Ein alter, abgenutzter Fußball mit Erd- und Farbspuren liegt auf einem löchrigen Fußballrasen.

Kinderarmut hängt stark von Berufstätigkeit der Mütter ab

Wenn Mütter nicht erwerbstätig sind, droht ihren Kindern Armut. Doch nicht immer ist es den Müttern möglich, Arbeit aufzunehmen. Unabhängig von der familiären Situation muss Kinderarmut vermieden werden – denn arme Kinder laufen Gefahr, vom sozialen Leben abgekoppelt zu werden. Ein neues Teilhabegeld für Kinder und unbürokratische Hilfe vor Ort könnten Abhilfe schaffen.

Das klassische Ein-Verdiener-Modell in Familien reicht in vielen Fällen nicht aus, um Kindern ein finanziell abgesichertes Aufwachsen zu ermöglichen. Wenn die Mutter erwerbstätig ist, ist das Risiko dagegen gering, dass die Kinder Armutserfahrungen machen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Untersuchung, die das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in unserem Auftrag durchgeführt hat.

Demnach sind Kinder in Paarfamilien, deren Mütter dauerhaft in Vollzeit (mehr als 30 Wochenstunden), Teilzeit oder Minijobs arbeiten, fast alle finanziell abgesichert. Das Bild ändert sich aber deutlich, wenn die Mütter in Paarfamilien über einen längeren Zeitraum nicht erwerbstätig sind: 38 Prozent der Kinder gelten dann als finanziell abgesichert, 32 Prozent erleben dauerhaft oder wiederkehrend Armutslagen, 30 Prozent kurzzeitig. Für Kinder, deren Mütter im fünfjährigen Untersuchungszeitraum ihre Erwerbstätigkeit aufgaben oder verloren, stieg das Armutsrisiko zudem erheblich an.

In einer Armutslage leben laut Definition der Studie Kinder in Familien, die mit weniger als 60 Prozent des mittleren äquivalenzgewichteten Haushaltsnettoeinkommens auskommen müssen oder staatliche Grundsicherungsleistungen (SGB II/Hartz IV) beziehen.

Kinder von Alleinerziehenden besonders von Armut bedroht

In Ein-Eltern-Familien hängt das Armutsrisiko von Kindern noch stärker an der Erwerbstätigkeit der Mütter. Nur wenn eine alleinerziehende Mutter über einen längeren Zeitraum in Vollzeit arbeitet , lässt sich in den meisten Fällen verhindern, dass ihre Kinder in einer dauerhaften Armutslage aufwachsen. Aber auch dann macht noch ein Sechstel  der Kinder zumindest zeitweise Armutserfahrungen. Bei einer stabilen Teilzeitbeschäftigung der Mutter – oder wenn sie einen Minijob hat – lebt ein Fünftel  der Kinder dauerhaft oder wiederkehrend in Armutslagen, weitere rund 40 Prozent zumindest zeitweise. Ist eine alleinerziehende Mutter nicht erwerbstätig, wachsen ihre Kinder fast immer in einer dauerhaften oder wiederkehrenden Armutslage auf (96 Prozent).

Für unser Vorstandsmitglied Jörg Dräger sind diese Zahlen alarmierend: "Kinderarmut hängt maßgeblich an der Erwerbstätigkeit von Frauen. Ob in Paarfamilien oder für Alleinerziehende: Müttern muss es erleichtert werden, arbeiten zu gehen. Gleichzeitig brauchen Kinder gemeinsame Zeit und Betreuung, so dass nicht in jeder Familiensituation eine umfängliche Erwerbstätigkeit für Mütter möglich ist." Er fordert: 

"Kinder müssen unabhängig von ihren Familien so unterstützt werden, dass sie nicht vom gesellschaftlichen Leben abgekoppelt sind."

Jörg Dräger, Vorstand der Bertelsmann Stiftung

Armut erschwert Kindern Hobbies und Freundschaften

Armut bedeutet in Deutschland in der Regel nicht, obdachlos oder hungrig zu sein. Betroffene müssen aber dennoch auf manche materielle Dinge verzichten und haben geringere Chancen, am sozialen und kulturellen Leben teilzunehmen. So sind 75 Prozent der Kinder und Jugendlichen, die dauerhaft finanziell gesichert aufwachsen, in Vereinen aktiv – bei denjenigen in dauerhaften Armutslagen hingegen weniger als 40 Prozent. Diese Jugendlichen geben doppelt so häufig wie abgesicherte Jugendliche an, in ihrer Freizeit nicht an ihrer Wunschaktivität teilnehmen zu können. Sie fühlen sich zudem weniger zugehörig zur Gesellschaft und schätzen ihre eigene gesellschaftliche Position schlechter ein als Gleichaltrige. Sie wissen also schon in jungen Jahren, dass ihnen weniger Möglichkeiten offenstehen als finanziell besser gestellten Jugendlichen.

"Schon früh erhalten Kinder in Armutslagen das Gefühl, ausgeschlossen zu sein und am gesellschaftlichen Leben weniger teilhaben zu können als abgesicherte Kinder in ihrem Umfeld", so Dräger. Was zum normalen Aufwachsen in Deutschland dazu gehöre, bliebe vielen von ihnen versagt. Dräger folgert:

"Wenn Vereinsmitgliedschaft und andere Freizeitaktivitäten weiterhin stark vom Einkommen der Eltern abhängen, dann reicht das Bildungs- und Teilhabepaket hier offensichtlich nicht."

Jörg Dräger, Vorstand der Bertelsmann Stiftung

Kinder in dauerhaften Armutslagen sind zudem weniger stark vernetzt. Sie geben seltener als ihre besser gestellten Altersgenossen an, viele enge Freunde zu haben. Für Jörg Dräger hat dies auch mit den leeren Geldbeuteln der Eltern zu tun: "Wer aus finanziellen Gründen seine Freunde nicht nach Hause einladen kann oder kein Geld für gemeinsame Hobbies hat, dem fällt es schwerer, dabei zu sein und Freundschaften zu knüpfen."

Ein Teilhabegeld kann die Situation von Kindern verbessern

Laut Dräger haben alle Kinder ein Recht auf gutes Aufwachsen und faire Bildungs- und Teilhabechancen – egal in welcher Familienform sie aufwachsen oder wie ihre Eltern erwerbstätig sind. Denn insbesondere alleinerziehenden Eltern sei es oft nicht möglich, in Vollzeit zu arbeiten, weil sie die alleinige Verantwortung für die Kinder tragen.

Wir haben ein aus drei Bausteinen bestehendes Konzept entwickelt, um Kinderarmut zu vermeiden:   

  • Erstens brauchen wir eine belastbare Fakten-Grundlage – eine so genannte "Bedarfserhebung" – darüber, was junge Menschen brauchen, um am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu können.
  • Zweitens soll ein Teilhabegeld diese Bedarfe für alle Kinder sichern. Dieses Teilhabegeld ersetzt und bündelt das Kindergeld, den Kinderzuschlag, den SGB-II-Regelsatz für Kinder und einige Leistungen des Bildungs- und Teilhabepakets. Es müsste zudem abhängig vom Einkommen der Eltern abgeschmolzen werden, um gezielt Armut zu vermeiden.
  • Drittens sind gute ganztägige Schulen und Kitas nötig sowie vor Ort einfach erreichbare Anlaufstellen für Eltern und ein Kinder- und Jugendbüro, an das sich junge Menschen mit ihren Fragen und Problemen direkt wenden können.