Emmanuel Macron spricht während des Präsidentschaftswahlkampfs in Frankreich im Februar 2017 auf einer Konferenz zum Thema Gesundheitspolitik in Paris.

Gewonnen – aber (noch) nicht gesiegt

In die allgemeine Erleichterung über den Sieg von Emmanuel Macron bei der Präsidentschaftswahl in Frankreich mischt sich auch Skepsis: Der Wahlkampf hat gezeigt, dass der designierte Präsident tiefe politische Gräben überwinden muss, um neue Wege für sein Land und für Europa zu finden. Unser Europa-Experte Joachim Fritz-Vannahme analysiert, was Macron nun als Erstes tun muss.

Zwei von drei Wählern haben den parteilosen Pro-Europäer Emmanuel Macron zum Präsidenten gewählt. Jeder dritte Wähler entschied sich für die rechte Nationalistin Marine Le Pen – weit weniger, als sie und viele Beobachter vorhergesagt hatten, aber genug, um sich noch in der Wahlnacht zur stärksten Opposition auszurufen. Jeder vierte Wahlberechtigte blieb lieber zuhause, und zu diesen zwölf Millionen Nichtwählern kommen noch über vier Millionen hinzu, die einen leeren oder einen ungültigen Wahlschein abgaben.

In die Erleichterung über den Sieg des jüngsten Präsidenten der französischen Geschichte mischt sich darum Skepsis innerhalb wie außerhalb des Landes: Frankreichs politische Landschaft muss binnen kurzem neu gestaltet werden. Das zerrissene Land muss seine eigene Zukunft energisch gestalten und zugleich mit Deutschland für ein orientierungsloses Europa nach neuen Wegen suchen. Viel Zeit für diese gewaltigen Aufgaben bleibt nicht.

In vier Wochen stehen Wahlen zur Nationalversammlung an. Es erscheint mehr als ungewiss, ob die traditionellen Kräfte links und rechts der Mitte bis dahin ihre Niederlage mit neuem Elan überwinden können; ob der von Le Pen angekündigte "tiefe Wandel" des Front national bis dahin überhaupt schon begonnen werden und ob Macrons Bewegung "En marche" in so kurzer Zeit die Durchsetzungskraft einer Partei erlangen kann.

Wahlen in Europa

Frankreich ist stärker polarisiert als der europäische Durchschnitt

Seine Ziele hat Macron in den vergangenen Wochen gleichwohl klar und deutlich gemacht. Frankreich müsse seinen Arbeitsmarkt reformieren und seinen Haushalt sanieren, nur dann könne es von Deutschland die nötige Zustimmung und Hilfe für eine gründliche Reform des Euro erwarten. Hier schlug der Kandidat ein eigenes Budget sowie einen eigenen Finanzminister für die gemeinsame Währung vor. Ein Europäischer Währungsfonds soll die neue Struktur stützen, ein Ende der Sparpolitik und neues Wachstum müssten in Sicht kommen.

Im ersten Wahlgang durfte Macron miterleben, dass fast jeder zweite Wähler den Europaskeptikern und Euro-Gegnern auf der äußersten rechten und linken Seite sein Vertrauen schenkte. Im zweiten Wahlgang mag Macron mit Genugtuung festgestellt haben, dass seine Konkurrentin hinter ihren Erwartungen zurückblieb – doch mit elf Millionen Wählern erzielte Le Pen immer noch das beste Wahlergebnis in der Geschichte des Front national.

Als Präsident wird Emmanuel Macron also nicht nur Berlin und Brüssel, sondern auch die Bürger im eigenen Land überzeugen müssen. Die Franzosen sind gespalten zwischen Weltoffenheit und einer Rückzugssehnsucht ins Nationale. Die einen wollen ihre Zukunft gestalten, andere fürchten, diese Zukunft zu erleiden. Begrüßen die einen Macrons angekündigten Reformen für Wirtschaft und Gesellschaft, so fürchten andere genau diese. Setzen die einen ihre Hoffnungen in eine Neugestaltung der politischen Landschaft von einer neuen Mitte her, so suchen andere Bürger das Neue an den radikalen Rändern dieser Landschaft. Die französische Wählerschaft, das zeigt auch die jüngste eupinions-Umfrage der Bertelsmann Stiftung, ist viel stärker polarisiert als  der europäische Durchschnitt. Das macht das Regieren und Reformieren nicht leichter.