Rund 1,8 Millionen Menschen in Deutschland sind laut Statistik arbeitslos und beziehen Bürgergeld, gelten also grundsätzlich als erwerbsfähig. Keine verlässlichen Informationen gab es dagegen bisher darüber, ob und wie intensiv die Betroffenen auf Jobsuche sind und wie gut die Jobcenter sie unterstützen. Eine Befragung des Instituts für Angewandte Wirtschaftsforschung (IAW) im Auftrag unserer Stiftung zeigt: 57 Prozent der Befragten geben an, sie hätten in den zurückliegenden vier Wochen gar nicht nach einem Job gesucht, davon 53 Prozent der Männer und 63 Prozent der Frauen. Selbst unter den aktiv Suchenden investiert der Großteil vergleichsweise wenig Zeit in die Jobrecherche: Nur 26 Prozent der Befragten suchen bis zu neun Stunden pro Woche. Sechs Prozent investieren 20 Stunden oder mehr in die Suche.
KI-generiert (Adobe Firefly)
Bürgergeldempfänger: Viele sind krank, die Hälfte sucht keinen Job – und Jobcenter bieten zu wenig Stellen an
Mehr als die Hälfte der Empfänger:innen von Bürgergeld hat in den zurückliegenden vier Wochen nicht nach einem Job gesucht. Viele der Betroffenen sind nach eigenen Angaben dazu auch gar nicht in der Lage, denn 45 Prozent geben an, an einer psychischen oder chronischen Erkrankung zu leiden. Zugleich sagen aber auch knapp 43 Prozent der Befragten, sie hätten noch nie ein Jobangebot vom Jobcenter erhalten. Das ist das Ergebnis einer repräsentativen Befragung von 1.006 Leistungsberechtigten zwischen 25 und 50 Jahren im Auftrag unserer Stiftung.
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Wenige Stellenangebote von Jobcentern
Knapp 43 Prozent der Befragten geben an, noch nie ein Stellenangebot erhalten zu haben. Knapp 38 Prozent sagen, sie seien bislang bei Weiterbildungsmaßnahmen leer ausgegangen. Die Befragung zeigt, dass Personen mit Berufsabschluss die besten Karten bei Jobangeboten haben, gefolgt von Hochschulabsolvent:innen. Weiterbildungsmaßnahmen bieten die Jobcenter vor allem Personen mit Hauptschulabschluss an, seltener sind Weiterbildungsangebote für Frauen, insbesondere mit kleinen Kindern. “Die Jobcenter müssen den Schwerpunkt neu setzen. Weniger Bürokratie, mehr Vermittlung. Jobcenter müssen Menschen in passende Arbeit bringen”, sagt unser Arbeitsmarktexperte Roman Wink. “Wir sollten aber auch die Perspektive der Arbeitgeber nicht vergessen, denn nicht jeder Leistungsbeziehende kann den Anforderungen des Jobs ab dem ersten Tag gerecht werden.”
Gesundheitliche Belastungen als wichtiges Hemmnis
Häufig sind es gesundheitliche Einschränkungen, die die Menschen von der Jobsuche abhalten. 45 Prozent aller Befragten berichten von psychischen oder chronischen Krankheiten. In der Untergruppe derer, die nicht aktiv nach Stellen suchen, führen sogar drei Viertel (74 Prozent) gesundheitliche Probleme als Hemmnis an. "Hier ist ein konstruktiver Umgang mit der Situation notwendig", sagt unser Arbeitsmarktexperte Tobias Ortmann. "Vielen gelingt der Einstieg in Arbeit dadurch, dass Hürden abgebaut werden. Aber wenn chronische oder psychische Krankheiten keine realistische Chance auf eine Integration in den Arbeitsmarkt bieten, dann sollte ein Wechsel aus der Grundsicherung in ein besser passendes Unterstützungssystem wie die Sozialhilfe oder die Erwerbsminderungsrente geprüft werden."
Wer lange Leistungen bezieht, verliert oft den Anschluss
Knapp die Hälfte (49 Prozent) der Befragten, die keinen Job suchen, begründet das mit zu wenigen passenden Stellen. Ein gutes Viertel (25,5 Prozent) erklärt, dass sich die eigene finanzielle Lage nicht verbessern würde, und 22 Prozent sagen, sie seien durch die Pflege von Angehörigen oder die Kinderbetreuung gebunden. Elf Prozent geben an, sich mit „Gelegenheitsarbeiten“ über Wasser zu halten. "Wer lange Leistungen bezieht, verliert oft den Anschluss. Aufgabe der Jobcenter ist, zu unterstützen und passgenaue Jobs oder Qualifizierung anzubieten", sagt Ortmann. “Fördern und Fordern gehören zusammen. Wer arbeiten kann und Angebote ohne triftigen Grund ablehnt, sollte konsequent sanktioniert werden. Außerdem muss Schwarzarbeit unterbunden werden, indem betreffende Personen stärker zeitlich eingebunden werden.“ Denkbar ist eine Ausweitung von geförderter Beschäftigung. Hierfür kann das Bürgergeld selbst zur Finanzierung genutzt werden. Dagegen brauchen diejenigen, die arbeiten wollen, aber nicht können, mehr Unterstützung. Eine verlässliche Kinderbetreuung räumt Hürden aus dem Weg, Weiterbildungen und Coachings erhöhen die Chancen auf einen Job. „Wer Qualifizierung braucht und die Bereitschaft hierfür signalisiert, muss gefördert werden”, sagt Wink.
Zusatzinformationen:
Die Studie ist Teil der Untersuchung "Lebenssituation und Erfahrungen von Bürgergeldbeziehenden (LEBez)" des Instituts für Angewandte Wirtschaftsforschung (IAW) und des SOKO Instituts im Auftrag der Bertelsmann Stiftung. Ziel der Befragung war es, mehr über die Lebensrealität, Erfahrungen mit Jobcentern sowie Hemmnisse bei der Arbeitsaufnahme von Bürgergeldbeziehenden zu erfahren. Die Erhebung erfolgte vom 15. April bis 18. Juni 2025. Zielgruppe waren erwerbsfähige Leistungsbeziehende zwischen 25 und 50 Jahren, die mindestens seit einem Jahr Bürgergeld beziehen und arbeitslos oder arbeitsuchend sind. Die Stichprobe wurde vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) gezogen. Die Genehmigung erfolgte durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS).


