"Antisemitismus in allen Erscheinungsformen bekämpfen"
Beunruhigend sind die Ergebnisse zur Verbreitung antisemitischer Einstellungen in Deutschland. Der klassische Antisemitismus, gemessen an der Zustimmung zur Aussage "Juden haben auf der Welt zu viel Einfluss", erreicht mit 27 Prozent den höchsten Wert seit Jahren. Auffällig ist der Anstieg unter jungen Männern unter 40 Jahren, bei denen die Zustimmung bei 36 Prozent liegt. Der israelbezogene Antisemitismus hat ebenfalls deutlich zugenommen: So bejahen 29 Prozent der Befragten, dass ihnen durch die israelische Politik die Juden immer unsympathischer würden (2021: 21 Prozent). Auch hier nahmen die Zustimmungswerte bei den unter 40-Jährigen von 14 auf 28 Prozent stark zu. Das Bildungsniveau spielt dabei eine zentrale Rolle: Befragte mit einem niedrigeren Bildungsabschluss stimmen sowohl klassischen als auch israelbezogenen antisemitischen Aussagen deutlich häufiger zu.
"Antisemitismus ist in Deutschland kein Randphänomen, sondern zeigt sich in unterschiedlichen gesellschaftlichen Milieus und politischen Lagern. Besonders besorgniserregend ist der Anstieg antisemitischer Haltungen unter jüngeren Menschen, der sich nun den Werten der übrigen Altersgruppen annähert. Die Grenzen zwischen ‚falscher‘ Israelkritik und israelbezogenem Antisemitismus sind gelegentlich fließend. Deshalb ist es wichtig, sowohl die politische Bildung zu stärken als auch den Antisemitismus in all seinen Erscheinungsformen zu erkennen und entschieden zu bekämpfen", sagt Stephan Vopel, Israel-Experte der Bertelsmann Stiftung.
Israelis wünschen sich intensivere Zusammenarbeit, Deutsche sind zurückhaltender
Art und Umfang der Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Israel beurteilen die Befragten sehr unterschiedlich: Während in Deutschland 40 Prozent die aktuelle Zusammenarbeit als ausreichend empfinden und nur 24 Prozent eine stärkere Kooperation wünschen, sprechen sich in Israel 68 Prozent für eine Intensivierung der bilateralen Beziehungen aus. Befragte in beiden Ländern sehen die politische Zusammenarbeit zwischen den Regierungen als besonders wichtig an. Während Israelis zudem eine militärische und wirtschaftliche Kooperation betonen, legen Deutsche größeren Wert auf den Austausch in Wissenschaft, Forschung und Zivilgesellschaft.
"Aus tiefer Verbundenheit erwächst die Pflicht zur kritischen Begleitung"
Laut Bertelsmann Stiftung zeigten die Umfragedaten, dass die Beziehungen zwischen Deutschland und Israel äußerst komplex sind, und daher mehr denn je eine sachliche und reflektierte Gestaltung benötigen. Auf Basis geteilter demokratischer Werte und historischer Verantwortung sollten folgende Prioritäten verfolgt werden:
- Kritische Solidarität mit Israel leben: Israels Existenzrecht und Sicherheit sollten für die Bundesrepublik weiterhin unverrückbar sein. Zugleich erfordert echte Partnerschaft die Fähigkeit zur offenen, kritischen Begleitung.
- Zivilgesellschaftlichen Austausch ausbauen: Direkte Begegnungen und Kooperationen in Bildung, Wissenschaft und Kultur schaffen gegenseitiges Verständnis und Vertrauen.
- Eine klare europäische Nahostpolitik fördern: Deutschland sollte sich für eine völker- und menschenrechtsbasierte und zugleich sicherheitspolitisch realistische Politik gegenüber Israel und Palästina einsetzen.
Stephan Vopel betont: "Die vielbeschworene Formel, Israels Sicherheit sei Teil der deutschen Staatsräson, muss konkret eingelöst werden durch eine Haltung der kritischen Solidarität. Das heißt: Israels Existenzrecht und Sicherheit sind nicht verhandelbar. Zugleich darf dies nicht bedeuten, Fehlentwicklungen in der israelischen Innen- oder Außenpolitik zu verschweigen. Gerade aus tiefer Verbundenheit erwächst die Pflicht zur kritischen Begleitung."