Eine Medizinstudentin geht mit einem Buch in der Hand an einer anderen Studentin vorbei

Warum die Reform des Medizinstudiums nicht auf der Zielgeraden scheitern darf

Die Approbationsordnung in Deutschland ist längst nicht mehr zeitgemäß. Angehende Ärzt:innen sollten interprofessioneller, digitaler und praxisnäher ausgebildet werden, um den veränderten Anforderungen ihres Berufs besser gerecht werden zu können. Doch die zeitnahe Verabschiedung der lange vorbereiteten Reform steht auf der Kippe: Aus dem notwendigen großen Wurf wird zunächst nur eine Mini-Reform.

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Eckhard Volbracht
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Marion Grote-Westrick
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Mehr chronische Erkrankungen, mehr ambulante und vernetzte Versorgung, mehr digitale und telemedizinische Anwendungen, neue Diagnose- und Therapieverfahren: Die Anforderungen an den Arztberuf haben sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten erheblich verändert. Trotzdem werden angehende Mediziner:innen in Deutschland noch immer nach der Approbationsordnung aus dem Jahr 2002 ausgebildet. Eine Erneuerung des Medizinstudiums gilt als überfällig, um die künftigen Ärzt:innen auf eine zeitgemäße Versorgung der Patient:innen vorzubereiten. Doch nicht die angestrebte große Reform, sondern nur wenige Teilaspekte sollen noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden. Das geht aus einem neuen Referentenentwurf des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) hervor. Wie auch andere Verbände und Gesundheitsexpert:innen appellieren wir an die Politik, die novellierte Approbationsordnung bald und vor allem in ihrer Gesamtheit ins Ziel zu führen. "Die Reform des Medizinstudiums darf nicht scheitern. Die Ärztinnen und Ärzte von morgen müssen bestmöglich für die Gesundheitsversorgung der Zukunft ausgebildet werden. Das ist für uns alle von hoher Bedeutung", sagt unser Vorstand Brigitte Mohn. 

Mehr Praxis- und Patient:innenbezug notwendig  

Über die inhaltliche Neuausrichtung des Medizinstudiums herrscht in Politik, Gesundheitsversorgung und Wissenschaft weitgehend Einigkeit. Im Referentenentwurf des BMG vom November 2020 steht Kompetenzorientierung statt des bloßen Faktenwissens als übergeordnetes Ziel im Fokus. Das Studium soll praxisnäher und fächerübergreifender werden, einen größeren Fokus auf die Allgemeinmedizin legen sowie mehr wissenschaftliche und kommunikative Kompetenzen vermitteln. Insbesondere die Kommunikation spielt eine zentrale Rolle für die ärztliche Tätigkeit, denn im Lauf des Berufslebens führen Ärzt:innen im Schnitt rund 200.000 Gespräche mit Patient:innen. Der große Entwurf sieht zudem vor, dass Medizinstudierende früher als bisher Erfahrungen im Umgang mit Patient:innen sammeln. Der neue Referentenentwurf greift diesen Paradigmenwechsel nicht mehr auf, sondern beinhaltet nur einige wenige Punkte, etwa zum Öffentlichen Gesundheitsdienst und zu digitalem Unterricht. Die große Reform soll in der nächsten Legislaturperiode erneut verhandelt werden. 

Bereits 2017 hatten die Gesundheits- und Bildungsminister:innen auf Bundes- und Landesebene mit dem "Masterplan Medizinstudium 2020" eine Reform von Lehre und Prüfung beschlossen. Ein wichtiger Teil davon sind neue Prüfungsformate. Daran hat das staatliche Institut für Medizinische und Pharmazeutische Prüfungsfragen (IMPP) in den vergangenen Jahren, unter anderem mit unserer Unterstützung, gearbeitet. Die jetzt bekannt gewordene, vorläufige Suspendierung der IMPP-Direktorin Jana Jünger könnte daher einen empfindlichen Rückschlag für die Einführung der neuen Approbationsordnung bedeuten. 

"Diese Reform ist eine Jahrhundertreform"

"Diese Reform ist eine Jahrhundertreform", betont Prof. Dr. Ferdinand Gerlach vom Institut für Allgemeinmedizin der Universität Frankfurt am Main, "sie sollte nicht kurz vor Verabschiedung verwässert werden." Doch der Bundesrat meldete Anfang Mai gegenüber dem BMG Nachbesserungsbedarf zum ersten Referentenentwurf an, was nun zu einem gestückelten Reformprozess führen wird. Einzelne Bundesländer störten sich unter anderem an den Mehrkosten infolge der neuen Approbationsordnung. Aktuell wendet der Staat pro vollständig abgeschlossenem Medizinstudium rund 300.000 Euro auf. Der zusätzliche Ausgabenbedarf je Studienplatz beträgt Schätzungen zufolge zwischen vier und 20 Prozent. "Bund und Länder sollten sich endlich auf eine Finanzierung einigen und zugleich die medizinischen Fakultäten in die Pflicht nehmen, einen Teil der Mehrkosten durch interne Anpassungen und Umverteilungen zu übernehmen", so unser Gesundheitsexperte Eckhard Volbracht. Darüber hinaus gibt es Bedenken seitens der Länder, die vorgesehene Regulierung und Standardisierung der Prüfungen würden einen zu starken Eingriff in die Freiheit der Lehre darstellen. Jedoch hat der Bund die Pflicht, die Qualitätsanforderungen an die medizinische Ausbildung unabhängig vom Studienort zu definieren, um eine hochwertige Versorgung und die Patientensicherheit zu garantieren. 

Eine baldige Verabschiedung der gesamten Reform würde nicht nur politische Klarheit bringen, sondern es den medizinischen Fakultäten erleichtern, sich in einer Übergangsphase auf die neuen Anforderungen vorzubereiten. Neue Lehrinhalte müssen überprüft und abgestimmt, das Lehrpersonal und die Prüfer:innen geschult werden. "Die Novelle der Approbationsordnung ist überfällig – sie passt das Medizinstudium von gestern an die Medizin von morgen an", sagt Lucas Thieme, Präsident der Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland. "Am Ende sollte vor allem eines im Vordergrund stehen: Die bestmögliche Ausbildung unserer zukünftigen Ärzt:innen."

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