Medizinisches Personal läuft zu einem Notfall

Notfallversorgung und Rettungsdienst in Deutschland: Wo stehen wir und was muss sich ändern?

Bei der Debatte um die Neuordnung der Versorgungslandschaft in Deutschland sind sich alle Beteiligten in einem einig: Im Notfall muss ein Patient schnell und bedarfsgerecht versorgt werden. Doch an welchen Faktoren hängt eine gute Notfallversorgung? Sind wir an den entscheidenden Stellen gut aufgestellt oder könnte man den Rettungsdienst, den ärztlichen Bereitschaftsdienst und die Notaufnahmen der Kliniken besser organisieren?

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Dr. Jan Böcken
Senior Project Manager

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Der Rettungsdienst muss immer häufiger ausrücken, die Notfallambulanzen sind überfüllt und das Personal überlastetet. Trotzdem suchen immer mehr Menschen die Notaufnahmen der Krankenhäuser direkt auf. Wie gut oder schlecht diese Prozesse ineinandergreifen, ist unklar, weil es wenig Daten zu der Qualität der Notfallversorgung gibt. Dafür gibt es umso mehr Akteure, zwischen denen der Informationsaustausch stark verbesserungsfähig ist. Das liegt auch daran, dass die Notfallversorgung häufig in mehr oder weniger kleinen Insellösungen organisiert ist. Das gilt nicht nur für die drei großen Bestandteile klinische Notaufnahme, ärztlicher Bereitschaftsdienst und Rettungsdienst. Auch die über 200 Leitstellen organisieren oft nur einen Teil der Rettungskette und auch das nur bis zur jeweiligen regionalen Zuständigkeitsgrenze. Die Digitalisierung von Prozessen könnte helfen, bleibt aber weit hinter den Möglichkeiten zurück. Und auch für die Zukunft sieht es düster aus: Fachkräftemangel, Ineffizienz und Versorgungsprobleme in ländlichen Gebieten sind auch hier die Stichworte. In der Notfallversorgung finden sich exemplarisch fast alle großen Baustellen des deutschen Gesundheitswesens. Das ist einer der Gründe, weshalb viele Experten hier den Schlüssel zu einer Reform der Versorgungsstrukturen sehen.

Erster Übersicht über Status quo, Herausforderungen und Lösungsansätze

Wir haben zusammen mit der Björn Steiger Stiftung die Universität Maastricht gebeten, eine Grundlagenstudie zur Situation in der deutschen Notfallversorgung und im Rettungswesen zu erstellen. Darin wird zunächst die Ist-Situation und die Defizite in den zentralen Bereichen der Notfallkette beschrieben:

  1. Notfallsituation
  2. Leitstelle
  3. Versorgung am Notfallort
  4. Versorgung während des Transports
  5. Weiterführende Versorgung des Notfalls

Das Ausland ist uns oft ein paar Schritte voraus
Für diese Bereiche werden dann unterschiedliche Wege aufgezeigt, wie man Dinge besser machen kann. Manchmal können einzelne deutsche Lösungen als Vorbild dienen, oft lohnt ein Blick ins Ausland. So gibt es in Großbritannien ein System der Kategorisierung und Priorisierung in der Ersteinschätzung eingehender Notrufe, dass die Überlebenswahrscheinlichkeit der Patienten erhöht. In Dänemark gibt es besonders ausgestattete Rettungsmittel für soziale und psychiatrische Notfälle, auf die das deutsche System heute nicht adäquat vorbereitet ist, obwohl die Bedeutung gerade psychischer Erkrankungen stark zugenommen hat.

10 Vorschläge für eine bessere Notfallversorgung

Die Uni Maastricht hat aus dieser Bestandsaufnahme 10 Vorschläge abgeleitet, wie Notfallversorgung und Rettungsdienst im besten Fall zu reformieren wären. Sie können als Orientierung und Bewertungsmaßstab dienen für die kommende Reformversuche, die in der Umsetzung auch mit gegebenen Restriktionen wie Machtstrukturen, rechtlichen Zuständigkeiten, Ressourcenknappheit und dem schlichten Beharrungsvermögen eines gewachsenen Systems umgehen müssen:

  1. Festlegung eines bundesweit einheitlichen Zielbildes
  2. Gesundheitsleitstelle als (virtueller) Single Point of Contact
  3. Bundesweit einheitliche standardisierte und strukturierte Notrufabfrage
  4. Bundesweite Einführung einheitlicher und umfassender telenotärztlicher Systeme
  5. Stärkung sozialmedizinischer und psychosozialer Rettungsdienst-Kompetenz
  6. Stärkung und flächendeckende Einführung hybrider Versorgungssysteme
  7. Festlegung einheitlicher Planungsparameter leitliniengerechter Versorgung
  8. Bundesweite Digitalisierungsinitiative mit einheitlicher Finanzierungsstrategie
  9. Bundesweit einheitliche Qualitätssicherung in der Notfallversorgung
  10.   Aktive Vernetzung von Public Health, Public Safety und Health Care 

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