Menschenmenge

Deutsche Bevölkerung wird toleranter gegenüber Vielfalt - Polarisierung nimmt zu

Mit zwei Studien widmen wir uns den Einstellungen gegenüber Vielfalt in Deutschland.

Wie weltoffen ist Deutschland: Toleranz im Zeitverlauf

 Im Längsschnittvergleich von Bevölkerungsumfragen von den 1980er Jahren bis heute machen Marc Helbling und Oliver Strijbis einen Trend zu zunehmend offeneren und toleranteren Einstellungen aus: So waren beispielsweise 1990 noch 64 Prozent der befragten Deutschen der Meinung, man solle deutsche Staatsbürger Ausländern gegenüber auf dem Arbeitsmarkt bevorzugen. 23 Jahre später lag dieser Wert mit 43 Prozent deutlich niedriger. Auch im Vergleich zu anderen westeuropäischen Staaten liegen die Einstellungswerte in Deutschland eher im Durchschnitt. Auch in Deutschland ist aber eine Spaltung zwischen gesellschaftlichen Eliten und dem Durchschnitt der Bevölkerung erkennbar: So sind in der Gesamtbevölkerung rund 45 Prozent der Meinung, man solle Einwanderung stark begrenzen, während unter Vertretern der gesellschaftlichen Elite diese Meinung lediglich von rund 5 Prozent geteilt wird.

Während in anderen westeuropäischen Ländern Einwanderung und internationale Einbindung bereits in den späten 1990er und frühen 2000er Jahren zentrale Themen im politischen Meinungsstreit waren, prägten in Deutschland vor allem innen- und sozialpolitische Themen im Nachgang der Wiedervereinigung die Wahlkämpfe jener Zeit. Die deutsche Asyldebatte der 1990er Jahre war verebbt und hatte keiner rechten oder rechtspopulistischen Partei bedeutsamen Auftrieb gegeben. Gleichwohl ist das Potential für eine rechtspopulistische Partei in Deutschland seit Mitte der 1990er Jahre vorhanden. Im europäischen Vergleich ist dieses Potential jedoch eher durchschnittlich bis unterdurchschnittlich ausgeprägt.

Mit der Euro- und Finanzkrise seit 2008 und der Flüchtlingssituation ab Sommer 2015 ist jedoch die Konfliktlinie zwischen nationaler Abschottung und Offenheit ins Zentrum der politischen Debatten gerückt. Mit dieser Veränderung ist ein politischer Resonanzboden für die durchaus auch früher vorhandenen Einstellungspotentiale entstanden. Hierdurch entsteht das paradoxe Phänomen, dass bei längerfristiger Betrachtung trotz einer Zunahme von Toleranz und Akzeptanz von Vielfalt in den Einstellungen der Bevölkerung zugleich die öffentliche und politische Repräsentation von Intoleranz größer wird. Dies birgt die Gefahr, dass, vermittelt über den öffentlichen Diskurs, eine Verschiebung in der Meinung der Gesamtbevölkerung zurück in die andere Richtung erfolgt. Des Weiteren verbirgt sich hier die Gefahr einer zunehmenden Polarisierung zwischen jenen, die Vielfalt befürworten und den Gegnern einer offenen Gesellschaft.

Vom Unbehagen an der Vielfalt

Das Forschungsinstitut infas hat Anfang 2017 deutschlandweit über 5000 Personen zum Zusammenleben in Deutschland telefonisch interviewt. Diese Daten wurden zunächst für die Studie „Sozialer Zusammenhalt in Deutschland 2017, die bereits im Dezember letzten Jahres veröffentlicht wurde, verwendet. Auf dieser reichhaltigen Datenbasis war es aber auch möglich, einen genauen Blick auf diejenigen Menschen in Deutschland zu werfen, die aktuell Vielfalt überdurchschnittlich skeptisch bis ablehnend gegenüberstehen.

Die Autoren zeigen, dass Vielfalt vor allem in den östlichen Bundesländern und in wirtschaftlich strukturschwachen Regionen stärker abgelehnt wird. Personen, die Vielfalt überdurchschnittlich ablehnen, sind im Schnitt sowohl in ihrer eigenen Wahrnehmung als auch objektiv wirtschaftlich schlechter gestellt.

Die überdurchschnittliche Ablehnung von Vielfalt ist zudem mit anderen, für das Zusammenleben relevanten Einstellungsmustern verbunden: So fällt das Vertrauen in gesellschaftliche Institutionen wie in Mitmenschen bei diesen Personen geringer aus. Ebenso ist die generelle Lebenszufriedenheit niedriger und die sozialen Netzwerke kleiner. Wenig überraschend ist, dass diese Gruppe die Flüchtlingssituation deutlich negativer bewertet.

Unterschiedliche Typen mit Tendenz zur Ablehnung von Vielfalt

Durch die hohe Fallzahl von 5000 Befragten lassen sich vier Typen identifizieren, die sich allesamt durch eine gegenüber Vielfalt ablehnende Haltung auszeichnen, jedoch deutliche Unterschiede in deren Ausmaß und in ihrer Sozial- und Motivationsstruktur aufweisen: als „Zweifler“, „Verunsicherte“, „Frustrierte“ und „Ausgegrenzte“ haben die Autoren diese vier Gruppen bezeichnet. Grundsätzlich trennt der Mittelwert die Befragten in 61 Prozent, die Vielfalt eher befürworten und 39 Prozent, die Vielfalt eher ablehnend gegenüberstehen.

