In einer aktuellen Befragung geben 77 Prozent der deutschsprachigen Bevölkerung an, sich sehr oder etwas für das Thema Gleichbehandlung zu interessieren. 2008 waren es 63 Prozent. Der Aussage, dass Antidiskriminierungspolitik langfristig dazu führe, dass es allen in der Gesellschaft besser geht, stimmen heute 66 Prozent der Befragten voll und ganz oder eher zu – gegenüber 59 Prozent 2008. Auch acht von zehn gesellschaftlichen Milieus teilen mehrheitlich diese Ansicht. Das ist das Ergebnis der neuen Studie "Diskriminierung in der Einwanderungsgesellschaft", in der unsere Integrations- und Migrationsexpert:innen Ulrike Wieland und Ulrich Kober auf Grundlage einer repräsentativen Umfrage und Milieuanalyse des Sinus-Instituts untersuchen, wie sich Wahrnehmungen von Diskriminierung und Einstellungen zu Antidiskriminierungspolitik in der Bevölkerung zwischen 2008 und 2022 verändert haben.
Mehr Menschen nehmen rassistische Diskriminierung wahr und sehen Handlungsbedarf
Das Interesse am Thema Gleichbehandlung ist in der Gesellschaft in den letzten fünfzehn Jahren gestiegen und Antidiskriminierungspolitik findet in der Bevölkerung stärkere Unterstützung. Zudem geben heute mehr Personen an, selbst ethnische, rassistische oder religiöse Diskriminierung erlebt zu haben und mehr Menschen sehen Handlungsbedarf.
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Insgesamt rückt das Thema Diskriminierung deutlich stärker in den Fokus der Wahrnehmung der Menschen in Deutschland. "Die Befunde der Studie sind eindeutig. Ich sehe darin eine Zeitenwende für die Antidiskriminierungspolitik in Deutschland", sagte die Unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung, Ferda Ataman: "Die Gesellschaft ist nicht nur bereit für Antidiskriminierung, sie erwartet sie auch – und das milieubergreifend".
Jede:r dritte Befragte mit Migrationshintergrund hat Diskriminierung erlebt
Der Anteil der Befragten, die von eigenen Diskriminierungserfahrungen berichten, ist gestiegen. Heute geben 13 Prozent der Befragten an, dass sie sich in den vergangenen zwölf Monaten wegen ihrer ethnischen Herkunft (zum Beispiel: Sprache, Name, Kultur), aus rassistischen oder antisemitischen Gründen oder wegen ihrer Herkunft aus einem anderen Land sehr oft oder manchmal diskriminiert gefühlt haben. 2008 berichteten sechs Prozent von Diskriminierung wegen ihres "fremdländischen Aussehens" und sieben Prozent fühlten sich als "Ausländer:in" diskriminiert. Sehr ähnlich ist die Entwicklung der persönlichen Betroffenheit von Diskriminierung wegen der Religion oder Weltanschauung. Von entsprechenden Erfahrungen berichten heute 13 Prozent der Befragten, 2008 waren es sechs Prozent. Von den Befragten mit Migrationshintergrund äußert jede:r Dritte (35 Prozent), in den vergangenen zwölf Monaten sehr oft oder manchmal Diskriminierung wegen der Herkunft oder aus rassistischen Gründen erlebt zu haben, und 28 Prozent geben an, von Diskriminierung wegen der Religion oder Weltanschauung betroffen gewesen zu sein.
Mehr Menschen sehen Handlungsbedarf gegen rassistische Diskriminierung
Fast die Hälfte der Befragten (49 Prozent) ist der Ansicht, dass Menschen, die als fremd oder nicht weiß wahrgenommen werden, stark oder sehr stark diskriminiert werden. Damit zeigt sich bei der Wahrnehmung von rassistischer Diskriminierung gegenüber 2008 eine Steigerung um 18 Prozentpunkte: Damals sahen 31 Prozent der Befragten eine starke oder sehr starke Diskriminierung von "Menschen mit fremdländischem Aussehen".
Besonders stark gestiegen ist auch der wahrgenommene Handlungsbedarf in Bezug auf diese Art der Diskriminierung: 70 Prozent der Befragten sprechen sich mit Blick auf die Gleichbehandlung der genannten Personen dafür aus, dass für sie viel oder etwas mehr getan werden sollte, gegenüber 43 Prozent 2008. Bei den jungen Befragten (bis 29 Jahre) ist die Wahrnehmung von rassistischer Diskriminierung besonders ausgeprägt, und sie sehen auch häufiger Handlungsbedarf. Von ihnen meint eine Mehrheit (56 Prozent), dass als fremd oder nicht weiß wahrgenommene Menschen stark oder sehr stark diskriminiert werden. Dass für diese Personen viel oder etwas mehr getan werden sollte, finden 76 Prozent. "Die veränderten Wahrnehmungen und Einstellungen hängen mit demografischen und soziokulturellen Entwicklungen zusammen", so die unsere Integrationsexpertin Ulrike Wieland.
Proaktive Antidiskriminierungspolitik nötig
Eine Mehrheit der Befragten (56 Prozent) sieht die Verantwortung, sich um die Gleichbehandlung benachteiligter Gruppen in der Gesellschaft zu kümmern, vorrangig bei der Politik. An zweiter Stelle werden Ämter und Behörden (44 Prozent) genannt. 87 Prozent der Befragten beurteilen Aufklärungsarbeit in Kindergärten und Schulen als eine wichtige oder sehr wichtige mögliche Aufgabe des Staates zur Bekämpfung von Diskriminierung. Auch proaktive Maßnahmen in der Wirtschaft werden unterstützt: 60 Prozent befürworten eine vermehrte Einstellung vielfältigen Personals (2008: 51 Prozent) und 58 Prozent sprechen sich für eine Unternehmenskultur aus, die eine vielfältige Belegschaft wertschätzt (2008: 45 Prozent). "Wie es andere erfolgreiche Einwanderungsländer längst praktizieren, sollte auch Deutschland Diskriminierung in der vielfältigen Gesellschaft nicht nur wirksam bekämpfen, sondern ihr auch entschieden vorbeugen", meint unser Migrationsexperte Ulrich Kober.
Materialien
Zusatzinformationen
Die Studie "Diskriminierung in der Einwanderungsgesellschaft" basiert auf einer repräsentativen Befragung der deutschsprachigen Wohnbevölkerung ab 18 Jahre, die im Herbst 2022 vom Sinus-Institut im Auftrag der Bertelsmann Stiftung als Mixed-Mode-Befragung online und telefonisch durchgeführt wurde. Für den Zeitvergleich zu 2008 wurden die Fragen aus der vom Sinus-Institut im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes damals erstellten Studie "Diskriminierung im Alltag" aufgegriffen, wobei sie teilweise an den aktuellen Sprachgebrauch angepasst wurden. Neben der Auswertung der Befunde nach demografischen Merkmalen erfolgte auch eine Analyse nach den Sinus-Milieus. Dabei handelt es sich um zehn gesellschaftliche Milieus, die das Sinus-Institut einerseits anhand ihrer sozialen Lagen und andererseits anhand ihrer Wertorientierungen differenziert.