Der aktuelle Führungskräfte-Radar unserer Stiftung und des Reinhard-Mohn-Instituts der Universität Witten/Herdecke zeigt, dass eine Mehrheit der befragten Führungskräfte durch das Arbeiten im Homeoffice keine geringere Produktivität bei den Mitarbeiter:innen feststellt. Damit sind oft derart geäußerte Befürchtungen nicht eingetreten. Nur ein Viertel der Führungskräfte im Homeoffice (124 von 496) ist sich nicht sicher, ob die Mitarbeiter:innen genauso produktiv arbeiten wie vor der Pandemie. Dagegen gibt es doppelt so viele Führungskräfte, insgesamt die Hälfte (49,8 Prozent), die dem nicht zustimmen. Diese Mehrheit sieht also keinen Produktivitätsverlust. Ganz ähnlich sieht es bei der Befürchtung aus, dass die Unternehmenskultur leiden könnte: Nur gut ein Viertel (27,1 Prozent) empfindet das so, 46,1 Prozent aber nicht. Die meisten Führungskräfte haben somit keine Einbrüche oder Enttäuschungen bei Produktivität und Unternehmenskultur erlebt. Vorbehalte gegenüber Homeoffice, die vor der Krise verbreitet waren, scheinen also nach den bisherigen Erfahrungen haltloser zu werden.
Heimweh nach dem Büro – Führungskräfte wollen raus aus dem Homeoffice
Die Arbeit im Homeoffice führt nicht zu einem Verlust an Produktivität und auch die Unternehmenskultur ist in Zeiten von Corona stabil geblieben. So sehen das die Führungskräfte in Unternehmen in Deutschland. Aber am Horizont ziehen dunkle Wolken auf: Wenn Homeoffice zur Dauereinrichtung wird, befürchten die Führungskräfte, dass der Austausch mit den Mitarbeiter:innen mehr und mehr verloren geht und die Unternehmenskultur leidet. Deswegen verlangt die Krise online wie offline einen neuen Führungsstil.
Führungskräfte sagen mehrheitlich, dass die Mitarbeiter:innen sich weniger austauschen können (44,3 Prozent) und man sie als Führungskraft auch nicht so unterstützen kann, wie man es gerne tun würde (45,7 Prozent).
Langfristig im Homeoffice zu arbeiten, kann problematisch werden
Dauerhaft von zu Hause zu arbeiten, kann also zu weitreichenden Folgen führen, wenn dringend notwendige Abstimmungsprozesse unterbleiben oder die Identifikation mit der Organisation oder dem Team sinkt. Damit die Kontakte und Kooperation nicht verloren gehen, gilt es, sowohl aufgabenbezogene, als auch beziehungsorientierte Anlässe zu schaffen, um sich untereinander auszutauschen. Es ist nicht abwegig zu versuchen, die sonst im Büro ungeplanten Begegnungen oder informellen Anlässe geplant herbeizuführen. Das funktioniert zum Beispiel dann, wenn man sich online verabredet und auch mal ohne konkreten Anlass oder eine vorgegebene Agenda den Austausch sucht. Man also einmal offenlässt, worüber genau gesprochen werden soll, außer dass man einmal nicht über Dienstliches oder die Projekte spricht, die sonst Gegenstand der Meetings sind. In vielen Teams gibt es mittlerweile virtuelle Kaffee- oder Mittagspausen, an denen man freiwillig teilnimmt. Der Kaffeebecher in der Hand kann das Signal sein, dass gerade "Pause" und Zeit für Zwischenmenschliches ist.
Führungskräfte haben Heimweh nach dem Büro
Die Pandemie hat von Frühjahr bis in den Herbst 2020 dort, wo Homeoffice angesagt war, dazu geführt, dass eine unerwünschte Distanz entstanden ist. Man hofft, dass sich das ändert: 43,2 Prozent der Führungskräfte stimmen zu und nur gut halb so viele (24,3 Prozent) stimmen nicht zu, dass sie selbst und ihre Mitarbeiter:innen bald möglichst wieder primär im Büro arbeiten möchten.
Hierzu passen auch die frei formulierten Kommentare vieler Führungskräfte, die auf der einen Seite die Vorteile des Homeoffice darlegen, wie eine verbesserte Work-Life-Balance und geringere Wegzeiten. Auf der anderen Seite betonen die Führungskräfte technischen Probleme im Homeoffice und die fehlende soziale Nähe sowie den Verlust von Informationen. Bei der Frage, ob man weniger mitbekommt, woran gearbeitet wird, teilt es sich in 36,9 Prozent Zustimmung und 38,8 Prozent Nicht-Zustimmung auf.
"Zurück ins Büro" ist daher der Wunsch, den viele Führungskräfte bei sich selbst und ihren Mitarbeiter:innen spüren. Dieser Wunsch wird sich jedoch wohl eine ganze Zeitlang noch für viele nicht erfüllen. Und auch über die Pandemie hinaus wird Homeoffice dazugehören. Deshalb müssen Führungskräfte zusammen mit ihren Mitarbeiter:innen daran arbeiten, die soziale und kollegiale Entkopplung im Homeoffice zu verhindern oder abzubauen.
Neue Führungsrolle: Vermitteln statt ansagen
Im Gegensatz zu dem oft in Krisen vermuteten heroischen Führungsstil in der Vergangenheit ruft Corona nicht die "Macher:innen" früherer Zeiten hervor, sondern die vermittelnde Führungskraft. "Nicht "Sagen, wo’s langgeht", sondern den gemeinsamen Weg zu finden, war der Kern des Führens in den ersten Wellen der Corona-Pandemie", sagt Guido Möllering vom Reinhard-Mohn-Institut.
Vermittelnde, kooperative Führung bedeutet hier, nicht einfach Vorgaben zu machen, sondern die Mitarbeiter:innen auf die Homeoffice-Situation anzusprechen. In der Gruppe oder in Einzelgesprächen gilt es herauszufinden, was gut funktioniert und was nicht. Auch im virtuellen Raum der Homeoffice-Zusammenarbeit gibt es Regeln, die jede Gruppe für sich finden muss. In Lernprozessen, bei Neuanfängen oder Veränderungen ist es oft nötig, Dinge explizit zu machen, die später selbstverständlich und implizit werden. Wenn nun das Homeoffice noch länger nötig bleibt und mehr oder weniger normal werden wird, dann sollten Führungskräfte Anlässe schaffen, die neue Arbeitsweise gemeinsam zu gestalten, um Produktivität und Kollegialität zu erhalten.
Aber man darf auch die Politik und die Sozialpartner bei der Konfiguration gesetzlicher Rahmenbedingungen für die Arbeitswelt von Morgen in die Verantwortung nehmen, um mittelfristig negative Folgen auf Unternehmenskultur und Performance zu vermeiden. Gleichzeitig werden HR und Personalentwicklung neue Wege beschreiten müssen. Viele Maßnahmen aus der analogen Welt werden nicht eins zu eins auf eine digitale oder hybride Arbeitswelt übertragbar sein: Das gilt sowohl für die Mitarbeiterbeurteilungen bei mobiler Arbeit als auch für die Bewertung von Arbeitszeiten bis hin zur Schaffung von Begegnungsräumen, um einer Spaltung der Belegschaften vorzubeugen.
- "In meiner Arbeit als Führungskraft während der Krise empfinde ich, dass meine Rolle als Führungskraft wichtiger geworden ist."
- "Ich kann mir nicht sicher sein, ob die Mitarbeiter genauso produktiv arbeiten, wie sonst."
- "Ich kann meine Mitarbeiter nicht so unterstützen, wie ich es gerne tun würde."
- "Ich habe das Gefühl, dass wir alle baldmöglichst wieder primär im Büro arbeiten möchten."
Zusatzinformationen
Für unseren Führungskräfte-Radar 2020 wurde von der IPSOS GmbH im September und Oktober 2020 eine repräsentative Befragung unter den Führungskräften in Deutschland vorgenommen. Der Fragebogen wurde vom Reinhard-Mohn-Institut für Unternehmensführung (RMI) auf der Grundlage früherer Erhebungen unserer Stiftung weiterentwickelt und um Fragen zu den Themen Erleben der Corona-Krise und Erfahrungen mit Homeoffice erweitert. Die Daten wurden quantitativ vom RMI ausgewertet mit besonderer Berücksichtigung möglicher Unterschiede basierend auf Alter, Geschlecht, Führungsebene sowie Organisationsgröße. Die ausgewerteten Daten umfassen eine Stichprobengröße von 1010 Teilnehmern. 69 Prozent der Befragten sind männlich und der Altersdurchschnitt der Stichprobe liegt bei 50 Jahren. Die Teilnehmer gehören ihrer Organisation im Schnitt 16 Jahre an, haben ihre Position im Mittel 9,5 Jahre inne und insgesamt durchschnittlich 14 Jahre Führungserfahrung. Die befragten Führungskräfte arbeiten zu 23 Prozent in Kleinst- und kleinen Unternehmen, zu 35 Prozent in mittleren Unternehmen sowie zu 42 Prozent in Großunternehmen, womit die Studie größere Unternehmen überproportional abbildet. Dabei bekleiden die Befragten zu elf Prozent die oberste Führungsebene, zu 56 Prozent sind sie im mittleren Management und zu 33 Prozent in der unteren Führungsebene tätig. 53,5 Prozent der Führungskräfte habe eine Verantwortung für bis zu zehn Mitarbeiter.
Am 15. April 2021, 18:00-19:30 Uhr findet das RMI Online-Forum zum aktuellen Führungskräfte-Radar statt. Hier geht's zur Anmeldung.