Grüner Globus
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, Biodiversität: Naturschutz in Industrienationen – Vorreiter, Zerrissene und ein Totalverweigerer

Nie war die biologischen Vielfalt stärker bedroht als heute. Um diese Entwicklung zu stoppen, muss die Weltgemeinschaft sich dringend auf neue Ziele einigen. Wird die 15. Biodiversitätskonferenz trotz Corona endlich stattfinden können?

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von KAROLA KLATT

Schneller als je zuvor in der Geschichte der Menschheit nimmt weltweit die biologische Vielfalt ab. Von geschätzt acht Millionen Tier- und Pflanzenarten sind nach Angaben des Weltartenschutzrats eine Million vom Aussterben bedroht. Sind es bei uns Feldhamster, Iltis und Gartenschläfer, die eindringlich zum Handeln mahnen, fordern global Eisbär, Nashorn, Berggorilla und Tiger stellvertretend für tausende bedrohte Pflanzen- und Tierarten ein Ende der Zerstörung ihres Lebensraums.

Wie die globale Klimapolitik hat auch die globale Artenschutzpolitik stark unter den Folgen der Corona-Pandemie gelitten. Schon zwei Mal wurde die 15. UN-Biodiversitätskonferenz, die ursprünglich im Oktober 2020 im chinesischen Kunming stattfinden sollte, pandemiebedingt verschoben. Die neueste Idee der Gastgeber ist nun, die Konferenz in zwei Teilen stattfinden zu lassen: vom 11. bis 15. Oktober als virtuellen Gipfel und erst im Frühjahr 2022 das eigentliche Arbeitstreffen vor Ort.

Biodiversitätsziele verfehlt

Dabei wollen und müssen die 196 Vertragsstaaten der UN-Biodiversitätskonvention dringend ein neues Rahmenabkommen für die schon 2020 ausgelaufenen zwanzig Biodiversitätsziele beschließen. Laut dem letzten UN-Bericht zur Artenvielfalt vom September 2020 wurde kein einziges davon vollständig erreicht. Weder ist die Verlustrate natürlicher Lebensräume auf nahe Null oder wenigstens die Hälfte gesenkt, noch die Überfischung der Meere und Gewässer beendet. Weit entfernt ist man davon, alle für Landwirtschaft, Fischerei und Forstwirtschaft genutzten Flächen nachhaltig zu bewirtschaften oder die Verschmutzung der Umwelt auf ein unschädliches Niveau zu bringen.

In einigen wenigen Bereichen gibt es dennoch positive Veränderungen zu vermelden. Mindestens 17 Prozent der Land- und Binnenwassergebiete und 10 Prozent der Küsten- und Meeresgebiete sollten bis 2020 unter effektiven Schutz gestellt werden und tatsächlich ist die Weltgemeinschaft insgesamt nahe daran, dieses Ziel zu verwirklichen – aber nicht überall und nicht überall gleich.

Die Europäische Union hat mit Natura 2000 das größte grenzüberschreitende, koordinierte Schutzgebietsnetz weltweit geschaffen. Mit derzeit circa 27.000 Schutzgebieten auf 18,5 Prozent der Landfläche der EU leistet es einen wichtigen Beitrag zum Schutz der biologischen Vielfalt.

Vorbild Slowenien: Wo Bären und Luchse zuhause sind

Das kleine Slowenien weist dabei EU-weit den größten Anteil an geschützten Flächen auf. Die mehr als 350 Schutzgebiete des Landes erstrecken sich über 10,6 Quadratkilometer der maritimen und 37,6 Prozent der terrestrischen Landesfläche. In ihrem Länderbericht Slowenien urteilen die Experten der Vergleichsstudie Sustainable Governance Indicators (SGI) der Bertelsmann Stiftung: „Die Natura 2000-Gebiete lassen angesichts der Größe ihrer Fläche keinen Zweifel daran, dass sie das Rückgrat der slowenischen Bemühungen um die Schaffung einer grünen Infrastruktur bilden.“

Slowenien hat eine lange Geschichte nachhaltiger Waldwirtschaft und ist sich des Werts natürlicher Lebensräume für die Volkswirtschaft bewusst. Obgleich klein gilt es als eines der artenreichsten Länder Europas, Heimat einer der größten europäischen Bärenpopulation und erfolgreich in der Wiederansiedlung des Luchses. Die europäische Ratspräsidentschaft nutzt Slowenien, um den Schutz von Biodiversität nach seinem Vorbild international weiter voranzutreiben.

