„Modis Reformagenda: Ein zahnloser Tiger?“

Zum Stand der Reformen in Indien organisierte die Bertelsmann Stiftung gemeinsam mit der Zeitschrift "Internationale Politik" (IP) am 30. November 2015 in Berlin eine Podiumsdiskussion. Auf dem Podium führten Dr. Sandra Destradi (Senior Research Fellow am German Institute for Global and Area Studies (GIGA), Michael Steiner (ehemaliger deutscher Botschafter in Indien) und Raghavan Srinivasan (Senior Associate Editor von The Hindu Businessline) hierzu eine rege Diskussion.

Im Wahlkampf und bei seinem Amtsantritt versprach Narendra Modi radikale Wirtschaftsreformen und eine Regierung ohne Korruption. Mit diesen Versprechen überzeugte er Millionen desillusionierte Inder, die sich mit seiner Wahl klar gegen die Politik der skandal-umwitterten Regierung der United Progressive Alliance (UPA) unter Führung der Kongresspartei aussprachen. Das Ergebnis war ein historisches politisches Mandat für Modi und seine Bharatiya Janata Partei (BJP). Anderthalb Jahre später sind einige Reformen zwar angestoßen, viele der von Modi versprochenen radikaleren Veränderungen lassen aber immer noch auf sich warten.

Begrenzte Ambitionen

Modis historisches Mandat erzeugte sowohl in Indien als auch im Ausland hohe Erwartungen. Die britische Wochenzeitung The Economist etwa schrieb, dass Modis großartiger Wahlsieg Indien die beste Chance auf Wohlstand biete, die es jemals hatte. Sein Sieg eröffnete Modi die einmalige Chance, ein Kabinett ohne Koalitionsdruck zu ernennen und radikale, mitunter schmerzhafte Wirtschaftsreformen durchzuführen. Die Ergebnisse sind bislang in beiden Bereichen allerdings wenig überzeugend. Michael Steiner zeigte sich enttäuscht vom fehlenden Mut, mit dem Modi sein Kabinett ernannt und erste Reformpläne verfolgt hat. Zu Gute zu halten sei der Modi-Regierung laut Steiner allerdings, dass sie Reformen zugunsten einer transparenteren Zuteilung natürlicher Rohstoffe sowie Erleichterungen für Auslandsdirektinvestitionen in einigen Sektoren durchgesetzt hat. Außerdem veränderte die Regierung die Aufteilung der Steuereinkünfte zwischen der Zentralregierung und den einzelnen Bundesstaaten, um diesen mehr Autonomie im Bereich der Wirtschaftspolitik und bei sozialen Hilfsprogrammen zu gewähren. Gleichzeitig gab es aber auch eine Zentralisierung der Macht im Büro des Premierministers. Eine Armee von Bürokraten kontrolliere nun die Ministerien mit eher schwachen Ministern und behindere so eine radikale Abkehr von der Wirtschaftspolitik der Vorgängerregierung.

Strukturelle Hemmnisse

Die fehlende Mehrheit der BJP im Oberhaus und die vollständige Blockade durch die Opposition haben dazu geführt, dass grundlegende Reformen der zum Teil veralteten Gesetze bislang nicht stattfinden konnten. Die Mitglieder des Oberhauses werden von den einzelnen Bundesstaaten nominiert, was dazu führt, dass eine Veränderung seiner Zusammensetzung Jahre dauert. Neben dieser Hürde betonte Dr. Sandra Destradi weitere strukturelle Hemmnisse, wie das föderale System Indiens. Durch dieses erhalten die Staaten viel Autonomie bei der Formulierung lokaler Politik und der Festlegung von Gesetzen. Modi habe zwar versucht, diese Blockade zu umgehen, indem er die BJP-regierten Staaten zu lokalen Reformen bewegte. Dies habe bis jetzt aber nur begrenzt zu Erfolgen geführt, da nur sehr wenige Staaten von der BJP regiert werden. Eine paternalistisch denkende Bürokratie verstärke das Problem zusätzlich.

Wichtige Themen

Raghavan Srinivasan betonte, wie wichtig es ist, Innovation und Ausbildung voranzutreiben, damit Indien ein inklusives Wirtschaftswachstum erreichen kann. Dies sei angesichts einer Million junger Menschen, die jeden Monat auf den Arbeitsmarkt strömten und aufgenommen werden müssten, von zentraler Bedeutung. Indien ist schon jetzt ein Knotenpunkt für schlanke Innovation („lean innovation“). Diese kann nicht nur einkommensschwache Bevölkerungsschichten in Indien stärken, sondern stellt auch eine große Chance für Deutschland dar. Obwohl Frauen in der Wirtschaft und in politischen Organisationen durchaus vertreten sind, bleibt die Gleichberechtigung der Geschlechter eine sehr große Herausforderung für Indien. Viele indische Banken werden von Frauen geführt und es gibt Direktiven, die Firmen mit wenigen Frauen im Vorstand bestrafen. Auch existieren Frauenquoten von bis zu 50 Prozent für gewählte Lokalregierungen. Dennoch weist die Schulbildung junger Mädchen, vor allem in ländlichen Gebieten, ungeachtet entsprechender Regierungsinitiativen noch immer große Defizite auf.

Regionaler Einfluss

China hat Asien in den letzten Jahrzenten wirtschaftlich dominiert. Indien konnte China, auch aufgrund seiner demokratischen und föderalen Struktur in Bezug auf Wachstumsraten nicht das Wasser reichen. Die Stabilität und Nachhaltigkeit der wirtschaftlichen Entwicklung kann durch institutionelle Glaubwürdigkeit und die in Indien vorherrschenden demokratischen Prozesse jedoch besser sichergestellt werden. Indiens „Look East“-Politik konzentriert sich darauf, gute Beziehungen zu Chinas Nachbarn aufzubauen. Damit möchte Indien dem massiven wirtschaftlichen und geopolitischen Einfluss Chinas entgegenwirken. Die Regierung hat auch Kontakt zu afrikanischen Staaten aufgenommen, in denen sie mit China um Rohmaterialien und Marktzugang konkurriert. Das Land ist sich seiner begrenzten Ressourcen und des starken Wettbewerbs mit China bewusst. Die Tatsache, dass die Staatsoberhäupter aller afrikanischen Länder beim kürzlich veranstalteten Indien-Afrika –Gipfel anwesend waren zeigt aber, wie erfolgreich die indischen Bemühungen sein können. 

Zusammenfassung

Die Teilnehmer der von Dr. Sylke Tempel moderierten Podiumsdiskussion waren sich einig, dass unter der Regierung Modi bereits einige Schritte in die richtige Richtung vollzogen wurden, interne und strukturelle Hürden jedoch noch überwunden werden müssen. Denn nur so könnten die notwendigen, grundlegenden Reformen auf den Weg gebracht werden. Wenn Modi – wie angekündigt – Indien in das 21. Jahrhundert führen will, muss er nach den verlorenen Wahlen in Delhi und Bihar dringend neue Wege finden, um wegweisende Reformen gegen Widerständer innerhalb der indischen Demokratie durchzusetzen.

Interviews mit Michael Steiner und Raghavan Srinivasan finden Sie hier: