Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) selbst will im Herbst ein Rentenreform-Konzept vorlegen. Dafür sammelt sie derzeit in drei Expertenrunden Anregungen und Vorschläge aus relevanten Gruppen von Wirtschaft und Politik. Eine Ausweitung der gesetzlichen Rentenversicherung auf bisher nicht obligatorisch versicherte Selbständige hätte positive Effekte auf die finanzielle Stabilität des Rentensystems. Zu diesem Ergebnis kommt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) in einer aktuellen Studie. Die Bertelsmann Stiftung kam schon vor drei Jahren zum gleichen Ergebnis. Dr. Juliane Landmann im Interview mit Claudia Kneifel (Main-Post).
Um die gesetzliche Rentenversicherung zu stabilisieren, wird häufig die Ausweitung des Versichertenkreises diskutiert. Was würde eine solche Ausweitung bringen?
Die Ausweitung des Versichertenkreises verspricht mit Blick auf die erwartete Unterfinanzierung der Gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) nach dem Renteneintritt der geburtenstarken Jahrgänge 1955 bis 1970 den schnellsten und größten Erfolg. Dies ergab eine Studie, die wir im Jahr 2013 veröffentlicht haben. Durch die Einbeziehung von Selbstständigen und Beamten könnte die Senkung des Rentenniveaus und der gleichzeitig steigende Beitragssatz gestoppt werden.
Welchen Effekt würde das haben?
Durch diese Ausweitung wäre schon 2020 ein Rentenniveau von 48,5 Prozent bei einem Beitragssatz von 18,9 Prozent möglich. Auch in der Langfristperspektive wäre der Effekt erheblich. Das heißt, 2060 würde ein Beitragssatz von 24,7 Prozent für ein 50,8-prozentiges Rentenniveau ausreichen. Zum Vergleich: Ohne diese Ausweitung wird für das Jahr 2060 ein Beitragssatz von 27,2 Prozent bei einem Rentenniveau von 41,2 Prozent prognostiziert.
Auch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin schlägt vor, Selbständige in die Gesetzliche Rentenversicherung aufzunehmen. Was würde das Ihrer Ansicht nach bringen?
Eine Rentenversicherungspflicht für Selbstständige wäre aus meiner Sicht ein Weg in die richtige Richtung – die übrigens oft auch unter dem Titel „Bürgerversicherung“ diskutiert wird. Je inklusiver die GRV ist, umso mehr solidarischer Ausgleich ist durch sie möglich. Das Umlageverfahren würde durch den Einbezug der Selbstständigen in jedem Fall ausgeweitet und würde diesem Ideal näher kommen. Allerdings ist das nur eine Querschnittsperspektive.
Welche Folgen hätte die Ausweitung noch?
Im Längsschnitt, also im Zeitverlauf, hätte die Ausweitung auch zur Folge, dass vor allem die in der Einführungsphase beteiligten Rentner profitieren und die neuen, zukünftigen Mitglieder bei ihrem Renteneintritt möglicherweise wieder vor dem gleichen Problem wie heute stehen. Dazu kommt, dass die heute eher mäßig gut vorsorgenden Selbstständigen für ihr Alter vorsorgen müssten. Allerdings gibt es hier das Problem, dass einige der Selbstständigen finanziell so schlecht da stehen, dass eine GRV-Pflichtmitgliedschaft diese Gruppe ernsthaft in Finanzierungsschwierigkeiten bringen könnte. Das könnte wiederum zur Beendigung ihrer Selbstständigkeit führen. Möglicherweise könnte die Politik einer solchen Entwicklung mit Sonderregelungen wie etwa bei den Midi- und Minijobs begegnen, was jedoch eine weniger gute Prognose für die finanzielle Entwicklung der GRV bedeuten würde.
Wie groß wäre die Entlastung der gesetzlichen Rentenversicherung?
Zum Ausmaß der Entlastung durch ausschließlich einer Ausweitung auf die Gruppe der Selbstständigen haben wir damals keine Extraberechnung durchgeführt. Das DIW spricht in seiner Studie von 2,4 Millionen neuen Versicherten, die sofort zu einer Senkung des Beitragssatzes um 1,9 Prozentpunkte führten. In der längeren Frist wird das wieder weniger. Das passt zu dem oben genannten Tunneleffekt.
Wie schnell könnte eine solche Reform umgesetzt werden?
Als die Bertelsmann Stiftung 2013 die Einbeziehung der Beamten vorgeschlagen hatten, war uns selbstverständlich bewusst, dass eine solche Reform erst mit Wirkung für neu in ein Beamtenverhältnis eintretende Personen vorgenommen werden könnte. Ähnlich sieht das auch für die Gruppe der Selbstständigen aus. Wenn sie bereits eine gewisse Zeit andere Formen der Altersvorsorge genutzt haben, dürfte es hier Vertrauensschutz geben. Anders sähe das für Selbstständige ohne jede Altersvorsorge aus, allerdings müsste man diese Gruppe zielgenau adressieren.