Länderbericht Saarland

Fazit

Auf die Berufsbildungspolitik und die Akteure der beruflichen Bildung im Saarland kommen aktuell und in nächster Zeit einige Herausforderungen zu, die sowohl unter der Perspektive der künftigen Fachkräftesicherung als auch der Chancengerechtigkeit zu diskutieren sind. Wirtschaftlich gesehen, befindet sich das Saarland in einem anhaltenden strukturellen Wandel: Zunächst geprägt von einer monostrukturellen Montan-Vergangenheit wandelte sich das Land zu einem modernen Industriestandort mit einem industriellen Kern in der Automobil- und Metallindustrie und durchläuft nunmehr Veränderungsprozesse hin zu einer auch von innovativen IT- und wissenschaftsorientierten sowie personenbezogenen Dienstleistungen geprägten Wirtschaftsstruktur.

Gegenwärtig ist allerdings noch nicht zu erkennen, inwiefern sich die Steuerung der beruflichen Bildung an diesen Herausforderungen orientiert und ob diese Veränderungen Eingang in Prozesse der Berufsorientierung und in der Bereitstellung zukunftsorientierter Ausbildungsangebote in den wachsenden Dienstleistungssegmenten finden. Gegenwärtig scheinen sich die Probleme an einem von traditionellen Berufsstrukturen geprägten Ausbildungsmarkt eher zu verfestigen. Darauf verweisen der hohe Anteil an Neuzugängen in den Übergangssektor, der mit knapp einem Drittel in der Phase einer dynamischen wirtschaftlichen Entwicklung im Saarland nach wie vor ziemlich hoch ausfällt, sowie die in den letzten zehn Jahren nur wenig gestiegene Angebots-Nachfrage-Relation, deren leichte Verbesserung ein Ergebnis eines demografisch bedingten Nachfragerückgangs, aber nicht verstärkter Ausbildungsanstrengungen der Wirtschaft ist. Davon zeugen aber auch Passungsprobleme auf berufsstruktureller Ebene und die im Vergleich der westdeutschen Flächenländer recht hohe Jugendarbeitslosigkeitsquote.

Aktuell ist nicht absehbar, ob es gelingen wird, die Ausbildungsangebote im dualen System in den nächsten Jahren zu erhöhen; der massive Abbau von Ausbildungsplätzen in der letzten Dekade lässt hieran Zweifel aufkommen, auch wenn sich der Prozess in den vorangegangenen beiden Jahren etwas verlangsamt hat, bleibt dennoch der Abwärtstrend zunächst bestehen. Hier wird die Herausforderung vor allem darin bestehen, Angebote in den wachsenden Beschäftigungsfeldern bereitzustellen. In diesem Zusammenhang ist die absolute Verengung des Berufsspektrums im Schulberufssystem auf Ausbildungen im Bereich Erziehung, Gesundheit und Soziales (konzentriert auf Ausbildungen im Gesundheitswesen) auch als Problem anzusehen. Diese Angebote stellen zuvorderst Angebote an Frauen dar; der Anteil der männlichen Neuzugänge am saarländischen Schulberufssystem ist mit 8 % deutlich unter dem Bundesmittel von 12 % und bildet den niedrigsten Wert im Ländervergleich. Das heißt, männliche Jugendliche nehmen die Angebote im Schulberufssystem im Saarland kaum als passende Ausbildungsmöglichkeit war. Vor dem Hintergrund der Fachkräfteentwicklung in den IT- und naturwissenschaftsbezogenen sowie in den personenbezogenen Beschäftigungsfeldern ist das Land jedoch gut beraten, neben einer Ausweitung des Berufsspektrums im Schulberufssystem auch die geschlechtsspezifischen Zuordnungsmuster der Ausbildungsberufe – beispielsweise über eine Berufsorientierung und Berufsberatung – (weiter) aufzulösen. 

Weitere Herausforderungen für die Berufsbildungspolitik im Saarland dürften die demografische Entwicklung und die Abwanderungsbewegungen darstellen. Was zunächst als Entlastung auf dem Ausbildungsmarkt wirkt, der Rückgang von Schulabsolventen, eine damit sinkende Nachfrage und verbesserte Angebots-Nachfrage-Relation, kann sich kurz- und mittelfristig zu einem Problem der Fachkräftesicherung entpuppen, besonders auch unter Berücksichtigung des über dem Bundesdurchschnitt liegenden Anteils an Personen im Alter von 55 bis 64 Jahre, die in den kommenden Jahren aus dem Arbeitsprozess ausscheiden werden (vgl. Tab. 2.2A). Diese Entwicklung gewinnt an Schärfe mit Blick auf die Struktur der Schulabsolventen. Die Zahl der Absolventen mit mittlerem Schulabschluss als das Hauptreservoir für die berufliche Bildung wird sich allein schon demografiebedingt weiter reduzieren. Davon betroffen sind insbesondere Ausbildungen im Schulberufssystem, erst recht Ausbildungen im mittleren und oberen Berufsspektrum, die am ehesten Berufe in unternehmensbezogenen und IT- sowie kaufmännischen wie auch gewerblich-technischen Dienstleistungen umfassen, die im Saarland jedoch nur ca. ein Drittel ausmachen.

Zugleich fehlen im Land offenbar Ausbildungsangebote, die für die sichtlich gewachsene Gruppe an Jugendlichen mit (Fach-)Hochschulzugangsberechtigung, die weiter expandieren wird, attraktiv sind, erkennbar an den niedrigen Anteilen der Einmündung an Personen mit dieser Vorbildung in die berufliche Bildung. Will man gut qualifizierte Jugendliche im Bundesland als Fachkräfte gewinnen (und halten), wird man nicht umhinkommen, über Maßnahmen einer aktiven Berufsausbildungspolitik im Verbund mit den Wirtschaftsakteuren ernsthaft nachzudenken, um Ausbildungsangebote und -strukturen zu schaffen, die Ausbildungen in zukunftsträchtigen Berufen der oberen Mitte und des oberen Berufssegments auf breiterer Basis als bislang ermöglichen.

Da im Saarland jedoch auch ein höherer Anteil an Personen mit maximal Hauptschulabschluss die Schule verlässt, wird die berufliche Bildung sich ebenfalls verstärkt um die Ausbildungsintegration dieser Personengruppe besonders bemühen müssen. Hier ist das Saarland schon erfolgreicher als andere westdeutsche Flächenländer. Betrachtet man jedoch die nach wie vor bestehenden Disparitäten zwischen deutschen und ausländischen Jugendlichen mit maximal Hauptschulabschluss und die in die Berufsvorbereitung in den letzten beiden Jahren neu aufgenommenen zugewanderten Jugendlichen, so sind nicht nachlassende und verstärkte Anstrengungen erforderlich, um auch deren Teilhabechancen zu verbessern. Zugleich ist diese Personengruppe aber auch eine Chance für die Fachkräftesicherung in der Region, vorausgesetzt die Integration hat Erfolg. 

 

Autoren: Prof. Dr. Martin Baethge, Dr. Maria Richter (Soziologisches Forschungsinstitut Göttingen, SOFI); Prof. Dr. Susan Seeber, Dr. Meike Baas, Dr. Christian Michaelis, Robin Busse (Universität Göttingen).