Das Spannungsverhältnis zwischen Demokratie und Rechtswesen zeigt sich heute wahrscheinlich nirgends so deutlich wie in Italien. Mit weitreichenden umwälzenden Wirtschaftsversprechen ist die Fünf-Sterne-Bewegung an die Regierung gekommen. Mehr Beschäftigungssicherung und ein Grundeinkommen für alle waren für viele Italiener Grund genug, die Populisten zu wählen. Schon Teile dieses Programms umzusetzen, bedeutet, die Defizitregeln der EU zu verletzen. Vorschriften, die einst auch von Italien unterschrieben worden sind.
Das bringt die Europäische Kommission in eine schwierige Lage. Die Zwickmühle besteht darin, dass sie einerseits vehement auf die Einhaltung der Regeln pochen muss, die andernfalls bedeutungslos würden. Andererseits kann die EU durch einen Machtkampf mit Rom bei den Italienern kaum politische Punkte sammeln.
Die Ablehnung des italienischen Haushaltsplans haben Kommissionsmitglieder in angemessener Weise zu begründen versucht. Als "Einmischung" in Italiens innere Angelegenheiten wurde dies von den Populisten scharf angeprangert. (Ein nationalistischer italienischer Abgeordneter des Europaparlaments bearbeitete die Notizen des EU-Haushaltskommissars sogar mit seinem Schuh.) Für die schrillen Reaktionen gibt es gute Gründe: Solche Aktionen kommen bei vielen italienischen Wählern gut an und die Regierung glaubt sich im Recht, weil sie ein demokratisches Mandat für das, was sie tut, hat.
Die ideologisch kaum zuzuordnende Fünf-Sterne-Bewegung möchte ihre Wähler zufriedenstellen. Der Süden Italiens und allgemein junge Menschen leiden unter großer Arbeitslosigkeit und prekären Beschäftigungsverhältnissen. Der Länderbericht der Sustainable Governance Indicators (SGI) der Bertelsmann Stiftung stellt in der italienischen Wirtschaft "eine Polarisierung zwischen geschützten Sektoren und solchen, die größtenteils ungeschützt und prekär sind" fest. "Während die älteren Arbeitnehmer im öffentlichen Bereich und in großen privaten Unternehmen ausreichenden und in manchen Fällen sogar übertriebenen Schutz genießen, sind junge Menschen und allgemein alle, die in kleinen privatwirtschaftlichen Firmen arbeiten, weit weniger geschützt."
Die Fünf-Sterne-Bewegung möchte das mit neuen Beschäftigungsbestimmungen ändern, die von Wirtschaftswissenschaftlern als vermutlich kontraproduktiv eingestuft werden. Die sogenannte Decreto Dignità, eine Arbeitsschutzbestimmung, die von der Fünf-Sterne-Bewegung auf den Weg gebracht wurde, erschwert Zeitverträge und treibt damit wahrscheinlich die Arbeitskosten in die Höhe, was sich negativ auf die Schaffung neuer Arbeitsplätze auswirken wird. Es liegt nahe, dass Italien auch weiterhin unter der wirtschaftlichen Stagnation leiden wird, die auch schon die letzten 15 Jahre bestimmt hat. Den SGI Indikatoren zufolge, hat es unter den Vorgängerregierungen Fortschritte gegeben: Die Beurteilung der Wirtschaftspolitik des Landes stieg von nur 4,7 Punkten im Jahr 2014 auf einen mittleren Wert von 5,7 im 2018er-Bericht an. Diese ersten vorsichtigen Errungenschaften sind jetzt in Gefahr.