Chile scheitert an effektiver Durchsetzung von Schutzmaßnahmen

Wie zerrissen ein Land beim Naturschutz sein kann, zeigt Chile. In den letzten Jahren wurden hier erhebliche Fortschritte im maritimen Bereich gemacht. Das 2018 unter Schutz gestellte Meer um die Osterinsel, ein Gebiet weit ab der Küste und fast so groß wie die gesamte chilenische Landesfläche, schützt den Lebensraum von 142 endemischen und 27 bedrohten und gefährdeten Arten, darunter Meeresschildkröten, Buckel- und Blauwale. Die Einrichtung dieses Meeresschutzgebiets, erfolgte in enger Zusammenarbeit mit dem indigenen Volk der Rapa Nui auf der Osterinsel, das die exklusiven Fischereirechte erhielt, um sich ernähren und jahrhundertealte kulturelle Traditionen fortsetzen zu können. Ökologisch kann sich das Meer jedoch nur regenerieren, wenn das Verbot des kommerziellen Fischfangs auch effektiv durchgesetzt wird – und genau daran hapert es in Chile.

Die SGI-Länderexperten kritisieren, dass die chilenische Umweltpolitik einem starken innenpolitischen Druck der Industrie unterliege und deshalb oft lieber der Justiz das letzte Wort überlasse. Hier ginge es dann eher um „nachträgliche Bußgelder (verhängt bei Gesetzesverstößen) als präventive Regulierung und Compliance. Diese Schwäche ist beispielsweise in der Fischereiindustrie zu beobachten.“

Von den 41 untersuchten EU- und OECD-Ländern der SGI-Studie zur nachhaltigen Langfristorientierung in der Politik haben immerhin 25, wie gefordert, mindestens 17 Prozent ihrer Landflächen unter Schutz gestellt oder sind kurz davor, dieses Ziel zu erreichen. Chile (10,4 Prozent) gehört zu den wenigen Ländern, die seit 1995 kaum Fortschritte beim ländlichen Naturschutz machen und sich nicht erkennbar auf dieses Ziel hin bewegen. Schlechter bei diesem Indikator schneiden nur noch die USA (9,1 Prozent), die Schweiz (7,6 Prozent) und weit abgeschlagen die Türkei (0.2 Prozent) ab.

Vernachlässigung des Naturschutzes provoziert Umweltkatastrophen

Nach Einschätzung der SGI-Länderexperten beschließt das türkische Umweltministerium zwar Ziele auch zum Schutz der Natur, doch es werde „aus dem jährlichen Tätigkeitsbericht des Ministeriums nicht ersichtlich, wie es diese Ziele in den relevanten Sektoren angehe.“ Um seinen wirtschaftlichen Status nicht zu gefährden, ziehe es die Türkei vor, sich weiter zu den Schwellenländern zu zählen, und untergrabe damit alle internationalen umweltpolitischen Verpflichtungen. Wie sehr es sich damit selber schadet, zeigt die jüngste Meeresschleimkatastrophe im Marmarameer. Das empfindliche Ökosystem ist laut Experten irreversibel beschädigt. 60 Prozent seiner Arten seien bereits verschwunden.

Naturschutzmaßnahmen, so schätzt die Weltartenschutzorganisation, haben seit 2010 zwischen 11 und 25 Vogel- und Säugetierarten vor dem Aussterben bewahrt. Zwei bis vier Mal höher wären die Verluste an Arten seit 1993 gewesen, wenn Land- und Meeresgebiete nicht unter Schutz gestellt worden wären. Langsam setzt sich international die Einsicht durch, dass eine intakte Natur der beste Verbündete im Kampf gegen den Klimawandel ist. Das zu erwartende neue Rahmenabkommen zum Schutz der Biodiversität kann davon nur profitieren.

Karola Klatt ist Wissenschaftsjournalistin und Redakteurin der SGI News und des BTI Blogs der Bertelsmann Stiftung.