Länderbericht Niedersachsen

Fazit

Niedersachsen hat seit Jahren einen der angespanntesten Ausbildungsmärkte im dualen System in Deutschland, der zwar durch ein relativ stabiles Ausbildungsangebot, aber auch durch eine überdurchschnittlich hohe Angebotsunterdeckung geprägt ist. Gemessen an der ANR ist aber seit einigen Jahren eine Entspannung ersichtlich, die vor allem als Folge der wachsenden Hochschulbeteiligung von Schulabsolventen verstanden werden kann, da die Alterskohorte im besonders ausbildungsrelevanten Alter in etwa seit 2007 gleich stark geblieben ist. Obwohl seit 2007 die Nachfrage um etwa 11 % zurückgegangen ist, bleibt aktuell eine Ausbildungsplatzlücke von 8 % bestehen: diese könnte sich durch die hohe Zahl der Zugewanderten im ausbildungsrelevanten Alter in den nächsten Jahren noch erhöhen. Da Niedersachsen sowohl in der Berufsausbildung größere Angebotslücken hat als auch bei den Hochschulzugangsberechtigten eine unterdurchschnittliche Quote aufweist, sind Bildungs- und Berufsbildungspolitik zu erhöhten Anstrengungen aufgefordert.

Auch mit Blick auf die Chancengerechtigkeit der beruflichen Bildung zeichnen sich in Niedersachsen zwei problematische Trends ab: Dies betrifft zum einen den geringeren Tauschwert eines bereits mittleren Schulabschlusses – von niedrigeren Abschlüssen ganz zu schweigen – bei einem verknappten Ausbildungsangebot, das die Nachfrage nicht annähernd decken kann. Es betrifft zum anderen den erschwerten Ausbildungszugang für ausländische Jugendliche, die lediglich in zwei Regionen etwas weniger stark ausfällt. Ob es gelingt, die neu in den Übergangssektor eingemündeten Schutz- und Asylsuchenden in eine Ausbildung zu integrieren, wird in hohem Maße von der Effektivität der berufsvorbereitenden Programme wie auch von einer begleitenden Unterstützung im Prozess der Ausbildungseinmündung und -durchführung, vor allem aber von einer deutlichen Anhebung des dualen und vollzeitschulischen Ausbildungsplatzangebots abhängen.

Vor dem Hintergrund der erschwerten Ausbildungszugänge für Jugendliche ohne oder mit maximal Hauptschulabschluss, der überwiegend auch für die angesprochene Gruppe der Schutz- und Asylsuchenden gilt, und einem weiter rückläufigen Angebot an Ausbildungsplätzen wird ohne politische Gegensteuerung der Gefahr einer sozialen Exklusion der genannten Gruppen nicht begegnet werden können. Eine bildungspolitische Gegensteuerung aber ist lediglich in Ansätzen zu erkennen, z. B. am Ausbau von Ausbildungsangeboten im Schulberufssystem – bei jedoch zugleich eher engen Berufswahlmöglichkeiten.

Sowohl aus ökonomischen Leistungs- als auch aus sozialen Gerechtigkeitsgründen ist das Land gehalten, mit seiner Berufsbildungspolitik die beträchtlichen Disparitäten im Land zu verringern. Insbesondere gilt dies für die Verbindung von regionalen und sozialen Disparitäten: Jugendliche in einigen nordwestlichen Arbeitsagenturbezirken haben im Extremfall eine um 20 Prozentpunkte geringere Chance auf eine vollqualifizierende Berufsausbildung als Jugendliche in den industriebasierten Ballungszentren. Diese regionale Ungleichheit von Ausbildungschancen trifft ausländische Jugendliche noch einmal sehr viel härter als deutsche.

 

Autoren: Prof. Dr. Martin Baethge, Dr. Maria Richter (Soziologisches Forschungsinstitut Göttingen, SOFI); Prof. Dr. Susan Seeber, Dr. Meike Baas, Dr. Christian Michaelis, Robin Busse (Universität Göttingen).