Kurs mit geflüchteten Lehrkräften an der Universität

Weiterbildungsprogramm für geflüchtete Lehrkräfte in NRW ist auf gutem Wege

Vor gut zwei Jahren begann die Universität Bielefeld mit der Weiterbildung für geflüchtete Lehrkräfte im Rahmen des Pilotprojekts „Lehrkräfte Plus – Perspektiven für Lehrkräfte mit Fluchtgeschichte“, ein halbes Jahr später folgte die Ruhr-Universität Bochum. Je 25 Personen pro Standort haben seitdem ein Jahr lang die Möglichkeit, sich für den Einsatz in Schulen in Deutschland vorzubereiten. Doch gelingt das auch? Ja, sogar in stärkerem Ausmaß als erwartet, zeigt der Zwischenbericht der externen Evaluation des Projekts. 

Ansprechpartner

2017 haben sich das Ministerium für Schule und Bildung in Nordrhein-Westfalen, die Landeskoordinierungsstelle für Kommunale Integrationszentren und die Bertelsmann Stiftung zusammengetan, um gemeinsam das Projekt „Lehrkräfte Plus“ zu starten – ein halbes Jahr später ist auch die Stiftung Mercator in die Kooperation eingestiegen. Die Universitäten Bielefeld und Bochum entwickelten Kursprogramme, die auf die besonderen Bedarfe der ausländischen Lehrkräfte aus Fluchtländern und Schulen in Deutschland ausgerichtet sind. Nun liegen erste Befunde dazu vor, wie erfolgreich das Pilotprojekt bisher gelaufen ist.

Lehrkräfte Plus

„Lehrkräfte Plus“ erfreut sich einer hohen Nachfrage – bei steigender Qualität der Bewerbungen

Der Projektstandort Bielefeld steht im Zentrum des Zwischenberichts der Evaluation, die von der Beratungsagentur Syspons durchgeführt wird – der Standort Bochum, an dem das Programm ein halbes Jahr später begonnen hat, wird in dem finalen Bericht näher beleuchtet werden. Einige Ergebnisse gelten standortübergreifend, die Nachfrage war für beide Standorte hoch: In Bielefeld und in Bochum haben sich zwischen knapp 200 und 470 Personen für die ersten drei bzw. zwei Durchgänge beworben. Die Anzahl der Bewerbungen ist zwar zurückgegangen, ihre Qualität ist aber gestiegen, insbesondere im Hinblick auf das Sprachniveau. Das Programm erfreut sich überdies bundeslandübergreifender Beliebtheit: Dreiviertel aller Bewerbungen kommen von Personen aus Nordrhein-Westfalen, ein Viertel aus anderen Bundesländern.

Es gibt ein großes Potenzial von Lehrkräften, die im Ausland gearbeitet haben und für den Schuldienst in Deutschland gewonnen werden können

Die Evaluationsexperten von Syspons schätzen in einer Potenzialanalyse, dass bundesweit mit rund 1.000 interessierten Lehrkräften mit Fluchtgeschichte gerechnet werden kann. Darüber hinaus gibt es ein Potenzial von 700 Lehrkräften, die aus Nicht-EU-Staaten nach Deutschland eingewandert sind. Dementsprechend rechnen die Evaluatoren damit, dass das Interesse an „Lehrkräfte Plus“ hoch bleibt. 

Der Aufbau und die Inhalte des Weiterbildungsprogramms werden von allen Beteiligten positiv gesehen

Im ersten Halbjahr des Programms liegt der Fokus auf der Weiterentwicklung der Deutschkenntnisse der Teilnehmenden. Die Evaluationsexperten haben dazu und zu anderen Programmelementen die Programmmacher, teilnehmende Lehrkräfte und Absolventen, begleitende Mentoren und Schulleitungen befragt: Die Befragten bekräftigen diesen Fokus. Insbesondere die Themen Jugend- und Umgangssprache, Unterrichts- und Schriftsprache und verschiedene Lerngeschwindigkeiten der Teilnehmenden wurden von den Befragten als relevant beurteilt.

Neben der Vermittlung von Sprachkompetenzen nimmt die Pädagogisch-Interkulturelle Qualifizierung im Rahmen von „Lehrkräfte Plus“ einen zentralen Stellenwert ein. Hierbei berichten Hochschullehrende, Projektteam und Schulleitungen übereinstimmend, dass der Schulsystemwechsel den Teilnehmenden vieles abverlangt. Sie müssen sich in einem für sie fremden Schulsystem mit seinen speziellen Anforderungen an Lehrkräfte zurechtfinden, was als große Herausforderung wahrgenommen wird. Dies wird von Seiten der Teilnehmenden und insbesondere den bereits erfahreneren Absolventen bestätigt. 

