Die große Zahl Langzeitarbeitsloser hat sich seit der Finanz- und Wirtschaftskrise zu einem grundlegenden Problem für die Europäische Union entwickelt. 2015 war von den 22 Millionen Arbeitslosen in den 28 EU-Staaten fast jeder zweite länger als 12 Monate erwerbslos. Knapp ein Drittel ist sogar schon länger als zwei Jahre ohne Job. Vor allem in den südlichen EU-Ländern, wie Griechenland, Spanien oder Kroatien, sind besorgniserregend viele Menschen langzeitarbeitslos. Auch ist das Ausmaß der Beschäftigungskrise deutlich größer, als die offiziellen Zahlen nahelegen. Denn das Phänomen der verdeckten Langzeitarbeitslosigkeit wird nicht erfasst. Das sind zentrale Ergebnisse unserer europaweiten Vergleichsstudie.
Langzeitarbeitslosigkeit wird für die EU zum Dauerproblem
Je länger ein Mensch arbeitslos ist, desto schwerer hat er es, wieder einen neuen Job zu finden. Hinzu kommen die psycho-soziale Belastung und finanzielle Engpässe. Aktuell sind in der EU 10,5 Millionen Menschen langzeitarbeitslos. Doch wer genau sind sie, warum findet mancher Bürger über Monate keine Arbeit und was kann dagegen getan werden?
Langzeitarbeitslosigkeit in der EU: Nord-Süd-Gefälle und verschiedene Gruppen betroffen
Die Studie zeigt: Auf dem europäischen Arbeitsmarkt besteht ein deutliches Nord-Süd-Gefälle. In Griechenland, Spanien und Kroatien liegt die Langzeitarbeitslosenquote bei rund 18, 11 und 10,4 Prozent – und damit deutlich über dem EU-Durchschnitt von 4,3 Prozent. Im Gegensatz dazu stehen Großbritannien, Schweden und Luxemburg mit 1,5 und 1,6 Prozent Langzeitarbeitslosen – den europaweit geringsten Quoten. EU-weit ist die Langzeitarbeitslosenquote fast doppelt so hoch wie vor Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise im Jahr 2008, wo sie bei 2,5 Prozent lag. Einzig in Deutschland sank sie seit Beginn der Krise deutlich.
Zwar sind vor allem Geringqualifizierte von Langzeitarbeitslosigkeit betroffen. In Südeuropa haben aber auch viele gut ausgebildete Menschen lange keinen Job. So sind in Griechenland, Spanien und Kroatien über 10 Prozent der Personen mit mittlerem Qualifikationsniveau und mehr als 5 Prozent der Hochqualifizierten langzeitarbeitslos. In Deutschland betrifft die Langzeitarbeitslosigkeit zudem erschreckend viele ältere Arbeitnehmer: Mehr als 26 Prozent Betroffenen sind älter als 55 Jahre – weit über dem EU-Schnitt von 14 Prozent.
Massenphänomen verdeckte Langzeitarbeitslosigkeit
Um das gesamte Ausmaß der Beschäftigungskrise in Europa deutlich zu machen, ermittelte die Studie auch Zahlen zur sogenannten verdeckten Langzeitarbeitslosigkeit. Dazu zählen zum Beispiel Arbeitssuchende, die durch Teilnahme an Beschäftigungsmaßnahmen nicht als arbeitslos gelten, Entmutigte, die nicht mehr aktiv nach einem Job suchen, und Menschen, die dem Arbeitsmarkt kurzfristig nicht zur Verfügung stehen. EU-weit sind das 11 Millionen Menschen. Besonders hoch ist die verdeckte Langzeitarbeitslosigkeit in Italien: Hier sind rund 9 Prozent der Bürger ohne Job zwar bereit zu arbeiten, tauchen in der Arbeitslosenstatistik aber nicht auf.
Südeuropa: Angebot und Nachfrage am Arbeitsmarkt passen oft nicht zusammen
Langzeitarbeitslosigkeit ist besonders im Süden der EU ein Erbe der Finanz- und Wirtschaftkrise. Diese deckte schwerwiegende strukturelle Schwächen in den Wirtschaftsmodellen der Südeuropäer auf. Zwar wurden hier seit 2010 die Reallöhne deutlich gesenkt und umfangreiche Arbeitsmarktreformen durchgeführt. Die Langzeitarbeitslosigkeit konnte das aber bislang nicht entscheidend verringern. Denn Angebot und Nachfrage am Arbeitsmarkt passen oft nicht zusammen. Wirtschaftszweige, wie Industrie und Baubranche, waren besonders stark von der Krise betroffen. Den dort entlassenen Arbeitskräften fehlen nun die notwendigen Fertigkeiten, um in anderen Branchen einen neuen Job zu finden. Passende Umschulungs- und Weiterbildungsmaßnahmen sind Mangelware.
Einseitige Sparpolitik der EU droht Langzeitarbeitslosigkeit zu zementieren
Um Langzeitarbeitslosen helfen zu können, braucht es eine steigende Arbeitsnachfrage durch die Wirtschaft. Dafür empfehlen die Studienautoren einen Mix aus wachstumsorientierten Investitionen und aktiven arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen. Gerade in den Ländern mit besonders vielen Langzeitarbeitslosen sind die Ausgaben für aktive Arbeitsmarktpolitik, wie Vermittlungsdienstleistungen, Aus- und Weiterbildungsangebote oder Lohnanreize für Unternehmen, gering und teilweise durch die Sparpolitik der letzten Jahre weiter gesunken. Ohne diese Unterstützung werden viele Langzeitarbeitslose aber kaum eine neue Stelle bekommen. Notwendig ist deshalb auch der Aufbau funktionsfähiger Arbeitsverwaltungen, die früh und intensiv bei der Jobsuche unterstützen.
Die komplette Studie finden Sie hier(in Englisch). Eine deutsche Zusammenfassung bietet Ihnen unser Abstract.
Die zentralen Studienergebnisse für Deutschland gibt es in der Pressemitteilung.