Hände halten Tablet vor niederländischem Hintergrund.
Alexi Tauzin, ohmega1982, smuki, tinyakov – stock.adobe.com

Niederlande: Niederländische IT-Infrastruktur: erst staatlich, jetzt privatrechtlich

Trotz einer besonders hohen Affinität zu neuen Technologien landen die Niederlande im Digital-Health-Index Ranking nur im Mittelfeld. Dabei könnte das Land in seinem Digitalisierungsfortschritt schon viel weiter sein - und womöglich bereits eine nationale elektronische Patientenakte haben. Doch das anfängliche Vorgehen des Staates hat dies verzögert.

Die Niederlande verfügen über eine große Zahl nationaler und regionaler Verbände, Interessensgruppen und politische Kräfte. Das spiegelt sich auch in der Vielfalt der Ansätze zur Digitalisierung wider. Und so ist auf politischer Ebene ein hohes Maß an Engagement bei den Digitalisierungsbemühungen zu erkennen. Geht es nach einer Agenda, die die niederländische Gesundheitsministerin 2014 ausgerufen hatte, will das Land bis 2019 Spitzenreiter in Sachen E-Health werden. Doch obwohl die Niederlande weltweit zu den Ländern mit der höchsten Affinität zu neuen Technologien zählen, bilden sie im Digital-Health-Index Ranking mit Platz 9 nur das Schlusslicht der zweiten Ländergruppe. Der Grund: Eine politische Fehlentscheidung und die Ablehnung der Regierungspläne durch das Parlament vor sieben Jahren führte zu einem tiefen Einschnitt im Digitalisierungsfortschritt.

Strategie

Digital Health wird als Teil des regulären Gesundheitssystems verstanden. Deshalb existieren weder E-Health-Gesetze noch eine Digital-Health-Strategie. Vielmehr formen mehrere einzelne Dokumente eine übergeordnete Strategie. Dazu zählen die nationale Implementierungsagenda E-Health (NIA) sowie die allgemeine nationale digitale Agenda für die Niederlande. Eines der Hauptziele: Bis 2019 sollen mindestens 80 Prozent der chronisch Kranken und 40 Prozent der Allgemeinbevölkerung direkten Zugang zu ihren eigenen Krankenakten haben.

Rahmenbedingungen und regulatorische Faktoren

Das Wissenszentrum für nationale Anwendungen von IKT im Gesundheitswesen Nictiz ist als vorwiegend staatliche finanzierte Non-Profit-Institution damit beauftragt, Standards für den ambulanten und stationären Versorgungssektor zu definieren und kontrollieren. Der 2012 gegründete private Verband der Leistungserbringer für Gesundheitskommunikation VZVZ stellt den Betrieb der IT-Infrastruktur für den Datenaustausch zwischen Gesundheitsversorgern AORTA sicher.

Erfolgsfaktoren

Rund 450 Millionen Euro flossen in den Aufbau der IT-Infrastruktur AORTA. Somit ist eine funktionierende nationale Kommunikationsinfrastruktur geschaffen, die künftig aufgebaut werden kann. E-Health ist zudem als Wahlkampfthema verschiedener Parteien zu erkennen, und einzelne Politiker setzen sich stark dafür ein.

Voreiliges Handeln der Regierung

Ursprünglich war die nationale IT-Infrastruktur AORTA von Nictiz im Auftrag des Ministeriums aufgebaut worden. 2009 arbeitete die niederländische Regierung an einem Gesetzesentwurf zur nationalen Einführung von AORTA sowie einrichtungsübergreifender elektronischer Patientenakten. Das Problem: Erst nach dem Aufbau von AORTA legte das Ministerium den Entwurf dem Parlament zur Abstimmung vor. Zudem waren darin eine zentrale Datenspeicherung sowie entgegen der sonstigen Gesetzgebung zum Datenschutz eine Opt-out-Regelung vorgesehen.

