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Antisemitismus und Rassismus: Der Nahost-Krieg offenbart Risse in der deutschen Gesellschaft

Vor dem Hintergrund des sich verschärfenden Nahostkonflikts gibt unser neues Factsheet einen ersten Einblick in die Ergebnisse einer Studie zu antisemitischen und antimuslimischen Einstellungen in Deutschland.

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Dr. Yasemin El-Menouar
Senior Expert – Religion, Werte und Gesellschaft
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Stephan Vopel
Director

Inhalt

Der aktuelle Krieg im Nahen Osten infolge des Terrorangriffs der Hamas gegen Israel am 7. Oktober wirkt sich auch in Deutschland aus – und offenbart Risse in der Gesellschaft. Besorgniserregend ist zum einen ein immer offener zutage tretender Antisemitismus, der sich auch in einem Anstieg antisemitischer Übergriffe äußert. Neben linkem und rechtem Antisemitismus ist vor allem Antisemitismus in der muslimischen Bevölkerung in den Fokus der öffentlichen Debatten gerückt. Zugleich erfahren aber auch auch Muslim:innen derzeit in hohem Maße Anfeindungen.

Wie verhindern wir, dass sich antisemitische und antimuslimische Vorurteile und Hatespeech in der derzeitigen politischen Krise weiter verstärken? Wie können wir den gesellschaftlichen Zusammenhalt angesichts der aktuellen Lage sichern? Und wie können wir allen Formen menschenverachtender Haltungen – antisemitischen wie antimuslimische – erfolgreich entgegentreten?

Vor dem Hintergrund dieser drängenden Fragen gibt unser Factsheet "Antisemitismus, Rassismus und gesellschaftlicher Zusammenhalt" einen ersten Einblick in die Ergebnisse unserer in Vorbereitung befindlichen Studie zu antisemitischen und antimuslimischen Einstellungen in Deutschland. Die Grundlage bildet der Religionsmonitor 2023, der auch international vergleichende Daten liefert. Die Zahlen für den Religionsmonitor wurden vor der aktuellen Verschärfung des Nahostkonflikts erhoben, werfen aber ein Licht auf wichtige zugrunde liegende Faktoren.

Israelbezogener Antisemitismus inzwischen salonfähig

Der Religionsmonitor 2023 zeigt: Besonders salonfähig ist ein israelbezogener Antisemitismus. So stimmen insgesamt 43 Prozent der Bevölkerung der Aussage zu, was der Staat Israel mit den Palästinensern mache, sei im Prinzip nichts anderes, als was die Nazis im Dritten Reich mit den Juden gemacht hätten. Diese Haltung findet sich nicht nur im rechtsextremen politischen Spektrum; auch Anhänger:innen der CDU/CSU, SPD, FDP und Linken stimmen dieser Aussage in hohem Maße zu, mit Anteilen zwischen 43 und 54 Prozent. Bei Anhänger:innen von Bündnis 90/Die Grünen findet man diese Meinung deutlich seltener.

"Natürlich ist Israelkritik nicht automatisch antisemitisch. Doch oft werden vermeintlich israelkritische Positionen einfach übernommen, ohne ihre antisemitische Dimension zu erkennen", so unser Experte für deutsch-israelische Beziehungen, Stephan Vopel. "Vorurteile, auch unbewusste, können ein gefährliches Einfallstor bieten für eindeutig antisemitische Ideologie. Umso wichtiger ist es, frühzeitig durch entsprechende Bildungsangebote Wissen und Urteilsfähigkeit zu vermitteln", so Vopel.

Zudem finden sich israelbezogene antisemitische Einstellungen in stärkerem Maß bei Menschen, die zugewandert und in einem Land aufgewachsen sind, das weniger sensibilisiert ist für die Bedeutung, die der Holocaust für das deutsche Selbstverständnis und die daraus erwachsene Verantwortung hat. Auch Muslim:innen, die ihre Religion stärker praktizieren, zeigen häufiger antisemitische Haltungen. "In manchen Herkunftsländern muslimischer Einwander:innen wird Antisemitismus zum Teil religiös begründet. Daher sollten Lesarten des Islam gestärkt werden, die nicht gesellschaftlich spalten, sondern als Brücke zwischen den Menschen wirken können", so unsere Religionsexpertin Yasemin El-Menouar.

Muslime unter Generalverdacht

Gleichzeitig sind auch antimuslimische Vorbehalte in der deutschen Gesellschaft stark verbreitet: So empfinden 52 Prozent der Bevölkerung den Islam als "sehr" oder "eher bedrohlich". 54 Prozent der nichtmuslimischen Bevölkerung in Deutschland sehen im Islam "in erster Linie eine politische Ideologie" und 58 Prozent sind der Meinung, islamistische Terroristen fänden Rückhalt in der muslimischen Bevölkerung. "Diese Gleichsetzung zwischen Islam und Islamismus führt dazu, dass Muslime häufig unter Generalverdacht stehen, wenn Islamisten Gräueltaten anrichten", sagt El-Menouar. "Antisemitische wie antimuslimische Vorurteile führen zu gesellschaftlicher Spaltung. Wir müssen uns ihnen entgegenstellen, auch um den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu bewahren", erklärt sie.

Unser Factsheet benennt sechs konkrete Handlungsempfehlungen, wie die Gesellschaft antisemitischen und antimuslimischen Vorurteilen und Ressentiments begegnen und zu mehr Aufklärung und Verständigung beitragen kann. Dies und weitere Ergebnisse unserer Untersuchung lesen Sie in der folgenden Publikation.

Zusatzinformationen

Die Publikation "Antisemitismus, Rassismus und gesellschaftlicher Zusammenhalt" ist Teil des Religionsmonitors 2023. Die Daten dafür wurden im Juni und Juli 2022 erhoben. Insgesamt wurden 10.657 Menschen in Deutschland, den Niederlanden, Frankreich, Großbritannien, Spanien, Polen sowie den USA befragt. In Deutschland haben sich 4.363 Menschen an der Befragung beteiligt. Die Ergebnisse sind repräsentativ für die deutsche Bevölkerung.

Mit dem Religionsmonitor untersuchen wir seit 2008 ländervergleichend die Rolle von Religion für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Der Religionsmonitor 2023 beschäftigt sich mit den Fragen der Religiosität in Zeiten multipler Krisen und der Frage von Vielfalt, Solidarität und Toleranz gegenüber Andersgläubigen. Die Erkenntnisse der Studien liefern Hinweise für ein gelingendes Zusammenleben.