 Zwar überdurchschnittlich ablehnend, dabei jedoch am moderatesten sind die „Zweifler“, sie machen 10,5 Prozent aller Befragten aus. Hierbei handelt es sich um sozial gut eingebundene und sozio-ökonomisch abgesicherte Konservative, deren Skepsis sich aus ihren grundlegend Wertvorstellung speist. Sie engagieren sich und vertrauen grundsätzlich den politischen und gesellschaftlichen Institutionen. Etwas stärker fällt die Ablehnung der Vielfalt bei den „Verunsicherten“ (16,3 Prozent aller Befragten) aus. Sie sind eher unpolitisch, lokal verwurzelt und sozio-ökonomisch in einer stabilen Lage. Kennzeichnend für ihre Haltung ist die Verunsicherung durch globale Entwicklungen mit ungewissem Ausgang, z. B. die gestiegenen Flüchtlingszahlen oder europäischen Krisen. Ihre Ablehnung von Vielfalt speist sich vor allem aus der Sorge um den ungewissen Ausgang von gesellschaftlichen Veränderungen.

Deutlich höher ist die Ablehnung von Vielfalt unter den sogenannten „Frustrierten“ (7,8 Prozent). Diese Gruppe, die vor allem in Ostdeutschland stark vertreten ist, zeichnet sich durch hohe persönliche Unzufriedenheit, starkes Empfinden von Ungerechtigkeit und geringe individuelle Ressourcen aus. Die sozio-ökonomische Lage ist prekär und die Personen dieser Gruppen leben in eher strukturschwachen Regionen. Dennoch haben sie Anschluss an ihr soziales Umfeld.

Dies ist einer der entscheidenden Unterschiede zu den „Ausgegrenzten“, bei denen es sich um die kleinste Gruppe, mit einem Anteil von 4,2 Prozent der Befragten insgesamt, handelt. Auch ihre sozio-ökonomische Lage ist schlecht, häufig sind diese Personen arbeitslos und verfügen nur über eine geringe Bildung. Zusätzlich sind sie kaum in soziale Beziehungen eingebunden. Ihre Sicht auf die Welt ist geprägt von Spannungen, Konflikten und Ungerechtigkeitsempfinden. Auch ihr unmittelbares Umfeld beschreiben sie als schwierig, von geringem Zusammenhalt geprägt und von sozialen Problemen bestimmt.

Fazit

Die beiden Studien zeigen, dass die Offenheit für Vielfalt in der deutschen Bevölkerung in der langfristigen Betrachtung größer geworden ist. Allerdings kann eine zunehmende Polarisierung zwischen den Befürwortern von Offenheit und den Befürwortern von nationaler Abschottung konstatiert werden. Aktuell steht die Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts auf der politischen Agenda. Dabei spielt die Frage, wie das Zusammenleben in einer faktisch bereits seit langem vielfältigen Gesellschaft gelingen kann. Will man also – politisch oder zivilgesellschaftlich – den Zusammenhalt stärken, dann machen die vorliegenden Auswertungen deutlich, dass die Gruppe derjenigen, die Vielfalt kritisch bis ablehnend betrachten, keineswegs selbst homogen ist, sondern dass hier ganz unterschiedliche Hintergründe zusammenkommen. Für den Umgang mit Vielfalt ist diese Differenzierung von Bedeutung: Die Gruppe der „Zweifler“ ist zwar skeptisch, was wachsende Vielfalt angeht, erscheint aber bereit, auf der Basis demokratischer Werte über ein gelingendes Zusammenleben zu verhandeln. Hier können Initiativen, wie die Diskussion über ein an Grundwerten orientiertes „Leitbild“ für die Einwanderungsgesellschaft (Rat für Migration) ansetzen.

Bei den „Verunsicherten“ sind es – angesichts von Globalisierung sowie Digitalisierung und dem damit einhergehenden beschleunigten gesellschaftlichen Wandel – sozio-ökonomische Abstiegsängste und damit verbundene Sorgen um die Zukunft, aus der sich die Ablehnung von Vielfalt speist. Hier gilt es politisch Stabilität und Sicherheit zu gewährleisten und zugleich Kontaktmöglichkeiten sowie Austausch zwischen Mehrheit und Minderheiten zu ermöglichen, um Vorurteile abzubauen.

Für die Gruppen der „Frustrierten“ und der „Ausgegrenzten“ muss es einerseits darum gehen, die akuten prekären sozio-ökonomischen Lagen zu verbessern, aus denen heraus die Ablehnung von Offenheit entsteht und andererseits ihre gesellschaftlichen Teilhabemöglichkeiten zu vergrößern. Da sich in diesen Gruppen aber vermutlich auch Personen finden, deren Weltbild weitreichend stabil und geschlossen fremdenfeindlich bis rassistisch ist, bleibt fraglich, inwieweit unmittelbar überhaupt ein offener Dialog über Vielfalt oder politische Beteiligung möglich ist. Optimistisch stimmt, dass diese Gruppe insgesamt verhältnismäßig klein ausfällt.