Vielmehr vermag es eine entschlossene Politik, welche die grüne Transformation in Deutschland weiter vorantreibt, in den kommenden Jahrzehnten ein Vielfaches an neuen Jobs zu schaffen. Während sich die Sorge um einen zusammenbrechenden Arbeitsmarkt als unbegründet erweist, tritt damit eine neue Frage in den Vordergrund. Wie schaffen wir es diese neuen Jobangebote zukünftig auch zu füllen? Denn es zeigt sich: Viele der Branchen, welche für eine erfolgreiche Nachhaltigkeitstransformation entscheidend sein werden, leiden bereits heute unter dem wachsenden Problem des Fachkräftemangels.
Der Nachhaltigkeitswandel als Jobmotor für die deutsche Wirtschaft
Die grüne Transformation hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft verursacht einen tiefgreifenden Strukturwandel am deutschen Arbeitsmarkt. Das Schrumpfen und der Wandel traditionsreicher Branchen wie dem Bergbau oder der Automobilindustrie nähren Befürchtungen in der Bevölkerung, ein grüner Wandel müsse zwangsläufig mit einem Rückgang in Jobangebot und -sicherheit einhergehen. Doch ist dies tatsächlich zwingend so? Unser Focus Paper „Nachhaltige Beschäftigung – Arbeitsmarkteffekte der grünen Transformation“ zeigt, dass das Gegenteil der Fall ist.
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Was passiert auf dem Arbeitsmarkt, wenn Deutschland die grüne Transformation nicht vorantreibt?
Für unser Focus Paper haben sich die Autoren Prof. Dr. Enzo Weber und Dr. Gerd Zika vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) eine Reihe vorstellbarer Politikszenarien angeschaut und auf ihre Auswirkungen auf den deutschen Arbeitsmarkt analysiert. Als Vergleichsmaßstab wurde ein „Basisszenario“ genutzt, welches über die nächsten Jahre nur die bereits beschlossenen und keinerlei zusätzliche transformationsförderliche Politikmaßnahmen beinhaltet. Stattdessen geht das Basisszenario lediglich von einer Reihe bereits jetzt empirisch belegbarer sogenannter Megatrends (wie z. B. das Altern der deutschen Bevölkerung oder die zunehmenden wirtschaftlichen Folgen des Klimawandels) aus, welche das Modell in die Zukunft projiziert, um so die Arbeitsnachfrage in zukünftigen Jahrzehnten zu berechnen. Die Ergebnisse dieses Basisszenarios sind ernüchternd. Fährt Deutschland auf dem bisherigen Kurs weiter, ohne zukünftig noch weiter aktiv die Nachhaltigkeitstransformation der Wirtschaft voranzutreiben, so wird es im Jahr 2040 im Saldo knapp 600.000 Jobs weniger geben als heute noch (vgl. Abbildung 1, orange Säule).
Zahl an neu entstehenden und wegfallenden Arbeitsplätzen, 2021-2040, Basisszenario
Wie beeinflusst die Transformation den Arbeitsmarkt? – Ein Szenarienvergleich
In der Folge schauen sich die Autoren drei weitere Szenarien an, jeweils mit unterschiedlich ausgeprägten Politikmaßnahmen zur Förderung der deutschen Nachhaltigkeitstransformation. Es zeigt sich, dass die negativen Jobprognosen des Basisszenarios durch das Vorantreiben der grünen Transformation in Deutschland nicht nur aufgehoben, sondern gar ins Positive gedreht werden können.
So untersucht das Szenario „Fortschrittliche Arbeitswelt“ die Jobauswirkungen, falls alle, die Transformation betreffenden Ziele des aktuellen Koalitionsvertrags zwischen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP künftig wie geplant umgesetzt werden sollten. Solche im Koalitionsvertrag angedachten, aber noch nicht umgesetzten Politikmaßnahmen beinhalten z. B. den verstärkten Ausbau erneuerbarer Energien, eine Modernisierung des Staates und eine digitale Verwaltung sowie ein geplanter Wandel hin zu mehr Kreislaufwirtschaft. Das Ergebnis wäre ein Zuwachs im Jobangebot von knapp 600.000 zusätzlichen Jobs netto 2040 (vgl. Abbildung 2).
Wirkungen der Teilszenarien des Szenarios “Fortschrittliche Arbeitswelt” auf die Zahl der auf- und abgebauten Arbeitsplätze in den Jahren 2030, 2035 und 2040
Es zeigt sich, dass manche geplanten Politikmaßnahmen wie die Anpassung des deutschen Mobilitätsverhaltens bereits schnell ihre volle, positive Wirkung auf dem Arbeitsmarkt entfalten, diese positiven Beschäftigungseffekte dann jedoch über die kommenden Jahre abschwächen. Bei anderen Maßnahmen wachsen die positiven Effekte über die Zeit an und entfalten später erst ihre maximale Auswirkung. Dies ist etwa im Bereich „Integration, Anerkennung & Staatsbürgerschaft“ der Fall.
