Freundinnen unterschiedlicher Ethnie und Religion unterhalten sich

Religiöse Vielfalt, Sozialkapital und gesellschaftlicher Zusammenhalt

Wachsender religiöser Pluralismus ist heute in nahezu allen westlichen, aber auch in vielen sich entwickelnden Gesellschaften zu einer zentralen sozialen und politischen Herausforderung avanciert. Die neue Vielfalt speist sich zum einen aus Einwanderungsprozessen und der damit einhergehenden stärkeren Sichtbarkeit religiöser Minderheiten. Zum anderen trägt aber auch die wachsende Zahl derer, die überhaupt keiner Religion (mehr) angehören, zu einer weitergehenden weltanschaulichen Pluralisierung bei. Welche Folgen die neue religiöse Vielfalt für das soziale Miteinander, die politische Stabilität und die ökonomische Leistungsfähigkeit moderner Gesellschaften hat, hängt ganz entscheidend davon ab, in welcher Form sie sich im Alltagsleben und den sozialen Beziehungen der Menschen niederschlägt. Diese Studie der Sonderauswertung des Religionsmonitors 2013 nimmt die gesellschaftspolitische Herausforderung des neuen religiösen Pluralismus zum Anlass, um die Rolle von Religion und religiöser Vielfalt für den sozialen Zusammenhalt in Deutschland in ländervergleichender Perspektive zu untersuchen. Dabei steht die Situation in Deutschland im Vordergrund des analytischen Interesses.

 

Insgesamt weist wenig darauf hin, dass Einwanderung und kulturelle Vielfalt den sozialen Zusammenhalt gefährden.

Prof. Dr. Richard Traunmüller

Die Studie ist in vier Teile eingeteilt, die jeweils unterschiedliche Analyseperspektiven einnehmen. In einem ersten Schritt erfolgt durch Prof. Dr. Richard Traunmüller eine rein beschreibende Bestandsaufnahme der religiösen Zusammensetzung sozialer Beziehungsnetze – sowohl hinsichtlich der tatsächlichen Religiosität als auch der religiösen Vielfalt – in Deutschland und im internationalen Vergleich. In einem zweiten Schritt wird der Frage nachgegangen, welche individuellen soziodemographischen, religiösen und einstellungsbezogenen Merkmale mit religiös brückenbildendem Sozialkapital zusammenhängen. Der dritte Teil nimmt eine Makroperspektive ein und fragt nach den religiös-kulturellen, ökonomischen, sozialstrukturellen und politischen Faktoren, die mit der Religiosität und religiösen Vielfalt sozialer Beziehungen in Verbindung stehen. Im vierten Kapitel werden schließlich die sozialen Wirkungen betrachtet, die sich aus der religiösen Zusammensetzung und dem brückenbildenden Charakter der sozialen Kontakte ergeben.

 

Methode

Die Sonderauswertung zum Thema Islam in Deutschland basiert auf den Daten des Religionsmonitors 2013 und auf einer Sonderumfrage des Emnid Instituts im Auftrag der Bertelsmann Stiftung. Für den Religionsmonitor der Bertelsmann Stiftung wurden zwischen Oktober und Dezember 2012 14.000 Personen in 13 Ländern zu ihrer persönlichen Religiosität, ihren Werthaltungen und dem Verhältnis von Religion, Politik und Gesellschaft repräsentativ befragt. Die Befragung wurde vom Institut für angewandte Sozialforschung infas in Bonn durchgeführt. Es wurden Personen ab 16 Jahren in Deutschland und Brasilien, Frankreich, Großbritannien, Indien, Israel, Kanada, Schweden, der Schweiz, Spanien, Südkorea, der Türkei sowie den USA befragt. Für die vorliegende Sonderauswertung wurden die Daten für Deutschland und die Türkei ausgewertet. In Deutschland wurde die Bevölkerungsstichprobe durch eine Stichprobe von Muslimen in Deutschland ergänzt. Auf Basis des Religionsmonitors wurde einerseits die Wahrnehmung des Islams in Deutschland und darauf einwirkende Einflussfaktoren differenziert analysiert. Andererseits wurden die Lebenswelten deutscher Muslime (N=322) untersucht und mit Muslimen in der Türkei (N=974) verglichen. Aufgrund der Glaubensunterschiede von Muslimen unterschiedlicher religiöser Ausrichtung (beispielsweise Sunniten, Aleviten, Shiiten) konzentrieren sich einige Auswertungen auf sunnitische Muslime, die sowohl in Deutschland (N=200) als auch in der Türkei (N=655) die große Mehrheit der Muslime stellen. Dies ist vor allem bei Analysen relevant, die den Einfluss der Glaubensintensität untersuchen, beispielsweise auf Wertvorstellungen. Aufgrund niedriger Fallzahlen konnten diese Analysen für die übrigen religiösen Orientierungen nicht vorgenommen werden. Im Rahmen der Emnid-Umfrage vom November 2014 wurden zentrale Fragen zur Islamwahrnehmung der deutschen Bevölkerung, die bereits im Religionsmonitor enthalten waren, neu erhoben. So konnten Veränderungen im Islambild zwischen 2012 und 2014 – auch vor dem Hintergrund aktueller politischer Ereignisse – erfasst werden. Zusätzlich wurden weitere Fragen zu Einstellungen gegenüber und zum Kontakt zu Muslimen eingebunden. Insgesamt sind die Antworten von 937 Befragten in die Auswertungen eingeflossen (nicht-muslimische deutsche Bevölkerung ab 16 Jahre).