Ein Mann sitzt an einem Tisch und schaut auf einen vor ihm stehenden Laptop.

Immer einen Klick vom nächsten Job entfernt

Beispiele aus San Francisco zeigen, wie die digitale Wirtschaft neue Chancen eröffnen kann – vorausgesetzt, man erobert sich als umtriebiger Gründer und Freelancer die richtige Nische.

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Text von Steffan Heuer für change – das Magazin der Bertelsmann Stiftung. Ausgabe 1/2015. Gekürzte Fassung.

Der tiefgreifende Wandel, den die Arbeitswelt und Arbeitskultur insbesondere in der Technologie-Hochburg Silicon Valley durchmachen, besitzt noch kein griffiges Etikett. Manche sprechen von der "Sharing Economy", in der Ressourcen wie Wohnraum, Büros oder Transportmittel nur noch zeitweilig vermietet oder ausgeliehen werden. Andere beschreiben die Welt dieser vorübergehenden Arrangements als "Gig Economy", in der sich Millionen Selbstständige mit Hilfe von Apps und Diensten wie Airbnb, Uber, Lyft oder TaskRabbit von Auftrag zu Auftrag klicken.

Noch kann nur eine Minderheit aus vernetzter Gelegenheitsarbeit ihren Lebensunterhalt bestreiten. Fest steht jedoch, dass die Zahl der Neugründungen und ihrer Anbieter wie Nutzer beständig wächst. Nach Schätzungen arbeiten bereits 53 Millionen, oder ein Drittel aller Berufstätigen in den USA, als Freie.

Um die Pioniere der Branche, die meist aus der Region um San Francisco stammen, ist rasch ein Ökosystem aus Start-ups entstanden, die dem Einzelunternehmer neue Werkzeuge, Dienste und den Austausch mit anderen Freien bieten, um als Arbeitskraft auf elektronisch gemakeltem Abruf tätig zu sein. Sie versuchen dabei eines der größten Probleme der virtuellen Wirtschaftsbeziehungen zu überbrücken: mit dem Smartphone zwar immer verbunden, aber dennoch gemeinsam einsam zu sein.

Die folgenden Beispiele zeigen, wie sich Bewohner des Silicon Valley auf den Übergang zur "Arbeit on Demand" einstellen und mit den Chancen und Unwägbarkeiten arrangieren.

Brian Schrier (45), der vernetzte Handwerker des 21. Jahrhunderts

Als selbstständiger Unternehmer sammelte Brian Schrier 21 Jahre lang Unterschriften für Volksbegehren. "Landesweit erfolgreich, obwohl es ein hartes Geschäft ist", wie er sagt. Doch seit vergangenem Herbst ist sein iPhone der neue Auftraggeber, denn Schrier ist einer der Stars des Arbeitsmaklerdienstes TaskRabbit aus San Francisco. Der 45-Jährige hat sich in knapp einem halben Jahr eine erfolgreiche Nische als vernetzter Handwerker aufgebaut. Sechs Tage die Woche stellt er seine freie Zeit auf einer Smartphone-App ein und besucht Kunden in einem 160 mal 40 Kilometer großen Einzugsgebiet, um ihnen Klempnerarbeiten abzunehmen, elektrische Leitungen zu verlegen oder schwere Flachbild-Fernseher an einer Wand zu installieren.

So verdient Schrier zwischen 6.000 und 8.000 Dollar im Monat, nachdem TaskRabbit eine 15-prozentige Vermittlungsgebühr kassiert hat. Er ist einer von rund 30.000 Freelancern, die sich bei dem Start-up registriert haben und vom Umparken über das Zusammenschrauben von Ikea-Möbeln bis zum Entrümpeln eines Dachbodens alles erledigen.

„Die Nachfrage ist so groß, dass daraus ein Vollzeitjob geworden ist, der Spaß macht, da ich mir meine Arbeit selber einteilen kann, genug Abwechslung habe und außerdem meinen Stundensatz beständig nach oben schrauben kann.“

Brian Schrier, selbstständiger Handwerker

Für seine TaskRabbit-Jobs verlangt Schrier 75 bis 150 Dollar die Stunde – nicht zuletzt deshalb, weil er bereit ist, in Werkzeuge zu investieren, um seinen Wettbewerbsvorteil zu halten. "Es gibt viele Anbieter, die weniger kosten. Doch kaum jemand hat professionelle Werkzeuge. Mit der richtigen Ausrüstung steigt man in eine höhere Kategorie auf", sagt Schrier.

Macht sich Schrier Sorgen, ob er langfristig als Selbstständiger auf Abruf arbeiten kann? "Nein. So gut ging es mir noch nie. Das kann ich noch viele Jahre machen." Inzwischen nutzt der Handwerker TaskRabbit selber als Kunde. Er bucht andere Freie, die ihm für 25 Dollar die Stunde die Buchhaltung erledigen oder sein Hausboot neu streichen.

Brian Schrier bei Klempnerarbeiten. (Foto: TaskRabbit)

Birgit Sfat (41), die Lifestyle-Muse für die eigene Zielgruppe: berufstätige Mütter

Wie bringt man einem amerikanischen Publikum die besten und schönsten Dinge des Familienlebens in Europa nahe ohne selber ständig hin und her zu pendeln? Aus dieser Frage hat die Exil-Münchnerin Birgit Sfat eine Geschäftsidee gemacht, für die sie alle Werkzeuge des vernetzten Lifestyles ihrer Zielgruppe einsetzt: berufstätige Mütter im Silicon Valley, die auf Stil und Qualität bedacht sind.

Die Ehefrau eines Tech-Unternehmers und ehemalige Brand-Managerin der Traditionsmarke Triumph zog vor bald zwei Jahren nach Kalifornien, um eine kreative Auszeit zu nehmen. Von Bekannten und Fremden wurde sie jedoch auf der Straße oder dem Spielplatz immer wieder auf die Outfits ihrer Tochter angesprochen. Gleichzeitig wurde ihr tagtäglich bewusst, dass die e-Commerce-Welt den traditionellen Einzelhandel aus dem Alltag vieler Familien vertrieben hat – vom Schuh- bis zum Spielzeugladen. Aus dieser Einsicht entstand Over the Ocean, ein Online-Treffpunkt, auf dem die Deutsche gemeinsam mit anderen Stil-bewussten Müttern oder "Musen" in einer Handvoll europäischer Städte Kindermode auswählt und diese persönlichen Kollektionen dann vorstellt.

„Ich habe schnell gemerkt, dass andere Frauen großes Interesse haben, sich von echten Menschen und deren individuellem Stil inspirieren zu lassen, anstatt nur online einzukaufen, wo ihnen irgendein Algorithmus Vorschläge unterbreitet.“

Birgit Sfat, Gründerin des Online-Treffpunkts Over the Ocean

Dazu hat sich die Gründerin an der Schnittstelle gleich mehrerer wichtiger Trends positioniert. Die individuelle Beratung oder "Curation", die dank sozialer Medien kleine Gruppen Gleichgesinnter weltweit zusammenbringt. Zweitens schlüsselfertige Technologien, mit deren Hilfe auch ein Ein-Frauen-Start-up wie Over the Ocean mit wenig Kapital, aber viel Kreativität einen Online-Shop aufbauen kann. Und schließlich das vermehrte Augenmerk auf Qualität und Transparenz, das Verbraucher bei Herkunft und Materialien von Kinderkleidung an den Tag legen.

Kevin Petrovic (21), der Parkwächter für moderne Nomaden

Vor drei Jahren erkannte Kevin Petrovic mit zwei Kommilitonen, dass es bei der Mobilität der Zukunft noch viele unbesetzte Nischen gibt. Sie gründeten Flightcar, einen Dienst, bei dem jeder Reisende seinen Wagen am Flugplatz gratis parken kann, während das Start-up sich darum kümmert, das Auto an ankommende Reisende zu vermieten – und zwar deutlich billiger als etablierte Autovermietungen. Bei der Rückkehr findet man sein Fahrzeug frisch gewaschen und betankt vor.

Nach einer Testphase am Flughafen von San Francisco hat Petrovics Team inzwischen neun weitere Standorte in den USA eröffnet, ist auf 85 Mitarbeiter angewachsen und hat knapp 20 Millionen Dollar Wagniskapital für diese Sharing-Idee eingesammelt. "Wir haben viel gelernt und sind noch dabei, die richtige Formel zu finden, um Angebot und Nachfrage aufeinander abzustimmen", sagt der Gründer. Denn wer eine Reise plant, will sein Fahrzeug am Ankunftsort mit viel Vorlauf buchen, doch wer von zu Hause aufbricht, trägt seinen Wagen oft erst am Vortag in Flightcars Datenbank ein. "Um dieses Problem zu lösen, muss man erst ein passendes Rechenmodell entwickeln."

Im Schnitt mieten Kunden bei Flightcar vier bis fünf Tage und zahlen inklusive Versicherung nur 25 Dollar pro Tag. Zu Stoßzeiten wie rund um die Weihnachtsfeiertage makelte das Unternehmen so rund 1.000 Privatfahrzeuge. Kein Wunder, dass die etablierten Anbieter den Newcomer erst (erfolglos) verklagten und seitdem aufmerksam studieren. "Noch hat uns keiner kopiert", berichtet Petrovic, der selber wegen seines Alters noch bei keiner traditionellen Autovermietung ein Fahrzeug bekäme. "Wir sind mit Hochdruck dabei, unseren Vorsprung auszubauen." Als Nächstes will Flightcar an Flughäfen außerhalb der USA landen.

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