Zwei Frauen diskutieren, eine trägt Kopftuch

Engagement für Geflüchtete – eine Sache des Glaubens?

Die Rolle der Religion für die Flüchtlingshilfe

Im Spätsommer 2015 konnte man eindrucksvoll erleben, wie viel Kraft in der Zivilgesellschaft steckt: Damals strömten Tausende Menschen über die deutsche Grenze – geflüchtet aus Syrien und anderen Teilen der Welt, auf der Suche nach Sicherheit und einem menschenwürdigen Auskommen für ihre Familien. Empfangen wurden sie mit offenen Armen. In den folgenden Monaten formierten sich zahlreiche Initiativen, um die spontane Hilfe auf Dauer zu stellen und für die neu Angekommenen Unterstützung im Alltag zu organisieren. Viele dieser Hilfsinitiativen gingen von Religionsgemeinschaften aus. Es gab allerdings auch kritische Stimmen – diese betrafen fast ausschließlich das muslimische Engagement. So wurden Vorwürfe laut, Muslime würden sich zu wenig an der Flüchtlingshilfe beteiligen und sich scheuen, Verantwortung in der Gesellschaft zu übernehmen. Auf der anderen Seite wurden in der Öffentlichkeit mögliche Versuche der Einflussnahme auf Flüchtlinge durch radikale salafistische Prediger diskutiert, die auf einen Missbrauch der Flüchtlingshilfe für eine religiöse Indoktrinierung zielen. Diese Wahrnehmungen und Debatten haben wir zum Anlass genommen, genauer zu fragen, welche Rolle Religion und religiöse Einstellungen für die Flüchtlingshilfe spielen.

Muslime sind in deutlich stärkerem Ausmaß in die Flüchtlingshilfe involviert als Christen oder Menschen ohne Konfession.

Prof. Dr. Alexander-Kenneth Nagel und Dr. Yasemin El-Menouar

Prof. Alexander K. Nagel und Dr. Yasemin El-Menouar sind folgenden Fragen anhand der Daten des Religionsmonitors 2017 nachgegangen: Inwiefern stellt ein mit den Geflüchteten geteilter religiöser oder Migrationshintergrund eine Quelle für Empathie dar, die in konkrete Unterstützungsleistungen mündet? Inwiefern fungieren Religionsgemeinschaften als Kristallisationspunkte und Plattformen der Mobilisierung im Bereich der Flüchtlingshilfe? Welche Rolle spielt die allgemeine religiöse Lebensführung (Orthopraxis) für ein Engagement im Bereich der Flüchtlingshilfe? Welche Rolle spielen Glaubensinhalte wie die Offenheit gegenüber anderen religiösen Traditionen und Weltanschauungen und ein religiöses Sendungsbewusstsein?

 

Methode

Im Rahmen des aktuellen Religionsmonitors 2017 haben Menschen zum dritten Mal nach 2007 und 2013 Auskunft unter anderem über ihren Glauben, das Zusammenleben mit anderen Religionen, aber auch etwa zu Bildungsstand und Erwerbsbeteiligung gegeben. Insgesamt haben sich über 10.000 Menschen aus Deutschland, Österreich, der Schweiz, Frankreich, dem Vereinigten Königreich sowie der Türkei an der Befragung beteiligt, die das Sozialforschungsinstitut infas von Juli 2016 bis März 2017 durchgeführt hat. Eine Besonderheit des neuen Religionsmonitors ist, dass er Angehörige religiöser Minderheiten viel stärker zu Wort kommen lässt als bisher, um auch ihre Perspektive auf religiöse Vielfalt angemessen abzubilden. Deswegen finden insbesondere Muslime als größte religiöse Minderheit in Deutschland und ganz Europa Berücksichtigung. So haben aus Deutschland über 1.000 Muslime mit Wurzeln in der Türkei, Südosteuropa, dem Iran, Südostasien, Nordafrika sowie dem Nahen Osten teilgenommen. In den übrigen Ländern haben sich jeweils rund 500 Muslime aus den wichtigsten Herkunftsländern beteiligt. Der Religionsmonitor 2017 bietet auf diese Weise eine einzigartige Datengrundlage, die die Vielfalt der muslimischen Stimmen in Deutschland und Europa spiegelt.