Der Parteitag der Kommunistischen Partei Chinas, der vom 18. bis 24. Oktober in Peking stattfand, ist großes Politkino. Doch in Wahrheit wissen wir nur wenig darüber, was in Chinas inneren Machtzirkeln passiert. In keinem anderen großen Land laufen zentrale Entscheidungsprozesse so konsequent im Verborgenen ab wie in China. Aus europäischer Sicht bedeutet das: Einer der mächtigsten Akteure der Weltpolitik und -wirtschaft lässt sich immer schwieriger einschätzen.
Die Undurchdringlichkeit der Parteistrukturen ist keineswegs neu. Aber unter Staatspräsident Xi Jinping ist China noch ein Stück intransparenter geworden. Seine Vorgänger Hu Jintao und Jiang Zemin regierten als primus inter pares, als Erste unter Gleichen, die zwischen verschiedenen Interessen und Überzeugungen moderierten. Fraktionen und Richtungskämpfe ließen sich von außen zumindest schemenhaft erkennen, etwa Hus Rivalität mit seinem liberaler gesinnten Premier Wen Jiabao, oder unter Jiang das Ringen um das richtige Maß marktwirtschaftlicher Öffnung. Im Rückblick wirken diese Jahrzehnte geradezu wie eine Ära gelebter Vielfalt.
Xi dagegen ist es gelungen, viel mehr Macht auf seine eigene Person zu konzentrieren und die klare Kür eines Nachfolgers zu verweigern. Sogar eine dritte Amtszeit scheint möglich, was ein radikaler Bruch mit den Parteikonventionen wäre. Ob es tatsächlich dazu kommt, wird sich erst beim nächsten Parteitag in fünf Jahren zeigen. Doch schon die Spekulationen über Xis Rolle in der Partei zeigt die große Verunsicherung darüber, wie die Macht in Peking verteilt ist.
In China selbst können solche Diskussionen nur noch im Privaten geführt werden. Die Räume für unliebsame Fragen oder gar offene Kritik sind unter Xi Jinping kleiner geworden. Der norwegische Politologe Stein Ringen hat für Xis China den Begriff "Kontrollokratie" geprägt: ein System, das mit seiner annähernd absoluten Macht über Medien und Internet alle Diskurse mitverfolgen, steuern und gegebenenfalls unterbinden kann.
Diese Einschränkungen prägen auch den internationalen Austausch: Chinesische Think Tanks und Wissenschaftler, die zu politischen oder gesellschaftlichen Themen arbeiten, treten heute deutlich vorsichtiger und systemkonformer auf. Zivilgesellschaftliche Kontakte sind durch das 2017 in Kraft getretene "Gesetz zur Kontrolle von Nichtregierungsorganisationen" enorm eingeschränkt worden. Auch die Arbeitsbedingungen für internationale Medien haben sich verschlechtert, von chinesischen ganz zu schweigen.
Die Signale des Parteitags deuten darauf hin, dass sich an diesem Kurs nichts ändern wird. Xi Jinping hat seinen Herrschaftsstil gefunden und die Partei darauf geeicht. Die wichtigsten Entscheidungen werden in einer Blackbox getroffen.
Das schürt im Ausland Skepsis oder gar Verschwörungstheorien, besonders auch in Deutschland, das mit China wirtschaftlich, politisch und gesellschaftlich so stark verbunden ist wie kein anderes europäisches Land. Welche Absichten verfolgt China mit seinen Auslandsinvestitionen? Welches geopolitische Kalkül steckt hinter der Seidenstraßeninitiative? Was für ein Spiel spielt Peking in Nordkorea? Ängste und Unsicherheiten belasten auch die vielen Bereiche und Projekte, bei denen beide Seiten bestens zusammenarbeiten können.
Europäische Politiker oder Interessensverbände können derzeit leider wenig mehr tun, als in China immer wieder dafür zu werben, dass mehr Transparenz und Verlässlichkeit im chinesischen Interesse sein müsste, wenn Peking die Beziehungen zu Europa wichtig sind. Tatsächlich schenkt China den Europäern seit Beginn der Präsidentschaft von Donald Trump mehr Beachtung, in der Hoffnung, damit die globale Stabilität zu sichern. Für Europa liegt darin eine Chance, sich gegenüber China als starker Partner zu positionieren – vorausgesetzt den europäischen Staaten gelingt es endlich, sich auf eine gemeinsame Chinapolitik zu einigen und sich nicht auseinanderdividieren zu lassen.
Dafür ist es auch notwendig, die Entwicklungen in China noch sorgfältiger zu analysieren, möglichst ohne Generalverdächtigungen, aber auch ohne Naivität. Ein guter Anfang wäre, nicht nur zu benennen, was wir über China wissen, sondern auch, was wir alles nicht wissen und unsere blinden Flecken offensiv anzugehen.