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Europas ungenutzte Potentiale: Wie regionale Tech-Kooperationen die doppelte Transformation und den europäischen Zusammenhalt fördern können

Aktuelle Vorschläge für eine Neuausrichtung der EU-Kohäsionspolitik empfehlen, ihr eine stärkere Rolle im Streben der EU nach strategischer Autonomie zu geben und gleichzeitig ihr Kernversprechen von wirtschaftlicher Entwicklung und Konvergenz in Europa zu bewahren. Unsere neue Studie vermisst die technologische DNA von Europas Regionen in wichtigen grünen und digitalen Technologien und identifiziert ungenutztes Potenzial für die Zusammenarbeit über Regionen- und Ländergrenzen hinweg. Dieses Potenzial kann sowohl für die Beschleunigung der doppelten Transformation als auch zur Stärkung des Zusammenhalts in Europa genutzt werden.

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Nathan Crist
Project Manager
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Dr. Thomas Schwab
Senior Expert European Economics

Europas globale Wettbewerbsfähigkeit und langfristiger Wohlstand hängen maßgeblich davon ab, wie die europäische Wirtschaft die grüne und digitale Transformation meistern wird. Der Erfolg der doppelten Transformation beruht jedoch nicht nur darauf, dass die EU als Ganzes ihre Innovationsfähigkeit im Bereich der grünen und digitalen Technologien verbessert. Er hängt auch davon ab, dass die Vorteile dieser Innovation breit gestreut sind, damit der Wandel allen zugutekommt und nicht nur einigen Regionen.

Derzeit gibt es in Europa eine starke Innovationskluft, die den Zusammenhalt zwischen den EU-Regionen zu verschlechtern droht: die wirtschaftlich stärksten und innovativsten Regionen wie Oberbayern, Île-de-France oder Stockholm haben auch bei den grünen und digitalen Zukunftstechnologien, die die künftige EU-Wirtschaft prägen werden, die Nase vorn.

Vor dem Hintergrund der laufenden Debatte um die Zukunft der EU-Kohäsion ist es deshalb wichtig, dass politische Entscheidungsträger:innen auf europäischer, nationaler und regionaler Ebene nach Möglichkeiten suchen, wie Regionen mit anderen Regionen in der EU für beide Seiten vorteilhafte Kooperationen aufbauen können, um neue grüne und digitale Technologien zu entwickeln und gleichzeitig die Kohäsion in Europa zu stärken.

Die neue Studie des Projekts Europas Wirtschaft „Technological capabilities and the twin transition in Europe: Opportunities for regional collaboration and economic cohesion“ bewertet die Komplementarität der technologischen Profile der europäischen NUTS-2-Regionen und gibt einen Überblick über die ungenutzten Potenziale, die sich aus neuen Verbindungen zwischen Regionen mit unterschiedlichem wirtschaftlichen Entwicklungsniveau und über nationale Grenzen hinweg ergeben.

Zukunftstechnologien sind in Europa räumlich stark konzentriert

Zwischen 2017 und 2021 wurden in den 288 europäischen NUTS-2-Regionen 211.790 Patente in einer grünen oder digitalen Technologie entwickelt. Die Entwicklung dieser Patente fand jedoch nicht gleichmäßig über die Regionen hinweg statt: Mehr als 80% der Zukunftstechnologien wurden in den wirtschaftlich stärksten Regionen Europas entwickelt.

Insbesondere bei digitalen Technologien gibt es ein starkes Gefälle zwischen Europas Zentrum und der europäischen Peripherie. Wirtschaftlich stärkere Regionen in der Mitte Europas entwickeln deutlich mehr Patente als Übergangsregionen und weniger entwickelte Regionen in Süd- und Osteuropa. Auch skandinavische Regionen weisen eine hohe Zahl an Patenten in digitalen Technologien auf, insbesondere Stockholm und Helsinki.

Für grüne Technologien gibt es in Europa insgesamt weniger Patente als im digitalen Bereich. Diese sind aber ähnlich stark konzentriert. Besonders viele Patente werden in wirtschaftlich starken Regionen entwickelt.

Eine hohe Anzahl an Patenten ist aber nur ein Teil der Lösung: Keine Region beherrscht alle technologischen Fähigkeiten allein. Regionen können also davon profitieren, wenn sie andere Regionen mit komplementär gelagerten technologischen Fähigkeiten finden und sich mit ihnen zusammenschließen. Deshalb wird schon heute bei mehr als 50% der Patententwicklungen über Regionsgrenzen hinweg zusammengearbeitet. Die Kooperation endet aber oftmals an den Ländergrenzen: In rund 75% aller Fälle fand diese Zusammenarbeit zwischen Regionen innerhalb desselben Landes statt. Europas Regionen sollten sich also fragen, ob nicht auch jenseits nationaler Grenzen geeignete Partner für die Entwicklung von Zukunftstechnologien zu finden sind.

