Ein Gruppe junger Studenten mit Rucksäcken und Notebooks in den Händen, befinden sich in einer Diskussion.

Israelis blicken positiv auf Deutschland – Deutsche sind zunehmend kritisch gegenüber Israel

Deutsche und Israelis nehmen die Beziehungen zwischen ihren Ländern zunehmend unterschiedlich wahr. Während die Israelis Deutschland und seine Regierung mehrheitlich positiv sehen, fällt die Beurteilung Israels durch die deutsche Bevölkerung erheblich kritischer aus als noch vor wenigen Jahren. Zugleich nehmen der klassische und der israelbezogene Antisemitismus in der Bundesrepublik zu – insbesondere unter jüngeren Menschen.

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Trotz der historischen Verbundenheit und der offiziellen Freundschaft zwischen Deutschland und Israel zeigen die Ergebnisse einer neuen Umfrage der Bertelsmann Stiftung zum 60-jährigen Jubiläum der Aufnahme diplomatischer Beziehungen: Die gegenseitigen Wahrnehmungen driften auseinander. 60 Prozent der Israelis haben ein gutes oder sehr gutes Bild von der Bundesrepublik. In Deutschland hingegen äußern nur noch 36 Prozent eine positive Meinung über Israel, während 38 Prozent Israel negativ bewerten – ein spürbarer Stimmungswandel im Vergleich zur letzten Erhebung 2021, als noch 46 Prozent Israel positiv gegenüberstanden.

Diese Entwicklung spiegelt sich auch in der Bewertung der Regierungen: Während fast 60 Prozent der Deutschen die aktuelle israelische Regierung negativ beurteilen, äußern sich nur 17 Prozent der Israelis negativ über die deutsche Bundesregierung.

Erinnerung an Holocaust wird weiterhin als wichtig angesehen

Die Umfrage verdeutlicht zudem: Das Verständnis für die historische Verantwortung Deutschlands unterscheidet sich deutlich. In Israel sehen 64 Prozent der Befragten Deutschland in einer besonderen Verantwortung – sowohl für das jüdische Volk als auch für den Staat Israel. In Deutschland hingegen stimmen nur rund ein Drittel einer Verantwortung für das jüdische Volk zu, lediglich ein Viertel erkennt eine besondere Verpflichtung gegenüber dem Staat Israel an.

Dennoch bleibt die Erinnerung an die Shoah ein wichtiger Bezugspunkt im öffentlichen Bewusstsein: 48 Prozent der Deutschen befürworten, dass die Erinnerung an den Holocaust weiterhin eine Rolle in der heutigen und zukünftigen Politik spielen sollte – fünf Prozentpunkte mehr als 2021. Gleichzeitig ist der Anteil derer, die einen Schlussstrich unter die Vergangenheit fordern, um vier Prozentpunkte auf 45 Prozent leicht zurückgegangen.

"Antisemitismus in allen Erscheinungsformen bekämpfen"

Beunruhigend sind die Ergebnisse zur Verbreitung antisemitischer Einstellungen in Deutschland. Der klassische Antisemitismus, gemessen an der Zustimmung zur Aussage "Juden haben auf der Welt zu viel Einfluss", erreicht mit 27 Prozent den höchsten Wert seit Jahren. Auffällig ist der Anstieg unter jungen Männern unter 40 Jahren, bei denen die Zustimmung bei 36 Prozent liegt. Der israelbezogene Antisemitismus hat ebenfalls deutlich zugenommen: So bejahen 29 Prozent der Befragten, dass ihnen durch die israelische Politik die Juden immer unsympathischer würden (2021: 21 Prozent). Auch hier nahmen die Zustimmungswerte bei den unter 40-Jährigen von 14 auf 28 Prozent stark zu. Das Bildungsniveau spielt dabei eine zentrale Rolle: Befragte mit einem niedrigeren Bildungsabschluss stimmen sowohl klassischen als auch israelbezogenen antisemitischen Aussagen deutlich häufiger zu.

