Die Branche zählt! Im Rahmen eines Projektes mit acht Forschungseinrichtungen von 2011 bis 2014 haben wir 65 Beispiele von Selbst- und Ko-Regulierung in fünf Branchen und acht europäischen Ländern identifiziert. Die Beispiele stellen eine weite Bandbreite an Lösungsansätzen dar – von Bewusstsein schaffen bis hin zu Standardentwicklung.
Unsere Gesellschaft wird durch zunehmend komplexe Herausforderungen für die nachhaltige Entwicklung geprägt, wie beispielsweise den demographischen Wandel oder die Ressourcenknappheit. Um dem entgegen zu wirken, braucht es pragmatische und innovative Lösungsansätze als Ergänzung herkömmlicher Steuerung. Für die Umsetzung solcher Ansätze ist die Kooperation zwischen Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft besonders wichtig.
In branchenspezifischen Initiativen zur Selbst- und Ko-Regulierung bündeln Politik und Wirtschaft sowie Zivilgesellschaft ihre Ressourcen, um gemeinsam die Herausforderungen einer bestimmten Branche, z. B. Lieferkettenmanagement oder Vertrauen, in einem Zug mit gesellschaftlichen Fragen zu bewältigen.
Untersucht haben wir haben Initiativen in acht Ländern (Dänemark, Deutschland, Frankreich, Niederlande, Polen, Spanien, Schweiz und Großbritannien) und fünf Wirtschaftsbranchen (Chemie, Baugewerbe, Groß- und Einzelhandel, Informations- und Kommunikationstechnologie sowie Finanzdienstleistungen).
Wir haben vier verschiedene Rollen von öffentlichen Akteuren in solchen Initiativen beobachtet: Mitwirken, Ermöglichen, Steuern und Regulieren (aufsteigend in der Intervention).
Drei Erkenntnisse sind für den Erfolg branchenspezifischer Initiativen wichtig:
1) Die Mitte macht es: Wenn öffentliche Akteure ermöglichen oder steuern , sind die Initiativen i.d.R. erfolgreicher.
2) Geld reicht nicht aus: Während öffentliche Akteure fast durch finanzielle Mitteln mitwirken, scheint sich weder die Menge noch die Quelle dieser Unterstützung auf die Ergebnisse auszuwirken.
3) Regulierung ist nicht die Lösung: Die Rolle des Staates als Regulierer, z.B. in Soft-Law-Initiativen und Initiativen mit verbindlichem Charakter, ist selten erfolgreich.
Als alternative Steuerungsansätze sollten branchenspezifische Initiativen die Leistungskriterien erfüllen, die auch für herkömmliche Steuerungsansätze gelten: Legitimität (Gerechtigkeit und Teilhabe an Strukturen, Prozessen und Resultaten), Effektivität (kurz- und langfristiger Nutzen für Unternehmen und Gesellschaft) und Effizienz (positives Kosten-Nutzen-Verhältnis). Um erfolgreich zu sein, sollten Initiativen demgemäß:
(1) auf einer gemeinsamen Basis zwischen öffentlichen und privaten Akteuren im Sinne eines gemeinsamen Problemverständnisses und gemeinsamer Zielen beruhen,
(2) eine hohe Beteiligung öffentlicher wie privater Akteure erzielen,
(3) ihre Verlässlichkeit durch die Festlegung realisierbarer und messbarer Ziele beweisen,
(4) die Transparenz fördern, indem sie Informationen zur Verfügung stellen und Evaluierungen zulassen
und (5) im Hinblick auf die Ressourcen und die Dauer der benötigten Unterstützung nachhaltig geplant sein.
Bei branchenspezifischen Initiativen handelt es sich um verschiedene Arten von Multi-Stakeholder-Initiativen oder branchenweiten Aktivitäten, in denen öffentliche und private Akteure ihre Kompetenzen und Ressourcen bündeln, um gemeinsam die Herausforderungen, die das geschäftliche Umfeld der Unternehmen einer bestimmten Branche betreffen (z. B. Probleme im Lieferkettenmanagement oder geringes Vertrauen seitens der Bevölkerung), in einem Zug mit drängenden gesellschaftlichen Fragen zu bewältigen.
Solche Initiativen begünstigen also „Win-win-Lösungen“, von denen sowohl die Unternehmen als auch die Gesellschaft insgesamt profitieren. Je nachdem, welche Ziele sie verfolgen, können branchenspezifische CR Initiativen auf unterschiedliche Weise institutionalisiert sein (z. B. in Form von Runden Tischen, Netzwerken oder Bündnissen).
Im Rahmen des Projektes wurden zwei Studien erstellt. Die vollständigen Ergebnisse und ausführliche Länderprofile sind in dem Buch „Corporate Responsibility in Europe: Government Involvement in Sector-specific Iniatives" dokumentiert (im Buchhandel erhältlich), das in Zusammenarbeit mit dem Institut für Wirtschaftsethik St. Gallen und sieben anderen Forschungseinrichtungen erstellt wurde. Auf Basis dieser Publikation wurde die Studie „Fostering Corporate Responsibility through Self- and Co-regulation" verfasst, die als Broschüre sowie als PDF-Version verfügbar ist.
Beide Studien bieten einen Überblick über 65 branchenspezifische Initiativen und fünf Branchen (Chemie, Baugewerbe, Groß- und Einzelhandel, Informations- und Kommunikationstechnologie sowie Finanzdienstleistungen) und acht europäischen Ländern (Dänemark, Deutschland, Frankreich, Niederlande, Polen, Spanien, Schweiz und Großbritannien).
Die Konferenz „Fostering Corporate Responsibility through Self- and Co-regulation: The Case of Sector-specific Initiatives" fand am 23. April 2013 in Brüssel statt im Kontext der von der Europäischen Kommission veröffentlichten „Prinzipien für bessere Selbst- und Ko-Regulierung" sowie der anvisierten nicht-finanziellen Berichterstattungspflicht für europäische Unternehmen mit über 500 Arbeitnehmern. Über 60 Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft auf europäischer und nationaler Ebene diskutierten über das Potential branchenspezifischer Selbst- und Ko-Regulierung als neuen Steuerungsansatz zur Lösung gesellschaftlicher Probleme.
Das Fazit: Branchenspezifische Selbst- und Ko-Regulierung eignet sich in besonderem Maße, kollektive Initiativen der Privatwirtschaft zu gestalten. Doch können und sollen derartige Initiativen nicht als Substitut, sondern als Ergänzung zu öffentlicher Regulierung dienen. Darüber hinaus dürfen sie keinesfalls der Beliebigkeit anheimfallen. Im Gegenteil: Es ist notwendig, dass Initiativen durch spezifische Voraussetzungen wie eine gemeinsame Basis, Teilhabe und Transparenz geprägt werden.
Einen Veranstaltungsbericht finden Sie hier.