Dem Patienten „deutsches Gesundheitswesen" geht es schlecht.
Obgleich seit längerem ernsthaft erkrankt, haben jahrzehntelange
Therapieversuche noch nicht ausreichend angeschlagen - obwohl die
Krankheitsursachen lange bekannt sind, die Politiker zarte strukturelle
Reformen eingeleitet haben und sogar endlich den Versuch unternehmen,
von der Symptom- zur Ursachenbekämpfung überzugehen. Trotz aller
Bemühungen: Das Kostenwachstum lässt sich scheinbar nicht aufhalten,
während die Einnahmeseite weiter unter Druck gerät.
Gefragt sind also konkrete Lösungsansätze für konkrete Zukunftsfragen:
- Wie kann Versorgungssicherheit für alle gewährleistet werden?
- Wie lässt sich unser Gesundheitssystem in Zukunft steuern?
- Wie lässt sich die bestmögliche Kombination aus Wirtschaftlichkeit und Qualität erreichen?
Die Recherchen der Bertelsmann Stiftung haben ergeben: Das perfekte
Gesundheitssystem gibt es weltweit nicht. Aber es gibt Elemente, Ansätze
und Verbesserungen - sogar bei unseren unmittelbaren Nachbarn -, die
weiterführend und auf Deutschland übertragbar sind.
Die Entscheidung der Bertelsmann Stiftung, den Carl Bertelsmann-Preis 2000 für international innovative gesundheitspolitische Modelle auszuloben, dient daher auch dem Ziel, den Reformdruck auf die Entscheidungsträger hierzulande zu erhöhen. Vom Ausland lernen - eine begründete Hoffnung, die, betrachtet man die große Resonanz auf die Preisträger der
vergangenen zwölf Jahre aus den Bereichen Bildungswesen, Tarif- oder
Hochschulpolitik, durchaus begründet ist.
Die möglichen Preisträger wurden gemeinsam mit der Prognos AG aus
Basel und der von der Bertelsmann Stiftung berufenen Arbeitskommission
mit Experten aus Politik, Wissenschaft und Praxis ermittelt. Die
Entscheidung traf die Jury, die von den Mitgliedern des Beirates der
Bertelsmann Stiftung gebildet wird. Folgende Bewertungskriterien waren
Grundlage der Entscheidung:
- Versorgungssicherheit
- Steuerungsfähigkeit
- Wirtschaftlichkeit
- Versorgungsqualität
In diesem Jahr wurde der Carl Bertelsmann-Preis an zwei Preisträger
verliehen. Dabei wird jeweils ein spezielles Segment des
Gesundheitswesens ausgezeichnet und nicht das Gesundheitssystem der
jeweiligen Länder insgesamt. Das Schweizerische
Krankenversicherungsgesetz Mit ihrem Krankenversicherungsgesetz ist
es der Schweiz gelungen, Wettbewerbselemente innerhalb eines
gesetzlichen Ordnungsrahmens in das Gesundheitswesen zu integrieren.
Verstärkte Wahlmöglichkeiten für die Patienten, ein Wettbewerb zwischen
den Krankenkassen und neue Versorgungsformen, wie die HMOs (Health
Mentanial Organisations) wurden gefördert.
Diese Ärzte-Netzwerke funktionieren als Gesundheitszentren. Sie bieten
ihren Patienten ambulante, stationäre und rehabilitierende Betreuung
unter einem Dach an. Die langen Wege vom Allgemeinmediziner zum
Facharzt über möglicherweise eine Klinik für operative Eingriffe und
schließlich zur Rehabilitation entfallen. Oder auch die Konsultation
mehrerer Ärzte bei Multimorbidität, dem gerade bei der zunehmenden
Zahl älterer Patienten auftretenden Phänomen der parallelen
Mehrfacherkrankungen, kann in einer Institution stattfinden.
Ein gesetzlicher Rahmen, der dieses Angebot gegenüber den
Kostenträgern „abrechenbar" gestaltet, schafft überhaupt erst die
Voraussetzung für ein Funktionieren dieses Systems. Evaluationen
kommen auf eine Kostenersparnis von 20 bis zu 30 Prozent im Vergleich
zu den herkömmlichen Systemen. Allerdings wird dieses Modell sich eher
für städtische Räume mit einer ausreichenden Patientenzahl amortisieren
als für eher ländlich strukturierte Gebiete.
Ein neues Modell zur Qualitätssicherung der allgemeinmedizinischen
Versorgung haben die Niederlande entwickelt. Gerade für die so
genannten „Hausärzte", die normalerweise die erste Anlaufstation für die
Patienten sind, ist es schwer, sich fortzubilden und über die neuesten
Forschungen und Behandlungsmethoden auf dem Laufenden zu bleiben.
Zudem verlangen auf der einen Seite ihre Patienten individuelle
Betreuung und auf der anderen Seite die Gesundheitspolitik Effizienz und
Standardisierung. Konkretes Beispiel: Behandlungsleitlinien - In den
Niederlanden entwickelt der „Verband der Allgemeinmediziner" für die
Primärärzte, wie die praktischen Ärzte dort heißen, Leitlinien für die
praktische Entscheidung „vor Ort". In diesen bisher über 70 Leitlinien sind
Behandlungsempfehlungen für spezielle Indikationen gebündelt, die den
niedergelassenen Ärzten als „Zusatzempfehlung" für ihre Entscheidung
zur Verfügung gestellt werden.
Diese Leitlinien enthalten das aktuelle medizinische Wissen und werden laufend an die neuesten Forschungserkenntnisse und Erfahrungen angepasst. Aus Ländern wie z.
B. China, die intensive Heilkundeforschung betreiben, erreichen die
neuesten Erkenntnisse normalerweise den praktischen Arzt in Europa oft
erst nach Jahren, wenn überhaupt. „Übersetzung" für den Patienten
Besonderes Kennzeichen dieser Leitlinien ist, dass es sie auch in einer
speziellen „Übersetzung", das heißt in einer für Laien verständlichen Form
für die Patienten gibt. Der Patient wird in die Lage versetzt,
Entscheidungen und Verordnungen seines Arztes nachzuvollziehen und
so selbst informierter und aktiver am Heilungserfolg mitzuarbeiten.
Erarbeitet und aktualisiert werden diese Leitlinien in über 800
landesweiten Qualitätszirkeln. Ein Rezertifizierungssystem, das
Fortbildungen für eine Wiederzulassung alle fünf Jahre - ähnlich wie ein
TÜV - auch für Ärzte verpflichtend macht, unterstützt die Qualität des
niederländischen Ärztestandes. Eine Untersuchung zeigt, dass die
Nutzung der Leitlinien sehr hoch ist: Über 70 Prozent der Therapien sind
leitlinienkonform.