Zwei von drei Wählern haben den parteilosen Pro-Europäer Emmanuel Macron zum Präsidenten gewählt. Jeder dritte Wähler entschied sich für die rechte Nationalistin Marine Le Pen – weit weniger, als sie und viele Beobachter vorhergesagt hatten, aber genug, um sich noch in der Wahlnacht zur stärksten Opposition auszurufen. Jeder vierte Wahlberechtigte blieb lieber zuhause, und zu diesen zwölf Millionen Nichtwählern kommen noch über vier Millionen hinzu, die einen leeren oder einen ungültigen Wahlschein abgaben.
In die Erleichterung über den Sieg des jüngsten Präsidenten der französischen Geschichte mischt sich darum Skepsis innerhalb wie außerhalb des Landes: Frankreichs politische Landschaft muss binnen kurzem neu gestaltet werden. Das zerrissene Land muss seine eigene Zukunft energisch gestalten und zugleich mit Deutschland für ein orientierungsloses Europa nach neuen Wegen suchen. Viel Zeit für diese gewaltigen Aufgaben bleibt nicht.
In vier Wochen stehen Wahlen zur Nationalversammlung an. Es erscheint mehr als ungewiss, ob die traditionellen Kräfte links und rechts der Mitte bis dahin ihre Niederlage mit neuem Elan überwinden können; ob der von Le Pen angekündigte "tiefe Wandel" des Front national bis dahin überhaupt schon begonnen werden und ob Macrons Bewegung "En marche" in so kurzer Zeit die Durchsetzungskraft einer Partei erlangen kann.