Kinder sitzen in einer Hängematte und lachen in die Kamera.

Kinder und Jugendliche brauchen Geld zum Leben, nicht zum Überleben

Wie soll die Kindergrundsicherung genau aussehen, damit sie Armut vermeidet? Kommt das Geld wirklich bei den Kindern an? Und wie teuer wird das Ganze überhaupt? Über diese Fragen wird aktuell sowohl innerhalb der Ampelkoalition als auch in der Öffentlichkeit gestritten. Um die Debatte fachlich zu fundieren, haben wir einen Web-Talk unter dem Titel "Kindergrundsicherung: Was bringt sie aus ökonomischer Sicht" veranstaltet. Mit dabei: Bundesfamilienministerin Lisa Paus und der "Wirtschaftsweise" Prof. Martin Werding.

Ansprechpartnerinnen

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Anette Stein
Director
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Antje Funcke
Senior Expert Familie und Bildung
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Sarah Menne
Senior Project Manager

Inhalt

"Ich kämpfe mit aller Kraft für eine Reform, die arme Kinder besserstellt, verdeckte Armut aufdeckt und behebt und das Leben für alle Familien einfacher macht." Mit diesem Eingangsstatement unterstrich Lisa Paus ihr Ziel, die Kindergrundsicherung bis 2025 auf den Weg zu bringen. Mit der Bundesfamilienministerin diskutierten Martin Gassner-Herz (stellv. familienpolitischer Sprecher der FDP), Prof. Holger Stichnoth (ZEW Mannheim), Prof. Martin Werding (Ruhr-Universität Bochum und Mitglied des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung) sowie vier Jugendliche aus dem JugendExpert:innenTeam des Projekts "Familie und Bildung" der Bertelsmann Stiftung. Moderatorin Petra Boberg führte durch die einstündige Veranstaltung mit rund 200 Teilnehmenden.

Laut Lisa Paus sei es von zentraler Bedeutung, dass arme Kinder mit der Kindergrundsicherung besser erreicht und eine einheitliche Leistung für alle geschaffen werde. Daher soll die Kindergrundsicherung das Kindergeld, den Kinderzuschlag, die Regelbedarfe für Kinder und Leistungen des Bildungs- und Teilhabepakets bündeln. Bürokratische Hürden sollen so abgebaut und die Leistung einfacher und digital beantragt werden können. Zusätzlich müsse aus Sicht von Paus ein kindgerechtes Existenzminimum bestimmt und die Leistung aufgestockt werden.

Martin Gassner-Herz von der FDP wählte als Eingangsstatement "Armut ist mehr als fehlendes Geld". Er unterstützte den Vorschlag der Familienministerin, bürokratische Hürden abzubauen. Er hob zugleich aber hervor, dass neben Geld auch gute Bildungsangebote zentral seien, damit Jugendliche zu selbstbestimmten Persönlichkeiten heranwachsen können. Bereits etablierte Strukturen im Rahmen des Bildungs- und Teilhabepakets sollten daher neben der Kindergrundsicherung weiter genutzt und besser digital zugänglich gemacht werden.

Lejla Dokso, Amir Sallachi, Sascha Stahn und Lukas Thiehoff aus dem JugendExpert:innenTeam machten in ihrem Statement die Sicht junger Menschen deutlich: "Kinder und Jugendliche brauchen Geld zum Leben und nicht zum Überleben. Dafür müssen sie systematisch befragt und ihre Mitbestimmungsrechte eingelöst werden. Die Einführung einer bedarfsgerechten und partizipativ gestalteten Kindergrundsicherung darf jetzt im Kampf gegen Kinderarmut nicht mehr aufgeschoben werden." Die Kindergrundsicherung sei eine Investition in die nachwachsende Generation und angesichts der multiplen Krisen wichtiger denn je. Entscheidend bei ihrer Umsetzung sei, dass Kinder und Jugendliche selbst gefragt werden, was sie für ein gutes Leben brauchen. Darüber können junge Menschen gut und reflektiert Auskunft geben. Das haben die JugendExpert:innen in ihrer Arbeit in Peer2Peer-Workshops bereits unter Beweis gestellt.

Martin Werding unterstützte die Position der Jugendlichen und forderte ebenfalls eine Neubestimmung der Existenzsicherung junger Menschen. Die Leistungen des Bildungs- und Teilhabepakets bezeichnete er in diesem Kontext als "eher mickrig". Er mahnte an, dass es in den vergangenen Jahrzehnten versäumt worden sei, Kinderarmut effektiv zu bekämpfen. Eine finanziell ausreichend gestaltete Kindergrundsicherung sei daher ein Schritt in die richtige Richtung. Wichtig sei dabei, dass am unteren Einkommensrand tatsächlich mehr Geld ankomme. Als einer der fünf Wirtschaftsweisen räumte Werding zwar ein, dass Bundesfinanzminister Christian Lindner sparen müsse. Allerdings ginge es hier um die richtige Prioritätensetzung: Da junge Menschen und Familien mit Blick auf das System der Sozialleistungen aktuell eher "unterbelichtet" seien, sei es aus volkswirtschaftlicher Perspektive sinnvoll, hier zu investieren. Das koste Geld, was im Bundeshaushalt aber eigentlich verfügbar wäre.

Diesen Punkt unterstrich Holger Stichnoth mit aktuellen Forschungsbefunden aus den USA. Sie belegen, dass Geldleistungen an arme Familien langfristig dazu führen, dass die betroffenen Kinder bessere Schulleistungen und später auch höhere Einkommen erzielen. Volkswirtschaftlich rechneten sich diese Leistungen also, so Stichnoth. Chancengerechtigkeit sei demnach auch eine Frage des Geldes. Darüber hinaus unterstrich der Ökonom, dass Geldleistungen bei den Kindern ankommen und nicht von Eltern zweckentfremdet werden, wie es oft unterstellt wird. Das wies er anhand einer Studie für Deutschland nach, auch andere Forschungsbefunde belegen dies. Mütter gingen eher hungrig ins Bett und sparten bei sich, damit ihre Kinder genug hätten, so Stichnoth.  

Antje Funcke und Sarah Menne als Expertinnen für Familienpolitik der Bertelsmann Stiftung beantworteten im Chat viele interessierte Fragen. In ihren Kommentaren bestätigten die Teilnehmenden, dass die vorliegenden Fakten für eine wirksame Ausgestaltung der Kindergrundsicherung öffentlich noch stärker bekannt gemacht werden sollten. Bislang orientiere sich die Politik noch zu wenig hieran. Gleiches gelte für die regelmäßige Befragung und Beteiligung von jungen Menschen.

Lisa Paus zeigte sich am Ende der Diskussion optimistisch, dass die Bundesregierung eine gute Kindergrundsicherung auf den Weg bringen werde. Dazu gab ihr Lukas Thiehoff abschließend mit auf den Weg, dass es dabei unerlässlich sei, jungen Menschen zuzuhören, sie ernst zu nehmen und ihre Bedarfe zu erfassen.