Windkraftrad mit Industrie im Hintergrund

Klimaneutraler Wirtschaftsstandort: Handlungsfelder zwischen Konsens und Kontroverse

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Foto Otto Meyer zu Schwabedissen
Otto Meyer zu Schwabedissen
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Daniel Posch
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Breiter Entscheider-Konsens zum klimaneutralen Industriestandort

Trotz zunehmender geopolitischer Spannungen, wirtschaftlicher Stagnation und gesellschaftlicher Konflikte: Das Ziel der Klimaneutralität erfährt durch Entscheider:innen aus Politik, Wirtschaft, Verwaltung und Zivilgesellschaft weiterhin breite Unterstützung. Weitgehend teilen Entscheidungsträger:innen die Einschätzung, dass die Transformation neue Geschäftsfelder und Wachstumsmöglichkeiten für den Wirtschaftsstandort Deutschland und die einzelnen Unternehmen bieten wird. Die nötigen Voraussetzungen für Wettbewerbsfähigkeit auf den klimaneutralen Zukunftsmärkten seien gegeben.

Das ist das Ergebnis von mehr als dreißig Interviews mit Führungskräften aus Politik, Wirtschaft, Verwaltung und Zivilgesellschaft, die Agora Industrie und die Bertelsmann Stiftung in Kooperation mit ifok GmbH durchgeführt haben. Dabei kamen Unternehmensvertreter:innen aus verschiedenen Branchen des Verarbeitenden Gewerbes, aus der energieintensiven Industrie sowie auch grüne Start-Ups zu Wort. Trotz ihrer unterschiedlichen Perspektiven zeigte sich unter den Befragten eine bemerkenswerte Übereinstimmung: Sie teilen zentrale Problemdiagnosen, benennen ähnliche Handlungsbedarfe und entwerfen übereinstimmende Zielbilder für den Wirtschaftsstandort Deutschland im Jahr 2045.

Damit der Umbau gelingt, sind aus Sicht der Entscheider:innen zunächst kurzfristige Anpassungen des Politik-Mixes erforderlich, die zu einer Erhöhung der öffentlichen Investitionstätigkeit, der Senkung von Energiepreisen oder der Vereinfachung von Planungs- und Genehmigungsverfahren führen. Gleichzeitig sind langfristig gesetzte und verlässliche Rahmenbedingungen aus ihrer Sicht zentral für das Gelingen der Transformation.

Eine exportorientierte und technologisch führende Industrie bleibt das Ziel

Für einen legislaturübergreifenden politischen Kurs braucht es ein möglichst breit geteiltes Zielbild für den klimaneutralen Industriestandort. Bei den Akteuren herrscht große Einigkeit darin, dass der Standort in 20 Jahren dekarbonisiert, digitalisiert, resilient und ressourceneffizient sein muss und weiterhin auf einer innovativen Industrie basiert. Auch die Exportorientierung solle erhalten bleiben.

Darüber hinaus zeichnet er sich durch einen innovationsstarken Mittelstand, widerstandsfähige Lieferketten, deutlich ausgebaute Kapazitäten erneuerbarer Energien sowie den branchenübergreifenden Einsatz von Schlüsseltechnologien aus.

Handlungsbedarf bei Energie und öffentlicher Finanzierung

Die Interviews zeigen auf, in welchen Feldern für die neue Bundesregierung starker Handlungsdruck besteht. Dabei sind aus Sicht der Entschundsträger:innen Maßnahmen in sechs Bereichen umzusetzen:

  • Energie: Wettbewerbsfähige Preise durch niedrigere Steuer- und Abgabenlast, Ausbau der erneuerbaren Energie und H2-Ready-Kapazitäten
  • Finanzierung: Mehr öffentliche Investitionen und eine Reform der Schuldenregel
  • Infrastruktur: Modernisierung von Netzen und Verkehrswegen, konsequente Digitalisierung
  • Arbeit & Soziales: Qualifikation grüner Fachkräfte und soziale Kompensation klimapolitischer Maßnahmen
  • Resilienz: Diversifikation von Lieferketten, strategische Industriepolitik
  • Governance: Klarere Zuständigkeiten, weniger bürokratische Auflagen, bessere strategische Steuerung der Transformation

Angesichts der wirtschaftlichen Lage und strukturellen Herausforderungen wünschen sich die befragten Akteure eine Investitionsoffensive in Infrastruktur, Resilienz und Transformation. Der erweiterte fiskalische Spielraum durch Sondervermögen und Schuldenbremsenreform kann dabei Verteilungskonflikte verschiedener Investitionsprioritäten auflösen und eine positive Transformationsdynamik auslösen.

Kontroversen bei der Rolle des Staates

Differenzen auf Umsetzungsebene basieren hauptsächlich auf unterschiedlichen Einstellungen mit Blick auf eine industriepolitische und technologische Steuerung durch den Staat. Während einige Akteure dem Staat geringe Kompetenz in der Auswahl und Förderung zukunftsträchtiger Technologien attestieren, fordern andere verstärktes industriepolitisches Engagement, insbesondere zur Förderung zukunftsrelevanter Branchen und zur Abfederung des Strukturwandels.

Hierfür braucht es für zentrale Handlungsfelder Aushandlungsprozesse mit einer breiten Stakeholderbasis, um regulatorische Unsicherheit zu überwinden und Kontinuität der wirtschaftspolitischen Richtung sicherzustellen.

Die Klimaneutralität braucht Verlässlichkeit

Damit die klimaneutrale Transformation zum Erfolg wird, bedarf es verlässlicher und langfristig planbarer Leitplanken.

Schließlich herrscht auf sektoraler Ebene – etwa im Verkehrs- oder Gebäudesektor – weiterhin große regulatorische Unsicherheit, sowohl mit Blick auf konkrete Transformationspfade als auch hinsichtlich der langfristigen Ausgestaltung politischer Instrumente sowie des Infrastrukturausbaus. Hier könnte eine Einigung auf Transformationspfade helfen, die derzeitige Zurückhaltung bei Transformationsinvestitionen sowohl bei Bürgerinnen als auch bei Unternehmen zu mindern.

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