Drei Frauen strecken vor Freude die Hände in die Höhe

Berufstätige Frauen haben in Europa immer noch das Nachsehen

Am Weltfrauentag, dem 8. März, werden die europäischen Entscheidungsträger erneut einräumen müssen, dass Frauen in Europa am Arbeitsplatz immer noch gegenüber Männern benachteiligt sind. Das Angebot an Kinderbetreuungseinrichtungen ist unzureichend und Frauen sitzen weiterhin viel seltener als Männer im Chefsessel. Aber bewegt sich Europa in die richtige Richtung?

von JESS SMEE

Im Jahr 1909 organisierte die Sozialistische Partei Amerikas den ersten Nationalen Frauentag zur Unterstützung eines Streiks der New Yorker Textilarbeiterinnen, die sich gegen ihre schlechten Arbeitsbedingungen auflehnten. Beginnend mit sozialistischen und kommunistischen Ländern machten sich im Laufe der Jahre mehr und mehr Nationen diesen Gedenktag zu eigen. In den 1960er-Jahren wurde er von der Frauenbewegung übernommen, und als die Vereinten Nationen 1975 beschlossen, ihn in ihren Kalender aufzunehmen, wurde der Internationale Frauentag weltweit zu einer festen Größe.

Wie dieser Tag heute begangen wird, unterscheidet sich von Land zu Land erheblich. Während einige Länder ihn zum gesetzlichen Feiertag erhoben haben, werden in anderen den Frauen an diesem Tag lediglich kleine Geschenke gemacht und noch andere ignorieren ihn komplett. Weltweit bietet der Weltfrauentag jedoch eine gute Gelegenheit zu untersuchen, welche Rolle Frauen in der Arbeitswelt spielen und ob sich Fort- oder Rückschritte zeigen. Denn auch wenn seit dem Kampf der New Yorker Textilarbeiterinnen gegen ihre schwierigen Arbeitsbedingungen mehr als ein Jahrhundert vergangen ist, ist Geschlechtergleichheit am Arbeitsplatz noch immer nicht erreicht.

In Europa sind Frauen in der Arbeitswelt im Allgemeinen unterbezahlt und unterrepräsentiert, was die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen dazu veranlasste, bei ihrem Amtsantritt im vergangenen Jahr Pläne für eine neue europäische Gender-Strategie anzukündigen. Ein Blick in die Statistiken zeigt, dass sich in vielen Ländern der EU etwas ändern muss. Da ist zunächst einmal die Tatsache, dass insgesamt weniger Frauen als Männer berufstätig sind, wie die Sustainable Governance Indicators (SGI) der Bertelsmann Stiftung, die unter anderem die Auswirkungen der Sozialpolitik auf Familien bewerten, aufzeigen. Ländervergleichend untersucht wird, ob die Familienpolitik das berufliche Vorankommen beider Elternteile fördert und ob es ein verlässliches System der Familienförderung und Kinderbetreuung gibt. Die Ergebnisse zeigen eine gemischte Erfolgsbilanz Europas in Sachen Gleichstellung auf: In den Spitzenreiternationen Finnland, Litauen und Schweden arbeiten fast ebenso viele Frauen wie Männer (der Quotient erwerbstätige Frauen zu erwerbstätige Männer beträgt in diesen Ländern 0,96). 17 der 28 untersuchten EU-Länder haben dagegen einen Quotient von unter 0,9. Das bedeutet, der Anteil der Männer an den Erwerbsbevölkerungen dieser Länder liegt um mehr als 10 Prozent höher als der Anteil der Frauen.

Problem Kinderbetreuung

Europäische Frauen arbeiten nicht nur weniger Stunden als Männer, sie sehen sich auch immer noch mit einem geschlechtsspezifischen Lohngefälle konfrontiert, das sich kaum verringert. Nach offiziellen Statistiken liegt der Stundenlohn berufstätiger Frauen in der EU durchschnittlich 16 Prozent niedriger als der von Männer, obwohl der Grundsatz gleicher Lohn für gleiche Arbeit bereits 1957 in den Römischen Verträgen festgeschrieben wurde.

Diese Lohnunterschiede von durchschnittlich 16 Prozent bedeuten, dass europäische Frauen vom 4. November bis zum Jahresende praktisch umsonst arbeiten. Diese offensichtliche Ungleichheit veranlasste EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen im vergangenen Jahr festzustellen, dass „gleiches Entgelt für gleiche Arbeit immer noch keine Realität ist“. Sie fügte hinzu: „Deshalb werde ich Maßnahmen zur Einführung verbindlicher Entgelttransparenzregeln vorschlagen. Wir müssen Frauen und Männern gleiche Rechte einräumen.“

Ihre Äußerungen treffen im Europäischen Parlament auf fruchtbaren Boden, wie zuletzt eine weitere Debatte zum Thema Mitte Januar zeigte. Die Diskussionen auf höchster Ebene haben bis jetzt jedoch noch keine Konsequenzen gezeitigt. In den letzten zehn Jahren hat sich die wirtschaftliche Situation europäischer Frauen kaum verbessert, da beim geschlechtsspezifischen Lohngefälle innerhalb der EU nur marginale Fortschritte zu verzeichnen sind.

