Trotz einer besonders hohen Affinität zu neuen Technologien landen die Niederlande im Digital-Health-Index Ranking nur im Mittelfeld. Dabei könnte das Land in seinem Digitalisierungsfortschritt schon viel weiter sein - und womöglich bereits eine nationale elektronische Patientenakte haben. Doch das anfängliche Vorgehen des Staates hat dies verzögert.
Die Niederlande verfügen über eine große Zahl nationaler und regionaler Verbände, Interessensgruppen und politische Kräfte. Das spiegelt sich auch in der Vielfalt der Ansätze zur Digitalisierung wider. Und so ist auf politischer Ebene ein hohes Maß an Engagement bei den Digitalisierungsbemühungen zu erkennen. Geht es nach einer Agenda, die die niederländische Gesundheitsministerin 2014 ausgerufen hatte, will das Land bis 2019 Spitzenreiter in Sachen E-Health werden. Doch obwohl die Niederlande weltweit zu den Ländern mit der höchsten Affinität zu neuen Technologien zählen, bilden sie im Digital-Health-Index Ranking mit Platz 9 nur das Schlusslicht der zweiten Ländergruppe. Der Grund: Eine politische Fehlentscheidung und die Ablehnung der Regierungspläne durch das Parlament vor sieben Jahren führte zu einem tiefen Einschnitt im Digitalisierungsfortschritt.
Strategie
Digital Health wird als Teil des regulären Gesundheitssystems verstanden. Deshalb existieren weder E-Health-Gesetze noch eine Digital-Health-Strategie. Vielmehr formen mehrere einzelne Dokumente eine übergeordnete Strategie. Dazu zählen die nationale Implementierungsagenda E-Health (NIA) sowie die allgemeine nationale digitale Agenda für die Niederlande. Eines der Hauptziele: Bis 2019 sollen mindestens 80 Prozent der chronisch Kranken und 40 Prozent der Allgemeinbevölkerung direkten Zugang zu ihren eigenen Krankenakten haben.
Rahmenbedingungen und regulatorische Faktoren
Das Wissenszentrum für nationale Anwendungen von IKT im Gesundheitswesen Nictiz ist als vorwiegend staatliche finanzierte Non-Profit-Institution damit beauftragt, Standards für den ambulanten und stationären Versorgungssektor zu definieren und kontrollieren. Der 2012 gegründete private Verband der Leistungserbringer für Gesundheitskommunikation VZVZ stellt den Betrieb der IT-Infrastruktur für den Datenaustausch zwischen Gesundheitsversorgern AORTA sicher.
Erfolgsfaktoren
Rund 450 Millionen Euro flossen in den Aufbau der IT-Infrastruktur AORTA. Somit ist eine funktionierende nationale Kommunikationsinfrastruktur geschaffen, die künftig aufgebaut werden kann. E-Health ist zudem als Wahlkampfthema verschiedener Parteien zu erkennen, und einzelne Politiker setzen sich stark dafür ein.
Voreiliges Handeln der Regierung
Ursprünglich war die nationale IT-Infrastruktur AORTA von Nictiz im Auftrag des Ministeriums aufgebaut worden. 2009 arbeitete die niederländische Regierung an einem Gesetzesentwurf zur nationalen Einführung von AORTA sowie einrichtungsübergreifender elektronischer Patientenakten. Das Problem: Erst nach dem Aufbau von AORTA legte das Ministerium den Entwurf dem Parlament zur Abstimmung vor. Zudem waren darin eine zentrale Datenspeicherung sowie entgegen der sonstigen Gesetzgebung zum Datenschutz eine Opt-out-Regelung vorgesehen.
Eine folgenschwerere politische Fehlentscheidung: 2011 wurde das Verfahren vom Senat gekippt. Daraufhin musste das Ministerium sämtliche Aktivitäten in Bezug auf Verwahrung und Weiterverarbeitung von Gesundheitsdaten aufgeben und in private Hände überführen. Zudem musste das Nictiz sämtliche acht Millionen Patienten-Datensätze vernichten, die es bis dahin erhoben hatte. AORTA ging in den privaten Verband VZVZ in Trägerschaft der Versicherer und Leistungserbringer des Gesundheitswesens über; die Datenaustauschstruktur wurde dezentralisiert und künstlich regionalisiert.
Retten, was zu retten ist
Doch nur durch diese einschneidenden Änderungen konnte die IT-Infrastruktur überleben. Seither können Gesundheitsdienstleister selbst entscheiden, ob sie ihre Informationssysteme an die nationale Schaltstelle für AORTA anbinden oder nicht. Um medizinische Daten zur Verfügung zu stellen, müssen sie jedoch ihre Patienten erst um Zustimmung bitten (Opt-In).
Niedergelassene Ärzte dokumentieren Daten zu 100 Prozent elektronisch. Bei den Fachärzten sind es 50 bis 75 Prozent. Immerhin: Die Anschlussrate des ambulanten Sektors über AORTA sowohl an Apotheken als auch innerhalb des Sektors liegt über 75 Prozent. In der stationären Versorgung machen dagegen nur 50 bis 75 Prozent aller Ärzte aktiv Gebrauch von AORTA. Insgesamt sind mehr als 3.000 verschiedene regionale und lokale elektronische Patientenakten an AORTA angeschlossen.
Weitere Informationen über den Digitalisierungsstand in den Niederlanden stehen unten zum Download bereit.