China ist hier Spitzenreiter. In der Führung der Kommunistischen Partei sind Kader mit naturwissenschaftlich-technischem Hintergrund überrepräsentiert. Das Land zeigt sich zukunftsgläubig und hat kaum Vorbehalte gegen die Umgestaltung von Natur und Gesellschaft. Neben physischen Großvorhaben wie dem Dreischluchtenstaudamm entstehen dort nun eben auch digitale Mega-Projekte wie die Einführung des Social Scoring. Die Führung hegt den brennenden Ehrgeiz, den Aufstieg unter die führenden Technikländer herbeizufördern. China will nun auch zum weltweiten Blockchain-Weltmeister werden.
Präsident Xi Jinping hat die Blockchain im Mai 2018 in einer Rede vor der Chinese Academy of Sciences ausdrücklich an der Seite von KI, Quantencomputern, Mobilfunk und dem Internet der Dinge als Teil der „neuen Generation der Informationstechnik“ gelobt. In China ist die pure Erwähnung durch die oberste Führung in einer „wichtigen Rede“ schon ein Ritterschlag für eine neue Idee. Alle Hierarchieebenen überbieten sich nun darin, irgendwelche Ergebnisse zu präsentieren.
So arbeiten Regierungsstellen nun mit Hochdruck daran, Standards für die Blockchain-Nutzung zu setzen. Das Ministerium für Industrie und Informationstechnik bringt dafür ressortübergreifend Fachleute an einen Tisch. China ist zugleich Schauplatz für verschiedene interessante Pilotprojekte. Die Stadt Loudi beispielsweise will die Blockchain nutzen, um Immobiliengeschäfte zu dokumentieren. Sie hat dazu die relevanten Behörden vernetzt. Jede Transaktion wird auf einem Server registriert und in Zusammenfassung in der Blockchain festgeschrieben. Damit kann sich jede beteiligte Stelle von der Echtheit des Eintrags überzeugen. In China haben solche Projekte im Erfolgsfall oft Vorbildcharakter und werden auf das ganze Land ausgedehnt.
Der öffentliche Sektor experimentiert auch sonst bereits eifrig mit der neuen Technik. Bei der Zentralbank des Landes laufen mehrere Blockchain-Forschungsprojekte. Sie allein hält mindestens 45 Blockchain-Patente. Auch die staatlichen Geschäftsbanken sind eifrig dabei.
Noch aktiver ist jedoch der Privatsektor. Der Internetkonzern Alibaba allein kam im Jahr 2017 auf zehn Prozent aller Blockchain-Patente weltweit. Es geht ihm nicht nur um Anwendungen für den Onlinehandel. Alibaba forscht eifrig an der Automatisierung von Internetdiensten jeder Art.
Die Bitcoin-Szene liest solche Nachrichten mit Verwunderung, denn sie ist noch vom Verhalten der chinesischen Regierung im selben Jahr traumatisiert. Diese hat die Nutzung von Krypto-Währungen in China praktisch ausgerottet, indem sie Handelsplätze für illegal erklärt hat. Das scheint sich mit der Förderung der Blockchain zu beißen, schließlich ist Bitcoin bisher ihre führende Anwendung.
Doch letztlich ist das Verhalten der Chinesen völlig logisch. Geld gehört nach chinesischer Auffassung unter die Kontrolle des Staates. Wer von Kommunismus herkommt und die eigene Währung nicht für den freien Handel gegen Dollar und Euro freigegeben hat, kann und darf sich kein konkurrierendes Geld leisten. Mit Bitcoin sind grundsätzlich auch anonyme Milliardentransfers möglich. Nicht ohne Grund wurde Bitcoin in China in kurzer Zeit rasend populär. Eine nichtstaatliche Alternative zur Aufbewahrung von – wie auch immer gewonnenen – Werten, dazu ein Weg, sie anonym über die Grenze zu schaffen, und überdiese ein Spekulationsgut mit steigendem Wert: das war für begüterte Chinesen eine unwiderstehliche Mischung.
Heute sieht die Lage also so aus, dass Krypto-Währungen wie Bitcoin praktisch verboten sind, während die Regierung die Entwicklung von Blockchain-Anwendungen aktiv vorantreibt. Wenn schon eine revolutionäre Technik, dann soll sie sich unter staatlicher Aufsicht entfalten.
Chinesische Vordenker sehen die Blockchain sogar ausdrücklich als Möglichkeit, die Amerikaner abzuhängen. Aufschlussreich war hier ein Segment in der Reihe „Dialoge“ des Staatssenders CCTV zum Thema Blockchain. Das Fazit der Sendung: „Die Blockchain ist zehnmal mehr wert als das Internet.“ Zhang Shoucheng, ein inzwischen verstorbener Physiker, sieht die Blockchain als nächste Stufe des Internets jenseits der Geschäftsmodelle von Google und Facebook. Während diese Informationen zentralisiert haben, wird die Blockchain sie dezentralisieren. Zhang war eine viel beachtete Persönlichkeit: Das Physik-Genie hat sich 1980 im Alter von 17 Jahren an der FU Berlin eingeschrieben und lehrte nach seinem Abschluss in den USA.
Es sind jedoch immer noch Zweifel erlaubt, ob der chinesische Ansatz aus Kontrolle und Förderung optimal ist. Sie bewegt sich damit zwischen verschiedenen Extremen hin und her. Mal droht einem Startup-Unternehmer Gefängnis, weil er seine Bitcoin-App nicht schnell genug eingestampft hat. Dann wieder gibt es üppige Zuwendungen für Blockchain-Neugründungen. Oft können die Beteiligten den Sinn dahinter nicht erkennen.
Grund ist das Agieren der Regierungsstellen, die oft unkoordiniert vorgehen und auf ihre Unabhängigkeit pochen. Das Ministerium für Staatssicherheit würde am liebsten alle Aktivitäten im Netz verbieten, während das Ministerium für Wirtschaft und Informationstechnik den Tüftlern völlige Freiheit gewähren würde. Der Kompromiss sieht nun so aus, dass alle Firmen, die Informationen mit Blockchains verarbeiten, detaillierte jährliche Berichte über alle ihre Aktivitäten abliefern. Kreative Freiheit sieht anders aus.