Bulgarisches Parlament

Keine Mehrheit gegen korrupte Eliten in Sicht

Auch beim zweiten Wahlversuch in diesem Jahr deutet nichts darauf hin, dass es Anti-Korruptions- oder Anti-Establishment-Parteien gelingen könnte, die korrupte bulgarische Politelite abzulösen. Wird die EU endlich etwas unternehmen, um den korruptionsgebeutelten Bulgaren beizustehen?

von KAROLA KLATT

Schon zum zweiten Mal in diesem Jahr wählen die Bulgaren ein neues Parlament. Nachdem der langjährige Premier Bojko Borissow und die anderen politischen Kräfte im April keine Regierung bilden konnten, wurden Neuwahlen für den 11. Juli anberaumt. Gleich drei neue Parteien mit vielsagenden Namen – „Es gibt ein solches Volk“, „Demokratisches Bulgarien“ und „Steh auf! Mafia raus!“ – gelangten im April zulasten der etablierten Parteien ins Parlament. Sie profitierten von den Massenprotesten des Sommers 2020, als Tausende auf die Straße gingen, um ihre Empörung gegen Borissows Regierung zum Ausdruck zu bringen, der sie Korruption und Mafia-Gebaren vorwarfen. Alle diese Neugründungen hatten Koalitionen mit der Regierungselite schon vor den Wahlen kategorisch ausgeschlossen.

Die Zeitreihen der Sustainable Governance Indicators (SGI) der Bertelsmann Stiftung belegen, dass Bulgarien bei der Bekämpfung der Korruption seit Jahren nicht vorankommt. Seit 2014 bewerten die Länderexperten die Korruptionsprävention mit nur mageren 4 von 10 möglichen Punkten, obwohl in dieser Zeitspanne auch relevante Gesetzesänderungen erreicht worden sind. Dazu heißt es im SGI-Länderbericht 2020 für Bulgarien: „Im Dezember 2017 folgte das Parlament den Empfehlungen der Europäischen Kommission und des Europarats und verabschiedete ein neues Gesetz zur Schaffung einer zentralen Antikorruptionsbehörde. Allerdings hat sich auch diese neue Behörde als kaum wirksam erwiesen, Fälle von Korruption auf hoher Ebene vor Gericht zu bringen oder illegal erworbenes Eigentum zu beschlagnahmen.“

Die Hoffnung aus dem Frühjahr, dass der Erfolg neuer Parteien, die sich der hungrigen Machtelite in den Weg stellen, Wirkung zeigen würde, erfüllte sich in den vergangenen Monaten nicht. Auch vor dem Urnengang im Juli prägen skandalöse Enthüllungen über Machtmissbrauch und Vetternwirtschaft weiter die Schlagzeilen.

EU zahnlos im Kampf gegen die sich ausweitende Korruption

Nicht nur in Bulgarien, dem ärmsten EU-Mitgliedstaat, sondern im ganzen Südosten der Europäischen Union scheitert die Gemeinschaft daran, die Korruption effektiv zurückzudrängen und schadet damit ihrem Image als westliche demokratische Werteunion. Auf einem besorgniserregend niedrigen Niveau in der Korruptionsprävention verharrt nach den SGI-Daten wie Bulgarien auch Kroatien. Kaum besser mit nur 5 Punkten sind Griechenland und Slowenien. Verschlechtert haben sich seit 2014 die Slowakei und Rumänien von 5 auf 4 Punkte, Ungarn und Zypern sogar von 4 auf 3. Damit befinden sich diese südosteuropäischen Länder am Rande einer politischen Wirklichkeit, in der Amtsträger nach Gutdünken walten können und keinerlei rechtliche Konsequenzen oder Nachteile mehr fürchten müssen.

Der kürzlich veröffentlichte „Global Corruption Barometer“ von Transparency International für die Europäische Union belegt zudem während der Pandemie eine beunruhigende Zunahme der Korruption im Gesundheitssystem. Die höchsten Schmiergeldzahlungen für medizinische Leistungen ermittelte die Befragungsstudie für Rumänien und Bulgarien.

