Schülergruppen sitzen zusammen und arbeiten gemeinsam an Aufgaben

„Lern- und Prüfungskultur in Schule verändern: Ein Plädoyer für mutige Entscheidungen“

Eine Expert:innengruppe hat gemeinsam Empfehlungen für eine zukunftsorientierte Lern- und Prüfungskultur in Schulen erarbeitet. Ziel war es, zentrale Herausforderungen im Bildungssystem zu identifizieren und konkrete Impulse für Veränderungen hin zu einem Schulsystem zu geben, in dem Lernprozesse und Prüfungen sinnvoll miteinander verknüpft sind.

Ansprechpartnerin

Foto Chantal Lepper
Dr. Chantal Lepper
Project Manager

Content

Empfehlungen für eine veränderte Lern- und Prüfungskultur

Die elfköpfige Gruppe mit Vertreter:innen aus Schulministerien und Landesinstituten aus vier Bundesländern sowie aus der Bildungsforschung tagte über ein Jahr hinweg. Im Mittelpunkt standen dabei zwei Fragen:

  1. Wie muss sich die Lern- und Prüfungskultur verändern, damit Schüler:innen bestmöglich lernen und sich persönlich entwickeln können?
  2. Was braucht es, um diese Veränderungen umzusetzen?

Geleitet wurde die Gruppe von Dr. Martina Diedrich und Prof. Dr. Kai Maaz (DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation). Die Bertelsmann Stiftung initiierte die Expert:innengruppe, begleitete deren Arbeit in vier doppeltägigen Sitzungen organisatorisch und förderte den Austausch zwischen Wissenschaft, Verwaltung und Schulpraxis.

Aus der Arbeit der Expert:innengruppe sind neun Empfehlungen zur Weiterentwicklung der Lern- und Prüfungskultur hervorgegangen:

  1. Grundbildung und Schlüsselkompetenzen sichern
    Alle Kinder und Jugendlichen müssen in Schule befähigt werden, grundlegende sprachliche, mathematische sowie fachliche und überfachliche Kompetenzen zu erwerben. Eine zukunftsorientierte Schule stellt sicher, dass diese Schlüsselkompetenzen aufgebaut und kontinuierlich weiterentwickelt werden.
  2. Bildungsminimum garantieren, Bildungsmaximum ermöglichen
    Bildung ist ein Grundrecht. Alle Akteure im Schulsystem tragen Verantwortung dafür, dass alle Lernenden das Bildungsminimum erreichen. Gleichzeitig sollen sie Kinder und Jugendliche darin unterstützen, ihr individuelles Potenzial voll zu entfalten – unabhängig von Herkunft oder Startbedingungen.
  3. Individuelles und gemeinschaftliches Lernen ausbalancieren
    Moderne Lernkulturen verbinden individuelle Lernwege mit gemeinschaftlichem Lernen. Es braucht Konzepte, die Selbstbestimmung und Partizipation ermöglichen, zugleich aber auch soziale Zugehörigkeit und kooperative Lernformen stärken.
  4. Multiprofessionelle Kooperation fördern
    Schulen müssen als kooperative Lern- und Lebensorte gestaltet werden. Eine enge Zusammenarbeit verschiedener Professionen – etwa aus Pädagogik, Sozialarbeit oder Psychologie – ist zentral, um Kinder und Jugendliche ganzheitlich in ihrer Entwicklung zu begleiten und zu fördern.
  5. Frühe Bildung stärken und Übergänge kooperativ gestalten
    Frühkindliche Bildung legt den Grundstein für späteren Bildungserfolg. Ein geteiltes Bildungsverständnis zwischen KiTa und Grundschule sowie gut gestaltete Übergänge schaffen sind wichtige Gelingensbedingungen für kontinuierliches Lernen.​​
  6. Kohärenz zwischen Lernen und Prüfen herstellen
    Prüfungen sollten eng mit den Lernprozessen in Schule verknüpft und als Bestandteil individueller Entwicklung verstanden werden. Anschlussfähigkeit über Bildungsphasen hinweg sowie eine Ausrichtung auf individuelle Entwicklungsverläufe anstelle reiner Abschlussorientierung stärken die lernförderliche Funktion von Prüfungen.
  7. Leistungsbewertung neu denken
    ​​​​​​​Eine zeitgemäße Bewertungspraxis orientiert sich stärker an kriterialen und individuellen Maßstäben. So wird Leistung nachvollziehbar, vergleichbar – und vor allem lernförderlich. Soziale Bezugsnormen treten zugunsten einer pädagogisch sinnvollen Bewertung zurück.
  8. Datengestützte Lernverlaufsdiagnostik und Feedback gezielt einsetzen
    Zur individuellen Lernbegleitung braucht es geeignete diagnostische Instrumente, die Lernverläufe sichtbar machen. Lernbegleitendes Feedback hilft dabei, gezielte Förderung zu ermöglichen und Lernprozesse frühzeitig zu steuern.​​​​​​​
  9. Alternative Leistungsnachweise stärken
    Schulen sollten alternative Formen der Leistungsdokumentation – wie Lerntagebücher, Portfolios oder projektbasierte Formate – systematisch einsetzen. Sie erlauben eine differenzierte Sicht auf individuelle Lernwege und machen Leistung umfassender sichtbar als klassische Prüfungsformate allein.

Was braucht es, um Lern- und Prüfungskultur nachhaltig zu verändern?

Die Weiterentwicklung der Lern- und Prüfungskultur erfordert ein gemeinsames Verständnis über Ziele und Verantwortung im Bildungssystem. Pädagogisch Tätige sollten in ihrer Arbeit gestärkt und dazu befähigt werden, Lernprozesse zu begleiten und Prüfungen entwicklungsorientiert zu gestalten. Dafür braucht es verlässliche Rahmenbedingungen: rechtliche Spielräume in Lehrplänen und Prüfungsordnungen, flexible Organisationsstrukturen an Schulen sowie hochwertige Daten und Instrumente zur Sichtbarmachung von Lernverläufen. Zudem sind Kooperationen – multiprofessionell, interinstitutionell und mit außerschulischen Partner:innen – ebenso wichtig wie eine abgestimmte Steuerung durch Schulaufsicht, Landesinstitute und Politik. Nicht zuletzt ist eine klare bildungspolitische Haltung notwendig, um diese Veränderung wirksam und dauerhaft zu verankern.

Die Expert:innengruppe ermutigt daher alle Akteur:innen im Bildungssystem, gemeinsam Verantwortung zu übernehmen und die notwendige Veränderung aktiv mitzugestalten – für eine Schule, die konsequent auf das Lernen und gute Aufwachsen aller Kinder und Jugendlichen ausgerichtet ist.

Publikation