Die Analyse zweier weiterer Politikszenarien untermauert die positiven Arbeitsmarktauswirkungen einer proaktiven Nachhaltigkeitstransformation zusätzlich. Im „MoveOn Szenario“, welches die Auswirkungen eines ambitionierten Wechsels im Mobilitätsverhalten der Deutschen untersucht, können für das Jahr 2040 60.000 zusätzliche neue Jobs prognostiziert werden. Die Auswirkungen einer erfolgreichen deutschen Wasserstoffstrategie können mit im Saldo 81.000 neu geschaffenen Jobs im Jahr 2040 beziffert werden.
Wer sind die Gewinner und Verlierer der Nachhaltigkeitstransformation am Arbeitsmarkt?
Die in den verschiedenen Szenarien berechneten Zahlen geben die Netto-Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt in den unterschiedlichen Zieljahren wieder. Dies bedeutet, dass zwar im Saldo letztlich deutlich mehr neue Jobs geschaffen werden, als verloren gehen, es aber durchaus auch zu wegfallenden Jobs und schrumpfenden Branchen kommen wird. Somit ergeben sich eine Reihe von „Gewinner- und Verliererbranchen“ des grünen Wandels in Deutschland. Zu den Branchen, die im Zuge der Transformation Beschäftigung aufbauen werden, gehört vor allem das Baugewerbe (inklusive Nebenbranchen wie „Architektur- und Ingenieurbüros“ oder „technische, physikalische und chemische Untersuchung“), welche für die Schaffung einer nachhaltigen Infrastruktur kritisch sind, aber auch Branchen wie der IT- und Informationsdienstleistungsbereich, die die dabei helfen die benötigte Digitalisierung in Deutschland weiter voranzutreiben, oder die Branche „Erziehung und Unterricht“, welche einen gesteigerten Weiterbildungsbedarf auf Grund einer Vielzahl sich wandelnder Arbeitsplätze und Berufsanforderungen bedienen werden muss.
Zu den Branchen mit einem Beschäftigungsrückgang zählt insbesondere die Branche „Herstellung von Kraftwagen und Kraftwagenteilen und sonstiger Fahrzeugbau“ sowie der Kfz-Handel. Zusätzlich ergeben sich, zumindest kurzfristig, durch die Annahme temporär steigender Energiekosten während der Transformation, negative Auswirkungen auf besonders energieintensive Industrien, wie die Herstellung von Glas, Glaswaren und Keramik sowie die Verarbeitung von Steinen und Erden, die Herstellung von chemischen Erzeugnissen oder die Metallerzeugung und -bearbeitung. Hier sollten sich jedoch in der langen Frist aufgrund der Nutzung alternativer Energieträger, wie grünem Wasserstoff, Kosten- und somit Wettbewerbsvorteile gegenüber einer versäumten Transformation einstellen.
Schlussfolgerungen und Handlungsempfehlungen
Die empirische Analyse zeigt die klaren Vorteile einer engagierten Nachhaltigkeitstransformation der Wirtschaft für den deutschen Arbeitsmarkt. Gleichzeitig wird eine solche Transformationen nicht ohne Reibungen und Verluste bestehender Jobs ablaufen. Die Empfehlung für die Politik kann somit nur lauten, die grüne Transformation in Deutschland entschlossen voranzutreiben und dabei ebenso entschlossen zu investieren, um Anpassungen am Arbeitsmarkt zu erleichtern.
Hierbei tritt insbesondere das wachsende Problem des Fachkräftemangels in den Vordergrund. Um zukünftige durch die Transformation entstehende Jobanfragen auch füllen zu können und gleichzeitig Menschen mit Berufen in schrumpfenden oder wegfallenden Branchen aufzufangen, spielen Ausbildung und Qualifizierung eine Schlüsselrolle. Kompetenzen, welche für die Anforderungen der Transformation, z. B. für die Energiewende, als kritisch identifiziert wurden, sollten durch eine flexible (Teil-)Qualifizierung vermittelt werden und die berufliche Bildung sollte als Ganze stärker gefördert werden. Das duale Ausbildungssystem bietet hierfür mit seiner Kombination aus Theorie und Praxis weltweit anerkannte Vorteile. Gleichzeitig bedarf es einer proaktiven und kontinuierlichen Weiterbildungspolitik, welche Beschäftigte befähigt, die anstehenden Umbrüche nicht nur zu bewältigen, sondern selbst in die Hand nehmen zu können.
Schließlich braucht es auch eine progressive und effiziente Migrationspolitik, um das Fachkräfteangebot künftig wirksam zu erhöhen. Mit Blick auf den demografischen Wandel dürfte es Deutschland in absehbarer Zukunft kaum möglich sein, Arbeitsmarktnachfragen, ohne den Zuzug geschulter ausländischer Fachkräfte in den Griff zu bekommen. Entscheidend ist somit eine Überarbeitung und Vereinfachung der Kompetenzanerkennung für spezifische Engpassberufe, z. B. nach dem kanadischen Vorbild, um eben diese ausländischen Fachkräfte schneller nach Deutschland holen zu können.