleichende Analysen der Governance im öffentlichen Sektor, Beschäftigungs- und Sozialpolitik sowie Reformen des Wohlfahrtsstaats.
Übersetzt aus dem Englischen von Karola Klatt.