Probieren Sie den Net-Zero Navigator für sich selbst aus!
Mit dem Net-Zero Navigator einfach Länder vergleichen und Entkopplungspfade visualisieren.
Wollen wir in Deutschland ein gewohntes Maß an wirtschaftlichem Wohlstand beibehalten und gleichzeitig das Ziel der Klimaneutralität bis 2045 erreichen, spielt der Begriff der Entkopplung eine entscheidende Rolle. Deutschland muss es schaffen, den Ressourcenverbrauch sowie den Ausstoß von Treibhausgasemissionen vom Erhalt oder Wachstum des eigenen Bruttoinlandproduktes (BIP) zu entkoppeln und das viel schneller als bisher.
Welche Ziele haben sich die EU-Länder gesetzt? Wer entkoppelt am meisten und welche Länder hinken hinterher? Diese Fragen beantwortet der Net-Zero Navigator. Das frei zugängliche Online-Tool ermöglicht es, den Fortschritt der einzelnen Länder beim Thema Entkopplung zu vergleichen und individuelle Entkopplungspfade in die Zukunft zu visualisieren.
Das Focus Paper, mit dem diese Untersuchung begann, Wachstum oder Schrumpfung in der sozial-ökologischen Transformation: eine Frage der Entkopplung, fasst die Debatte zwischen Wirtschaftswachstum und Degrowth im Rahmen der sozial-ökologischen Transformation zusammen.
Es skizziert zwei Szenarien für das Erreichen der Klimaneutralität in Deutschland bis 2045. Das eine Szenario – starke Entkopplung – sieht erhebliche technologische Fortschritte vor, die zu einer Verringerung der Emissionsintensität führen, was ein weiteres Wirtschaftswachstum ermöglichen würde.
Das andere Szenario, bei dem die Entkopplung nur langsam voranschreitet – schwache Entkopplung – würde einen erheblichen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts (BIP) erfordern, um die Klimaziele zu erreichen. Die Autoren argumentieren, dass technologische Innovation in Verbindung mit einem gesellschaftlichen Wertewandel hin zu nachhaltigem Konsum die beste Chance bietet, Wirtschaftswachstum und ökologische Nachhaltigkeit miteinander zu vereinbaren.
Aus dieser Betrachtung möglicher Szenarien entstand die Idee, die Entkopplung europaweit und darüber hinaus zu überwachen und zu vergleichen, was zum "Netto-Zero Navigator" geführt hat.
Ein Blick auf den Ländervergleich des Net-Zero Navigators zeigt: Nicht nur Deutschland tut sich schwer mit der Entkopplung. Würden alle Länder so wirtschaften, wie sie es im Wirtschaftsjahr 2022 (dem derzeitigen Datenhorizont des Tools) getan haben, würden einzig Luxemburg und Lettland bis zum EU-Zieljahr 2050 klimaneutral. Der Trend zu einer schnelleren Entkopplung von Wohlstand und Emissionen geht immerhin bei derzeit 19 der 27 EU-Länder in die richtige Richtung.
Schauen wir uns die Langzeit-Entkopplungsaufwände der Länder an, ist Estland Vorreiter in der EU. Zwischen 1991 und 2022 nahm die Emissionsintensität hier um knapp 84 Prozent ab, gefolgt von Irland mit 82 Prozent Abnahme und Litauen mit einer 80-prozentigen Verringerung. Auch absolut landet das osteuropäische Land auf Platz 1 unter den EU27-Staaten. Am geringsten entkoppelt haben in der EU bis jetzt Zypern und Portugal. Hier wurde die Emissionsintensität um etwa 35 Prozent verringert. Die durchschnittliche Abnahme in den EU27-Ländern liegt bei 56 Prozent.
Was dies für die zukünftig benötigten Anstrengungen der einzelnen Länder bedeutet, wollen diese Ihre Klimaziele erreichen, lässt sich nur schwieriger direkt vergleichen. So haben sich die Länder zum Teil sehr unterschiedliche Zieljahre für das Erreichen der Klimaneutralität gesetzt. Während Finnland sich mit 2035 das ambitionierteste Zieljahr gesetzt hat, sehen die Pläne von zum Beispiel Indien vor, erst im Jahr 2070 die eigenen Netto-Emissionen auf null zu reduzieren.