Eine folgenschwerere politische Fehlentscheidung: 2011 wurde das Verfahren vom Senat gekippt. Daraufhin musste das Ministerium sämtliche Aktivitäten in Bezug auf Verwahrung und Weiterverarbeitung von Gesundheitsdaten aufgeben und in private Hände überführen. Zudem musste das Nictiz sämtliche acht Millionen Patienten-Datensätze vernichten, die es bis dahin erhoben hatte. AORTA ging in den privaten Verband VZVZ in Trägerschaft der Versicherer und Leistungserbringer des Gesundheitswesens über; die Datenaustauschstruktur wurde dezentralisiert und künstlich regionalisiert.

Retten, was zu retten ist

Doch nur durch diese einschneidenden Änderungen konnte die IT-Infrastruktur überleben. Seither können Gesundheitsdienstleister selbst entscheiden, ob sie ihre Informationssysteme an die nationale Schaltstelle für AORTA anbinden oder nicht. Um medizinische Daten zur Verfügung zu stellen, müssen sie jedoch ihre Patienten erst um Zustimmung bitten (Opt-In).

Niedergelassene Ärzte dokumentieren Daten zu 100 Prozent elektronisch. Bei den Fachärzten sind es 50 bis 75 Prozent. Immerhin: Die Anschlussrate des ambulanten Sektors über AORTA sowohl an Apotheken als auch innerhalb des Sektors liegt über 75 Prozent. In der stationären Versorgung machen dagegen nur 50 bis 75 Prozent aller Ärzte aktiv Gebrauch von AORTA. Insgesamt sind mehr als 3.000 verschiedene regionale und lokale elektronische Patientenakten an AORTA angeschlossen.

Weitere Informationen über den Digitalisierungsstand in den Niederlanden stehen unten zum Download bereit.

Länderbericht Niederlande

Publikation: #SmartHealthSystems: Auszug Niederlande

Trotz einer besonders hohen Affinität zu neuen Technologien landen die Niederlande im Digital-Health-Index Ranking nur im Mittelfeld. Dabei ...

Aus unserem Blog

26. Oktober 2023 / Jörg Artmann: Digitalisierung und Datenschutz: Thilo Weichert im Interview

Wir sprachen mit Thilo Weichert, dem ehemaligen Datenschutzbeauftragten des Landes Schleswig-Holstein, über die Herausforderungen und Missverständnisse bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens in Deutschland. Er beleuchtet die Rolle der Ärzteschaft, die politischen Rahmenbedingungen und die zentrale Frage des Datenschutzes, um ein umfassendes Bild der aktuellen Situation und der notwendigen Schritte für die Zukunft zu zeichnen. Ärzteschaft […]

29. September 2023 / Dr. Sebastian Schmidt-Kaehler: Konzept für ein digitales Ökosystem im Gesundheitswesen

Die digitale Transformation durchdringt und gestaltet unser Leben in ungeahnter Weise und mit wachsender Geschwindigkeit. Eben dieses Tempo wie auch die disruptive Schlagkraft der damit verbundenen Veränderungen fordert unserer Gesellschaft große Anpassungsleistungen ab. Digitale Plattformen spielen dabei eine Schlüsselrolle, denn sie stellen die Infrastruktur und die Dienstleistungen bereit, die diesen Wandel vorantreiben. Digitale Ökosysteme haben […]

4. November 2024 / Expertennetzwerk „30 unter 40“: Beschäftigte im Gesundheitswesen durch KI entlasten

Die demografische Entwicklung sorgt dafür, dass die Zahl der Fachkräfte wie Ärztinnen und Ärzte, Pflegefachpersonen und medizinische Fachangestellte im Verhältnis zur Zahl der Patientinnen und Patienten nie wieder so hoch sein wird wie heute. Die Lage ist angespannt, Versorgungsengpässe sind bereits jetzt allgegenwärtig. Besonders besorgniserregend ist die enorme Belastung des Personals. Inmitten dieser Krise ist […]

15. April 2024 / Dr. Johannes Leinert: Zusammenarbeit neu denken: Dr. Bernhard Gibis im Interview

Im Rahmen unserer Interviewreihe sprachen wir mit Dr. Bernhard Gibis von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) über die Zukunft des deutschen Gesundheitssystems. Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels und struktureller Herausforderungen plädiert er für eine grundsätzliche Debatte über die zukünftige Gesundheitsversorgung und für eine differenzierte Betrachtung bei der Diskussion über das Tempo von Gesundheitsreformen in Deutschland. […]