Bündelung von ergänzenden Fähigkeiten zur Entwicklung neuer Technologien

Um für eine Region passende Zukunftstechnologien zu finden, werden in der Studie die Konzepte „Verwandtschaft“ (englisch: relatedness) und „Komplementarität" (complementarity) verwendet. Regionen sollten sich bei der Entwicklung neuer Technologien an ihren in der Vergangenheit gewonnen Fähigkeiten ausrichten. Eine starke Orientierung an diesen verwandten Fähigkeiten erhöht die Chancen, neue innovative Technologien zu entwickeln. Regionen können ihre unterschiedlichen Stärken im Sinne komplementärer Übereinstimmung bündeln.

Die technologischen Fähigkeiten der einzelnen Regionen werden auch nach ihrer Komplexität (complexity) bewertet. Die Entwicklung von Patenten für künstliche Intelligenz sind zum Beispiel komplexer als Patente für nachhaltige Verpackungsmaterialien oder Systeme im Bereich Heizung, Lüftung und Klimatisierung, da sie mehr Ressourcen und spezialisiertere Fertigkeiten für Innovationen erfordern. Die Entwicklung einer Spezialisierung in verwandten, komplexen Technologien verschafft einer Region einen wirtschaftlichen Vorsprung gegenüber anderen. Schwer zu reproduzierende Spitzentechnologien dieser Region bilden die Grundlage für künftige Wettbewerbsfähigkeit und wirtschaftliche Entwicklung.

Zusammengefasst: Wenn eine Region bereits in der Vergangenheit Patente entwickelt hat, die stark mit einer neuen Technologie verwandt sind, und die neue Technologie besonders komplex ist, ist die Entwicklung dieser Technologie sowohl risikoarm als auch wirtschaftlich einträglich. Bringt eine andere Region ergänzende technologische Fähigkeiten in Bezug auf Verwandtschaft und Komplexität ein, dann kann eine Zusammenarbeit zwischen Regionen von Vorteil sein.

Es zeigt sich, dass wirtschaftlich starke Regionen in der EU über ein größeres Potenzial zur Entwicklung neuer digitaler Technologien verfügen. Wirtschaftlich schwächere Regionen hinken hinsichtlich Menge, Verwandtschaft und Komplexität der von ihnen entwickelten Patente im Bereich der digitalen Technologien hinterher.

Das Potenzial für die Entwicklung Zukunftstechnologien sieht für Übergangsregionen in der EU deutlich besser aus: Zwar weisen diese Regionen bei den meisten digitalen Technologien – insbesondere bei den hochkomplexen – ein schwaches Potenzial auf, haben aber ein beträchtliches Potenzial für die Entwicklung von neuen grünen Technologien. Die Möglichkeiten für wirtschaftliche Entwicklung sind jedoch limitiert, da zwar das Potenzial risikoarm ist, aber auch der komparative Vorteil, der aus einer zukünftigen Spezialisierung entstünde, gering ist.

Die Studie vermisst auch das ungenutzte Potenzial interregionaler Verflechtungen im Hinblick auf grüne und digitale Zukunftstechnologien. Dabei wird analysiert, wie komplementär die jeweiligen technologischen Fähigkeiten von Regionen sind. Die Ergebnisse zeigen das enorme ungenutzte Potenzial europäischer Regionen, das gehoben werden kann, indem sie ihre Fähigkeiten bei der Entwicklung neuer grüner und digitaler Technologien besser verknüpfen.

Regionale Zusammenarbeit über Landesgrenzen hinweg stärken

Um den wirtschaftlichen Zusammenhalt in Europa zu stärken und technologischen Fähigkeiten auszubauen, sollten europäische Regionen ihre Kräfte bei der Entwicklung von Zukunftstechnologien besser bündeln. Regionen mit großen, komplementär gelagerten Potenzialen sollten verstärkt die Zusammenarbeit über Ländergrenzen hinweg suchen.

Um die europäische Zusammenarbeit von Regionen zu fördern, sollte die Politik darauf abzielen, Unternehmen gezielt zu unterstützen, den Aufbau von Forschungskapazitäten zu fördern sowie institutionelle Hürden zu reduzieren. Dadurch kann sichergestellt werden, dass die technologischen Möglichkeiten von Regionen voll ausgeschöpft werden und die für die Entwicklung von Zukunftstechnologien erforderliche Mobilität von Ressourcen sichergestellt wird.

Die gute Nachricht der Studie ist: Es gibt zahlreiche Möglichkeiten zur Entwicklung von grünen und digitalen Technologien in allen Regionen der EU. Daraus ergeben sich eine Vielzahl an Optionen, wie Regionen in Zukunft zusammenarbeiten können. Wann immer möglich, sollten dabei Technologie-Kooperationen realisiert werden, bei denen wirtschaftlich stärkere Regionen mit wirtschaftlich schwächeren Regionen zusammenfinden. Dadurch können sowohl der für die doppelte Transformation wichtige technologische Fortschritt, aber auch der wirtschaftliche Zusammenhalt in Europa gestärkt werden. Dies ist insbesondere bei der Entwicklung und Verfeinerung der Strategien zur intelligenten Spezialisierung der EU-Regionen und beim Aufbau interregionaler Innovationspartnerschaften im Zusammenhang des kohäsionspolitischen Rahmens 2021-2027 von großer Bedeutung.