Gleichzeitig erlauben sich unterschiedliche Länder auch unterschiedliche Restemissionen zum Erreichen der Klimaneutralität. Solche Restemissionen sind zulässig, solange die ausgestoßenen Emissionen an anderer Stelle wieder gespeichert werden können und die Nettoemissionen eines Landes somit nicht über null steigen. Während Wissenschaftler für Deutschland von zulässigen Restemissionen von zirka 65 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten ausgehen, können sich weniger dicht besiedelte Länder mit großen Wald- und Moorflächen deutlich mehr Restemissionen leisten. So geht der aktuelle Treibhausgasreduktionsplan Russlands von aktuell 1.200 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten an zulässigen Restemissionen für das eigene Land aus, der Druck zur Entkopplung fällt somit entsprechend geringer aus.
Ob Deutschland schnell genug entkoppeln kann, um die selbstgesetzten Klimaziele zu erreichen, wird davon abhängen, wie schnell und signifikant die eigene Emissionsintensität sinkt. Die Höhe der Emissionen, die in Deutschland in einem Jahr verursacht werden, hängt von zwei Größen ab: Der Menge der hergestellten Waren und Dienstleistungen (also dem Bruttoinlandsprodukt, kurz BIP) und der Emissionsintensität.
Die Emissionsintensität gibt an, wie viele Tonnen Treibhausgasemissionen bei der Produktion einer BIP-Einheit, also zum Beispiel Waren und Dienstleistungen im Wert von einer Milliarde Euro, anfallen. Aus diesen Zusammenhängen lässt sich ableiten, ob das Erreichen bestimmter Klimaschutzziele noch ein BIP-Wachstum erlaubt oder ob die Wirtschaft eines Landes dafür schrumpfen müsste.
Der Net-Zero Rechner zeigt: Die Herausforderungen für Deutschland sind massiv. Wenn Deutschland bis zum Jahr 2045 klimaneutral werden soll und gleichzeitig unser gewohntes Wirtschaftswachstum (Im Schnitt zirka 1,25 Prozent jährlich seit 1991) erhalten bleiben soll, müsste die Emissionsintensivität über die nächsten Jahre im Schnitt um 11,5 Prozent jedes Jahr reduziert werden. Ein gewaltiger Unterschied zu den knapp 2,6 Prozent jährlicher Reduktion der vergangenen Jahre.
Möchten wir hingegen die bisherige Entkopplungsgeschwindigkeit Deutschlands mit einem jährlichen Entkopplungsgrad von -2,61 Prozent beibehalten, kalkuliert der Rechner, dass eine jährliche Schrumpfung des Bruttoinlandprodukts um 7,6 Prozent notwendig wäre. In anderen Worten: Für das Erreichen der Klimaneutralität bis 2045 unter dem bisherigen Entkopplungstempo wäre eine signifikante Schrumpfung des BIP notwendig.
Ein Schrumpfen der Wirtschaftsleistung aber wäre kontraproduktiv, denn dies hätte auch negative Auswirkungen auf den immateriellen Lebensstandard jedes Einzelnen, etwa in den Bereichen Gesundheit und Bildung, und auf die Möglichkeiten, eine faire Verteilung des Wohlstands erreichen zu können. Letztlich kann dies auch die Bereitschaft zu und die Akzeptanz von Klimaschutz schmälern. Eine schnelle und signifikante Steigerung des Entkopplungsgrads wird somit unumgänglich.
Damit diese Transformation gelingt, ist neben technologischen und strukturellen Innovationen, wie zum Beispiel dem stärkeren Etablieren einer Circular Economy, insbesondere die Wirtschaftspolitik gefragt. Eine konsequente Weiterentwicklung und Umsetzung der CO2-Bepreisungsmodelle, die dem europäischen Green Deal und dem EU-ETS zugrunde liegen, ist unabdingbar. Der daraus resultierende entsprechend hohe CO2-Preis muss aber auch durch geeignete sozial- und industriepolitische sowie außenwirtschaftliche Begleitmaßnahmen in Form einer CO2-Grenzausgleichssteuer flankiert werden, um eine Abwanderung der heimischen Industrie zu verhindern und eine faire Lastenverteilung bei der Transformation zu gewährleisten.
Mit dem Net-Zero Navigator einfach Länder vergleichen und Entkopplungspfade visualisieren.