Tatenlos schaut die EU seit Jahren zu, wie in vielen Ländern EU-Mittel in die Taschen korrupter Eliten fließen, die zum Erhalt ihrer Macht den Rechtsstaat abbauen und die Meinungsvielfalt einschränken. Bei den Milliarden Euro der europäischen Steuerzahler, die als Fördermittel an die jeweiligen Regierungen gezahlt werden, wird viel zu wenig kontrolliert, ob sie ihrem Zweck auch wirklich zugeführt werden. Letztendlich führt die mangelnde Rechenschaftspflicht der EU dazu, dass in vielen Mitgliedstaaten Systeme entstehen konnten, die die europäischen Standards der Demokratie nicht mehr erfüllen.

US-amerikanische Sanktionen stellen EU bloß

Vor Kurzem brüskierte die Biden-Regierung die EU mit einer deutlichen Geste in Richtung Bulgarien. Das Finanzministerium der Vereinigten Staaten verhängte am 02. Juni 2021 gegen drei einflussreiche Bulgaren und ihre Netzwerke aus 64 Unternehmen und Organisationen weitreichende Sanktionen wegen ihrer Beteiligung an erheblicher Korruption. Diese Sanktionierung stellt die größte Aktion seit dem Bestehen des Magnitsky Acts dar, einem 2016 vom US-Kongress verabschiedeten Gesetz, das die US-Regierung ermächtigt, weltweit Personen zu bestrafen, die Menschenrechte verletzt haben, indem ihr Vermögen eingefroren und ihnen die Einreise in die USA verweigert wird.

In der Pressemitteilung zu der Benennung heißt es: „Diese Sanktionierungen senden ein deutliches Zeichen, dass die Vereinigten Staaten allen Bulgaren zur Seite stehen, die sich bemühen, die Korruption auszurotten. Wir sind bestrebt, unseren Partnern zu helfen, ihr volles wirtschaftliches und demokratisches Potenzial auszuschöpfen, indem wir systemische Korruption bekämpfen und korrupte Beamte zur Rechenschaft ziehen.“ Für die EU, die seit Jahren um die Verabschiedung eines eigenen Magnitsky-Gesetzes ringt und dabei vor allem EU-ferne Menschenrechtsverletzungen im Blick hat, stellt diese Begründung eine herbe Lektion dar.

Demoralisierung der bulgarischen Gesellschaft droht

Ein Versagen der EU sieht auch der ehemalige bulgarische Vizepremier und Justizminister Hristo Iwanow. Die eindeutig proeuropäische Haltung seiner Landsleute entspringe „eigentlich aus der Hoffnung, dass die EU die europäischen Standards für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit auch in Bulgarien durchsetzen kann.“ In einem Interview äußerte der heutige Oppositionspolitiker des bürgerlichen Wahlbündnisses Demokratisches Bulgarien schon letzten Sommer die Sorge, dass es zu einer tiefen Demoralisierung der bulgarischen Gesellschaft kommen könne, wenn Europa weiterhin nur wegschaue.

Obwohl die neuen demokratischen Alternativen nach den letzten Umfragen im Vergleich zum April leicht zulegen, ist auch bei diesem neuerlichen Urnengang keine parlamentarische Mehrheit der Korruptionsgegner zu erwarten wie auch keine stabile Regierungsmehrheit überhaupt. Grund dafür ist neben dem fragmentierten Parteiensystem auch eine populistische politische Figur, um die Bulgarien jetzt reicher ist: Der TV-Star Stanislaw „Slawi“ Trifonow, dürfte mit seiner Partei „Es gibt ein solches Volk“ auch im Juli wie schon im April zweitstärkste Kraft werden. Will die EU in ihren Mitgliedsländern stabile Verhältnisse statt Populismus und Systeme auf dem besten Weg in die Autokratie, dann muss endlich damit begonnen werden, Länder zu effektiver Korruptionsbekämpfung und Einhaltung des Rechtsstaatlichkeitsprinzips zu zwingen. Das saubere Image der EU hat jedenfalls international bereits deutlich Schaden genommen.

Karola Klatt ist Wissenschaftsjournalistin und Redakteurin der SGI News und des BTI Blogs der Bertelsmann Stiftung.

Eine gekürzte Version dieses Artikels ist zuerst erschienen bei Der Standard