"Antisemitismus ist in Deutschland kein Randphänomen, sondern zeigt sich in unterschiedlichen gesellschaftlichen Milieus und politischen Lagern. Besonders besorgniserregend ist der Anstieg antisemitischer Haltungen unter jüngeren Menschen, der sich nun den Werten der übrigen Altersgruppen annähert. Die Grenzen zwischen ‚falscher‘ Israelkritik und israelbezogenem Antisemitismus sind gelegentlich fließend. Deshalb ist es wichtig, sowohl die politische Bildung zu stärken als auch den Antisemitismus in all seinen Erscheinungsformen zu erkennen und entschieden zu bekämpfen", sagt Stephan Vopel, Israel-Experte der Bertelsmann Stiftung.

Israelis wünschen sich intensivere Zusammenarbeit, Deutsche sind zurückhaltender

Art und Umfang der Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Israel beurteilen die Befragten sehr unterschiedlich: Während in Deutschland 40 Prozent die aktuelle Zusammenarbeit als ausreichend empfinden und nur 24 Prozent eine stärkere Kooperation wünschen, sprechen sich in Israel 68 Prozent für eine Intensivierung der bilateralen Beziehungen aus. Befragte in beiden Ländern sehen die politische Zusammenarbeit zwischen den Regierungen als besonders wichtig an. Während Israelis zudem eine militärische und wirtschaftliche Kooperation betonen, legen Deutsche größeren Wert auf den Austausch in Wissenschaft, Forschung und Zivilgesellschaft.

"Aus tiefer Verbundenheit erwächst die Pflicht zur kritischen Begleitung"

Laut Bertelsmann Stiftung zeigten die Umfragedaten, dass die Beziehungen zwischen Deutschland und Israel äußerst komplex sind, und daher mehr denn je eine sachliche und reflektierte Gestaltung benötigen. Auf Basis geteilter demokratischer Werte und historischer Verantwortung sollten folgende Prioritäten verfolgt werden:

  • Kritische Solidarität mit Israel leben: Israels Existenzrecht und Sicherheit sollten für die Bundesrepublik weiterhin unverrückbar sein. Zugleich erfordert echte Partnerschaft die Fähigkeit zur offenen, kritischen Begleitung.
  • Zivilgesellschaftlichen Austausch ausbauen: Direkte Begegnungen und Kooperationen in Bildung, Wissenschaft und Kultur schaffen gegenseitiges Verständnis und Vertrauen.
  • Eine klare europäische Nahostpolitik fördern: Deutschland sollte sich für eine völker- und menschenrechtsbasierte und zugleich sicherheitspolitisch realistische Politik gegenüber Israel und Palästina einsetzen.

Stephan Vopel betont: "Die vielbeschworene Formel, Israels Sicherheit sei Teil der deutschen Staatsräson, muss konkret eingelöst werden durch eine Haltung der kritischen Solidarität. Das heißt: Israels Existenzrecht und Sicherheit sind nicht verhandelbar. Zugleich darf dies nicht bedeuten, Fehlentwicklungen in der israelischen Innen- oder Außenpolitik zu verschweigen. Gerade aus tiefer Verbundenheit erwächst die Pflicht zur kritischen Begleitung."

Zusatzinformationen

Die repräsentative Erhebung wurde im Auftrag der Bertelsmann Stiftung im Zeitraum vom 24. Februar bis 25. März 2025 durchgeführt. In Deutschland wurden 1.346 Personen online befragt (CAWI), in Israel 1.367 Personen mittels einer Kombination aus Online- und Telefoninterviews (CAWI + CATI). Die Ergebnisse sind gewichtet und repräsentativ für die erwachsene Bevölkerung beider Länder. Die Durchführung in beiden Ländern übernahm das Institut pollytix strategic research, in Israel in Kooperation mit New Wave Research.