Die niedrigeren Löhne sind zum Teil darauf zurückzuführen, dass Frauen bei fehlenden staatlichen Angeboten häufig die Betreuungsarbeit innerhalb der Familien übernehmen und dafür ihre berufliche Laufbahn unterbrechen oder nur einer Teilzeitbeschäftigung nachgehen. Kinderbetreuung ist der Schlüssel für mehr Gleichstellung in der Arbeitswelt. Eine unzureichendes Angebot von Kindergartenplätzen hält Frauen in vielen Regionen davon ab, an ihren früheren Arbeitsplatz zurückzukehren. Der SGI bewertet Industrieländer auch danach, inwieweit die Erwerbstätigkeit von Müttern durch politische Maßnahmen gefördert wird. Interessanterweise belegen europäische Ländern im Ranking bei dieser Frage sowohl Spitzenplätze, zum Beispiel Dänemark, wo mehr als 70 Prozent der unter zweijährigen Kinder in Betreuungseinrichtungen untergebracht sind, als auch letzte Ränge, etwa die Tschechische Republik, wo nur 6,5 Prozent der unter Zweijährigen einen Kitaplatz haben.

Frauen in Führungspositionen

Der Internationale Frauentag richtet das Augenmerk nicht nur auf die schlechteren Chancen von Frauen hinsichtlich Entlohnung und Arbeitszeit, sondern auch darauf, dass eine unsichtbare Wand sie weiterhin am beruflichen Aufstieg hindert. Die Webseite des Internationalen Frauentags wirbt mit eingängigen Slogans um mehr Geschlechtergleichheit auf den Karriereleitern der Unternehmen: „Gleichstellung ist kein Frauenproblem, sondern ein Geschäftsproblem“, heißt es da beispielsweise oder „Die Gleichstellung der Geschlechter ist für das Gedeihen von Wirtschaft und Gesellschaft unerlässlich.“ Tatsächlich haben in Europa nur wenige Frauen Führungspositionen. Weniger als 6,9 Prozent der europäischen Spitzenunternehmen haben weibliche CEOs. Zudem belegen die Daten von Eurostat, dass weibliche Manager verglichen mit anderen Berufen am stärksten vom geschlechtsspezifischen Lohngefälle betroffen sind: Sie verdienen im Schnitt 23 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen.

Diese Geschlechterungleichheiten wirken sich enorm auf die Weltwirtschaft aus: Ein Bericht des McKinsey Global Institute stellt fest, dass allein durch die Förderung der Gleichstellung von Frauen bis 2025 zum globalen BIP 12 Billionen Dollar zusätzlich hinzukommen könnten.

Auch in den Führungspositionen der europäischen Politik sind Frauen eindeutig in der Minderheit. Vielen Kommentatoren sahen in der Wahl von Ursula von der Leyen zur Präsidentin einen längst fälligen Schritt zur Wiederherstellung des Gleichgewichts zwischen Männern und Frauen in der Kommission, die bis dahin als elitärer Männerverein galt. Doch trotz ihrer wiederholten Ankündigungen, die Gleichstellung fördern zu wollen, scheiterte sie bereits an ihrem ersten Vorhaben, das Gleichgewicht zwischen den Geschlechtern in der Zusammenstellung der neuen Kommission zu wahren. Unter den 26 ausgewählten neuen Kommissaren sind nur 11 Frauen. Schuld daran tragen die nationalen Regierungen, die von der Leyens Forderung ignorierten, sowohl einen männlichen Kandidierenden als auch eine weibliche Kommissionsanwärterin zu stellen. Aus erster Hand hat sie die Erfahrung machen müssen, wie schwierig es ist, Vorhaben in die Praxis umzusetzen.

Auch international wird immer deutlicher, dass Politiker sich mächtig ins Zeug legen müssen, wenn sie die Situation von Frauen wirklich verbessern wollen. Ein brandneuer Bericht des Weltwirtschaftsforums warnt davor, dass das geschlechtsspezifische Lohngefälle beim gegenwärtigen Tempo erreichter Fortschritte auch in mehr als zwei Jahrhunderten nicht ausgeglichen sein wird. Es hat sich gezeigt, dass die Einkommensunterschiede weltweit sogar zunehmen, was zu der Annahme führt, dass erst Frauen, die im Jahr 2225 geboren werden, endlich einen gleichberechtigten Lohn erhalten werden.

Jess Smee ist Redakteurin der SGI News und des BTI-Blogs der Bertelsmann Stiftung. Außerdem schreibt sie als Journalistin unter anderem für The Guardian.

Zuerst erschienen beiGlobal Policy Opinion. Übersetzt aus dem Englischen von Karola Klatt.