Die Kultur einer Schule beeinflusst die Integration der Teilnehmenden und Absolventen von „Lehrkräfte Plus“

Im zweiten Halbjahr des Programms werden die Teilnehmenden an den Schulalltag in Deutschland herangeführt. Die Zwischenevaluation zeigt, dass der erfolgreiche Einstieg in die schulische Praxis voraussetzungsreich ist. Die Deutschkenntnisse müssen hoch genug und die Teilnehmenden in der Lage sein, die neue Rolle als Lehrkraft in einem anderen System reflektieren zu können. Genauso wichtig sind Faktoren im Schulumfeld. Denn die Kultur der jeweiligen Schule hat einen Einfluss darauf, wie die geflüchteten Lehrkräfte aufgenommen werden und wie leicht sie es haben, in Kontakt mit dem Kollegium zu kommen. Dies gelingt besonders in Schulen mit ausgeprägter Teamkultur, in denen ein intensiver Austausch im Kollegium, eine direkte Kontaktaufnahme und punktuelle Unterstützung der neuen Kollegen ermöglicht wird.

Die Erfahrungen zur Akzeptanz auf Schülerseite sind unterschiedlich

Die geflüchteten Lehrkräfte berichten von unterschiedlichen Erfahrungen mit den Schülerinnen und Schülern: Auf der einen Seite sind sie im Klassenraum manchmal damit konfrontiert, dass die Schüler sich über ihre mangelnden Sprachkenntnisse lustig machen. Auf der anderen Seite erleben Teilnehmende und Absolventen aber auch eine große Akzeptanz in der Schülerschaft - sie werden in gleicher Weise respektiert wie andere Lehrkräfte. 

Die Anschlussprogramme der Bezirksregierungen eröffnen neue Perspektiven im Schuldienst

Zu Beginn von „Lehrkräfte Plus“ standen unterschiedliche Anschlussperspektiven im Raum. Unter anderem gab es die Optionen für die Absolventen des Programms, als Vertretungslehrkräfte zu arbeiten, ihre Muttersprache im herkunftssprachlichen Unterricht einzubringen oder im offenen Ganztag eingesetzt zu werden. Die Zwischenevaluation zeigt, dass die Anstellung auf Vertretungslehrstellen zwar möglich, aber mit Planungsunsicherheiten und einem relativ geringen Gehalt verbunden ist. Ein unmittelbarer Einstieg als Lehrkraft nach dem Programm wird überdies als schwierig beschrieben: Die Anforderungen, im deutschen Schulalltag zurechtzukommen, sind nach einem Programmjahr noch hoch. Auch aus rechtlichen Gründen ist ein Einstieg nicht einfach, da der Abschluss aus den Herkunftsländern nicht als gleichwertiger Abschluss zum Staatsexamen anerkannt wird.

Deshalb wurde im Schuljahr 2018/19 das Anschlussprogramm „Integration von Lehrkräften mit Fluchthintergrund“ von der Bezirksregierung Arnsberg initiiert und pilotiert, das ein Jahr später auch in den Bezirksregierungen Detmold und Düsseldorf eingeführt wurde. Über die Dauer von zwei Jahren werden die Absolventen von „Lehrkräfte Plus“ an Schulen angestellt und von Lehrerfortbildnern pädagogisch-didaktisch weiterqualifiziert. Anschließend haben die geflüchteten Lehrkräfte die Möglichkeit, über einen „kleinen Seiteneinstieg“ dauerhaft als Ein-Fach-Lehrkraft eingestellt zu werden. Konnten bei der Pilotierung des Programms 2018/19 zunächst ein Teil der Bielefelder Absolventen aufgenommen werden, waren es – auch durch die Ausweitung auf weitere Bezirke – im Folgejahr schon alle Absolventen aus Bielefeld und Bochum, die weiter in Schule unterrichten wollten. Durch diese Anschlussprogramme können die mit dem Projekt verknüpften Erwartungen, dass es rund zwei Drittel der geflüchteten Lehrkräfte in die deutschen Klassenzimmer schaffen, voraussichtlich übertroffen werden.