Ein alter kommunistischer Scherz besagt: Marxisten können zwar die Zukunft vorhersagen, aber nicht so leicht die Vergangenheit. Einparteienstaaten schreiben ihre eigene Geschichte ständig um, mit dem Ziel, so die Gegenwart zu legitimieren. China ist das jüngste Beispiel für diese Praxis: Auf der Suche nach politischer Legitimität wird eine neue Art von Nationalismus konstruiert, der in hohem Maße auf historischen Argumenten basiert.
Vor diesem Hintergrund sprach Frank Dikötter, Professor für Geschichte an der Universität Hongkong und einer der renommiertesten Kenner der modernen chinesischen Geschichte, bei unserer Veranstaltungsreihe "Asia Briefing" im Rahmen des Berliner Asien-Pazifik-Wochen über die "China Story" der herrschenden Kommunistischen Partei. In Kurzform lautet deren Erzählung der Geschichte Chinas: Das einst glorreiche Land war im Elend gefangen und wurde von ausländischen Mächten gedemütigt, bis es von den Kommunisten im Jahre 1949 befreit wurde. Eine Zeit des Übergangs folgte unter Mao Zedong. Doch der Wendepunkt war die Regierungszeit von Deng Xiaoping, dem Architekten der Wirtschaftsreformen, die China zu einer riesigen Erfolgsgeschichte machte, mit der Folge dass das chinesische Modell heute mitunter sogar als eine Alternative zu Demokratien westlicher Prägung gesehen wird. Endlose Versionen dieser Geschichte werden nicht nur von Peking, sondern auch von Politikern, Unternehmern und Sinologen auf der ganzen Welt verbreitet.
Für Dikötter hält diese Erzählung der chinesischen Geschichte einer kritischen Überprüfung jedoch nicht stand: "Die Erzählung ist Propaganda, nicht die wahre Geschichte." Sie scheine vielmehr der Einsicht zu folgen, die George Orwell in seinem Roman "1984" verkündete: