Weitreichende Schritte sind nötig, um das Potenzial eines gemeinsamen europäischen Arbeitsmarktes freizusetzen

Weitreichende Schritte sind nötig, um das Potenzial eines gemeinsamen europäischen Arbeitsmarktes freizusetzen

Studie der Bertelsmann Stiftung macht Empfehlungen zur Steigerung der grenzübergreifenden Mobilität von Arbeitnehmern in Europa / Grundlage ist eine Szenarioanalyse für Arbeitnehmermobilität in 2025

Sowohl die Beschäftigungsmöglichkeiten für Arbeitnehmer als auch die Chancen für Unternehmen können durch eine Stärkung der geografischen Mobilität europäischer Arbeitnehmer verbessert werden. Die Bertelsmann Stiftung hat hierzu heute eine Reihe von konkreten Politikempfehlungen veröffentlicht. Dabei stützt sie sich auf die detaillierte Analyse von fünf Szenarien, die helfen sollen, Einflussfaktoren und Herausforderungen für die Arbeitskräftemobilität im Jahr 2025 zu identifizieren. Die Studie Harnessing European Labour Mobility (etwa: "Europäische Arbeitskräftemobilität nutzbar machen") ist das Ergebnis eines einjährigen Projektes, an dem führende Experten für Arbeitskräftemobilität und Migration aus verschiedenen EU-Staaten beteiligt waren.

Laut der Studie sind die strukturellen Ungleichgewichte auf den europäischen Arbeitsmärkten seit Beginn der Wirtschafts- und Finanzkrise stark gewachsen. Während das Arbeitskräfteangebot in den stark getroffenen Krisenländern die Nachfrage bei weitem übersteigt, herrscht in anderen Mitgliedstaaten Arbeitskräftemangel, nicht nur in hochqualifizierten, sondern zunehmend auch in mittel und gering qualifizierten Berufsgruppen. 2007 betrug der Abstand zwischen der niedrigsten und der höchsten Arbeitslosenquote in der EU-27 7,6 Prozentpunkte. Bis 2013 ist diese Lücke auf 22 Prozentpunkte angewachsen. Der sich abzeichnende demografische Wandel wird diese Ungleichgewichte auf den europäischen Arbeitsmärkten wahrscheinlich weiter verstärken.

Trotz eines gewissen Anstiegs in Folge der EU-Osterweiterung im Jahr 2004 ist die Arbeitskräftemobilität in Europa seit jeher gering, insbesondere im Vergleich zu anderen Regionen dieser Welt. Eine detaillierte Analyse der Mobilitätsströme seit Beginn der Wirtschafts- und Finanzkrise hat gezeigt, dass sich diese Situation in den letzten Jahren nicht wesentlich verändert hat. Insgesamt haben bisher nur relativ wenige Einwohner der südlichen Krisenländer die Möglichkeit genutzt, Arbeit in einem anderen EU-Land aufzunehmen. Eine höhere Arbeitskräftemobilität innerhalb der EU kann daher für einzelne Bürger und auch die Wirtschaft der EU deutliche Vorteile bringen und würde zu mehr Wachstum, Beschäftigung und sozialer Integration beitragen.

Zur Förderung der Arbeitskräftemobilität haben die Verfasser 16 Politikempfehlungen formuliert, von denen sie die folgenden fünf als besonders wichtig betrachten:

  1. Investitionen in die Aus- und Fortbildung mobiler Arbeitnehmer sollten durch eine verstärkte Ausrichtung des Europäischen Sozialfonds auf Mobilitätsfragen gefördert werden (zum Beispiel Sprachkurse oder Austauschprogramme).
  2. Die europaweite Stellensuche muss vereinfacht werden. Hierfür sollte das EU-weite Stellenportal EURES so weiterentwickelt werden, dass es sowohl für Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber attraktiv ist. Es sollten zentrale Anlaufstellen für mobile Arbeitnehmer eingerichtet werden, die über die reine Stellenvermittlung hinausgehen und weitere Dienstleistungen anbieten, wie zum Beispiel Unterstützung bei Formalitäten oder der Suche nach einer Unterkunft und Schulen für Kinder.
  3. Die grenzüberschreitende Koordinierung der sozialen Sicherungssysteme sollte verbessert werden, unter anderem indem rechtliche Lücken bei der Arbeitslosen- und Krankenversicherung geschlossen werden und die soziale Sicherung für Bürger transparenter und leichter verständlich gemacht wird.
  4. Länder mit hoher Auswanderung sollten Anreize zur zirkulären Migration geben und die Rückkehr und berufliche Wiedereingliederung von mobilen Arbeitnehmern fördern, um das dauerhafte Abwandern von Fachkräften ins Ausland zu vermeiden.
  5. Die Freizügigkeit sollte gefördert und Nationalismus bekämpft werden, indem in der öffentlichen Debatte stärker auf den Nutzen von Mobilität hingewiesen wird. Zur Steigerung der gesellschaftlichen Akzeptanz kann auch eine Verbesserung der Datenlage zur Mobilität sowie die stärkere Einbeziehung der Interessengruppen beitragen.

Der Vorstandsvorsitzende der Bertelsmann Stiftung Aart De Geus sagte: "Die hohe Arbeitslosigkeit in der Europäischen Union ist nicht nur eine soziale Herausforderung. Sie steht auch für ein großes ungenutztes Potenzial. Mehr als 2,2 Millionen Stellen sind derzeit in der EU unbesetzt. Eine größere Mobilität auf dem europäischen Arbeitsmarkt kann daher der EU helfen, diese riesige Ressourcenverschwendung zu beenden und einige ihrer größten Herausforderungen, zum Beispiel schleppendes Wachstum und soziale Exklusion, anzugehen."

"Die politische Führung Europas muss weitreichende Schritte einleiten, um das Potenzial eines gemeinsamen europäischen Arbeitsmarktes freizusetzen. Die Förderung der Arbeitskräftemobilität muss daher eine der zentralen Prioritäten der nächsten Europäischen Kommission sein", folgerte er.

Die Studie wurde gemeinsam mit dem Copenhagen Institute for Future Studies erarbeitet. Sie wird am 8. April 2014 in Brüssel vorgestellt. Auf die Vorstellung der Studie folgt eine hochrangige Podiumsdiskussion mit politischen Entscheidungsträgern, Vertretern der Gewerkschaften und Arbeitgeber, der Zivilgesellschaft sowie der Wissenschaft. Als Redner haben zugesagt: EU-Kommissar László Andor, Daniel Gros (CEPS), Józef Niemiec (EGB), Conny Reuter (Solidar) und Sverker Rudeberg (BusinessEurope). Die Veranstaltung wird von 18.30 bis 20.15 Uhr im Résidence Palace, Rue de la Loi 155, 1040 Brüssel, stattfinden.